Nach Turangalila und Tutuguri: Trurliade

12. September 2016 um 3:57 Uhr von ur

Gestern Abend direkt live auf Deutschlandradio Kultur Robyn Schulkowsky, Schlagzeug, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Leitung: Jakub Hruša.

Olga Neuwirth, „Trurliade-Zone Zero“ für Schlagzeug und Orchester (Deutsche Erstaufführung). – Auch dieses lang erwartete Schlagzeug-Orchesterstück von Neuwirth vermag es nicht, die Erinnerung an einen Soloabend von Pierre Favre vor über vierzig Jahren zu übertrumpfen: es scheint, als müssten alle KomponistInnen der Zeit am Schlagzeug scheitern. Im Detail ist das halbstündige Werk recht interessant. Aber man wundert sich darüber, dass ein so riesiger Aufwand im Kleinen in der grossen Dauer, der grossen Form, letzlich im Nichts verpufft. Ob es am Hörer liegt, der den Zusammenhang nicht sieht? Gut möglich, dass diese Konzertform ein direktes Liveerlebnis in situ verlangt, also das visuelle verfolgen der Anstrengung sowohl der Solistin wie der Orchestermusiker gegen die Anforderungen und Herausforderungen der Komposition.

Vorher auf WDR 3 ein gut gemachtes Hörspiel mit Originalaufnahmen, also ein Feature zu Ezra Pound: „Unseres Herzens Gordischer Knoten – Diskretionen von Mary de Rachewiltz, der Tochter Ezra Pounds, Hörspiel von Klaudia Ruschkowski.“ Pound lebte mit der Geigerin Olga Rudge zusammen; das Kind Maria gaben sie einer Amme nach Gais im Tiroler Pustertal mit, ohne den Kontakt abzubrechen. Maria heiratete Boris de Rachwiltz, mit dem sie 1955 in den eindrücklichen Schlossbau Brunnenburg in der Nähe von Meran einzog, wo Pound die letzten, intellektuell leergefegten Cantos schrieb. Die Sendung? Ein gutes Werk über einen unrettbaren hochstapelnden Dichter.

Tiefensoziologie

7. September 2016 um 4:14 Uhr von ur

Soeben in der Berner Tageszeitung Bund ein Interview mit treffsicheren Bemerkungen, Fragen: Alexandra Kedves, Antworten: Feridun Zaimoglu.

http://www.derbund.ch/kultur/theater/ich-sehe-blutige-kaempfe-auf-uns-zukommen/story/21752470

„Die Burka-Frage: Das ist doch vor allem ein Instrument im Überbietungswettbewerb von rechts. Die Manipulation und Volksverdummung feiert bei uns fröhliche Urständ. Gern schimpft ­­man über exotische Schurkenstaaten oder Fremde. Oder stilisiert das Minarett zum Zeichen der Militanz einer Religion wie in der Schweiz – da bin ich ­fassungslos. Ich glaube: Die wahre Gefahr heute ist der ungehemmte Finanzkapitalismus. Man schaue auf die konservativen Nebelredner, sie beherrschen das Handwerk der Lüge perfekt und lenken von der eigenen Schäbigkeit ab. Die Wahrheit von der sich öffnenden Schere, vom fest zementierten oben und unten wird verbrämt. Grosse Gesellschaftsschichten erodieren und werden angesteckt von einer tödlichen Melancholie. Und das Drücken von Empörungstriggern, das Auslösen lumpenvaterländischer Gefühle funktioniert wie Valium fürs Volk; dieses sucht Trost in der Wahl von AfD oder Front national.“

Es lohnt sich, das ganze Interview zu lesen.

Lachenmann, Gander, Ferneyhough

6. September 2016 um 20:23 Uhr von ur

Soeben live auf WDR 3 vom 13. August 2016 aus dem hr-Sendesaal, Frankfurt, Internationale Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, Christian Dierstein, Schlagzeug; Klavier-Duo Sugawara/Hemmi; hr-Sinfonieorchester, Leitung: Lucas Vis.

Helmut Lachenmann, Air. Musik für großes Orchester und Schlagzeug-Solo (1969). – Ein noch ungebändigter, ungestümer Lachenmann, sehr anregend.

Bernhard Gander, bloodbeat für Orchester, Uraufführung. – Ziemlich blutarm & lahm, zum einen Ohr rein, zum andern rasch wieder raus.

Brian Ferneyhough, Firecycle Beta, Sinfonischer Torso für 2 Klaviere und Orchester. – Ein gebändigter, publikumsnaher Ferneyhough, bunt zum Anschauen, abgemildert zum Träumen.

Turangalîla & Tutuguri

4. September 2016 um 20:15 Uhr von ur

Soeben live auf Bayern 4 vom 28. August 2016 am Baltic Sea Festival das Swedish Radio Symphony Orchestra, Leitung: Esa-Pekka Salonen, Solistin: Yuja Wang, Klavier.

Olivier Messiaen, Turangalîla-Symphonie. – Nach ein paar Jahren Hörpause heute mit Lust wieder gehört, wenn gegen Schluss hin das Ganze auch in einer amerikanischen gershwinischen Aufgeblasenheit zu verpuffen droht (zum ersten Mal bemerkt eine Radiomoderatorin, dieses Werk sei eines der leichteren von Messiaen). Es ist wohl immer noch besser als Wolfgang Rihms Tutuguri gestern auf Deutschlandradio (direkt live aus Berlin mit Graham Forbes Valentine, Sprecher, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Leitung Daniel Harding): ich hörte in die Übertragung hinein, ohne zu wissen, was gespielt wird, etwa 20 Minuten nach Beginn, und gab nach 40 Minuten auf, weil ich die Musik nicht wiedererkannte – sträflicherweise – und meinte, von diesem Komponisten mit Bestimmtheit noch nie ein Werk gehört zu haben, passagenweise ein schamloser Klau von Phrasen aus Varèses Stücken (wenn ab und zu auch nicht ohne Reiz), und das Ganze unter Umgehung der Bildung eines neuen Zusammenhangs (was allerdings nur dann zu beurteilen ist, wenn man überhaupt dem Stück von Anfang bis Schluss zuhört…), nicht zuletzt stärker im Sog der Tonalität als Messiaen in dem der – immerhin eigenen – Modalität.

Thomas Adès, The Exterminating Angel

29. Juli 2016 um 4:17 Uhr von ur

Gestern Abend direkt live auf Ö1 aus Salzburg eine Opernuraufführung mit dem Salzburger Bachchor und dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter dem Komponisten-Dirigenten Thomas Adès:

Thomas Adès, The Exterminating Angel, nach Luis Bunuels Film.

Eine leichte Kost fürs grosse Publikum, im ersten stündigen Teil etwas steif im immer gleichen Tempo, im immer gleichen Tutti und in der immer gleichen Lautstärke, dann durchsetzt mit wenigen einzelnen Passagen, die sich hören lassen – am Schluss eine Huldigung an Pink Floyd. Der Typ könnte in der Rockmusik mehr Geld machen. Lord have mercy on the people in England of the terrible music these people must listen to.

Rac 3 again

22. Juli 2016 um 20:14 Uhr von ur

Soeben direkt live auf France Musique vom Festival de Radio France et Montpellier Occitanie 2016 Denis Matsuev, piano, National Youth Orchestra of the USA, Valery Gergiev, direction.

Serge Rachmaninov, Concerto pour piano et orchestre n°3 en ré mineur op.30.

Ich bin alles andere als ein Freund der Ästhetik Rachmaninows. Aber das dritte Klavierkonzert hat mich in letzter Zeit mehrmals heimgesucht, und auch diese Festspielinterpretation brachte mich nicht ins träumerische Wegdriften oder gar zum Wechseln des Radiosenders. Ziemlich packend, das Ganze. – Zuvor hörte ich ab CD Tarkus, das ich letzthin auf Mille der Sennerin Pauline ins Ohr flüsterte. Emerson, (Greg) Lake & Palmer erscheinen in diesem Moment echt schwach gegenüber Rachmaninow – das hätte ich mir vor vierzig Jahren niemals sagen lassen, und es wurde damals echt vielmals versucht.

ur II 14

17. Juli 2016 um 7:23 Uhr von ur

ur I und III gratulieren ur II zum Vierzehnten, immer in Dankbarkeit an die Teams von Hertel und Seidel in der Insel 2002. – Hat es ein Geschenk gegeben? – Ja, gestern eine gute Fotoluft über einem gächen Weg bei den netten Ruinen von Verbier, und den Bus in Lourtier hatte ich auch nicht verpasst.

Sanchez-Chiong und Pelzel mit Clex

7. Juli 2016 um 3:01 Uhr von ur

Gestern Abend live auf SRF 2 Konzert vom 5. Juni 2016 im Stadtcasino Basel mit Ernesto Molinari, Clex (= Clarinet Extended), Basel Sinfonietta, Duncan Ward, Leitung.

Jorge Sanchez-Chiong: Konzert für Kontrabassklarinette (UA).

Michael Pelzel: Konzert für Kontrabassklarinette (UA).

Zwei Luxusstücke mit einem grossen Zauber, die wiederholt gesendet werden sollten.

Fennessy, Sweat of the sun

2. Juli 2016 um 20:37 Uhr von ur

Soeben live auf Bayern 4 vom 28. Mai 2016 Münchener Kammerorchester, Leitung: Alexander Liebreich, mit Susann Vent-Wunderlich, Leslie Visco, Sopran; Annette Schönmüller, Alt; Marco Vassalli, Bariton; José Gallisa, Bas.

David Fennessy: „Sweat of the sun“ nach „Eroberung des Nutzlosen“ von Werner Herzog.

Werner Herzog ist mir nur als warme Luft in den Feuilletons bekannt. Diese neue einstündige Oper ist eine der vielen zusätzlichen Aufwärmungen, deren leeres Pathos einen wie immer schon kalt lässt.

Palumbo, Saunders, Manoury

27. Juni 2016 um 20:08 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique l’Ensemble Linea sous la direction de Jean-Philippe Wurtz: concert enregistré le jeudi 16 juin 2016 dans la Grande Salle du Centre Pompidou à Paris.

Emanuele Palumbo (né en 1987), Artaud Overdrive, pour ensemble, trois dispositifs Listen et électronique (2015-2016). – Salonzappa mit viel Aufwand und viel fruchtbarem Fleiss.

Rebecca Saunders (née en 1967), Fury II, concerto pour contrebasse solo et ensemble (2009, création française), Florentin Ginot, contrebasse. – Ich werde immer stetiger zum Fan von Saunders: hoch dosierte Dynamitsalvenmusik in einer Stärke, die in Lumpy Gravy nur versprochen worden war. Es ist nicht der Lärm, der beeindruckt, sondern das kompositorische Können, das die Eruptionen immer unter Kontrolle hat.

Philippe Manoury (né en 1952), B-Partita (in memoriam Pierre Boulez) pour violon solo, ensemble et électronique, Hae Sun Kang, violon. – Tonal gedachte Skizzen mit doppeltem Kapellenhall. Boulez wird in Baden-Baden nie so viel Schwarzwäldertorte gegessen haben wie in dieser Confiseriemusik stecken geblieben ist.

Cattaneo, Ferneyhough, Furrer, Maresz

20. Juni 2016 um 20:18 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 10 juin 2016 à La Philharmonie de Paris avec L’Ensemble intercontemporain, sous la direction de Matthias Pintscher. Sébastien Vichard, piano.

Aureliano Cattaneo, Corda pour piano et électronique, (création mondiale, commande de Annie Clair). – Überraschende Klangereignisse über einer kompositorisch leicht fahrigen Struktur. Tonale Akkordfolgen, jazzig kadenzierende Ton(ab)läufe. Wäre es von Keith Emerson improvisiert, tät ich’s liken: Moog, nicht Midi ist bei diesem Stück angesagt. Das letzte Viertel ist aber so oder so gut. (Es macht verlegen, ein Stück teilweise gut, teilweise schlecht zu finden: man meint, das kompositorische Subjekt sei wohl nicht gut drauf, aber ansonsten im Bereich der Kunst voll kompetent.)

Brian Ferneyhough, Inconjunctions, pour vingt instrumentistes (création française). – Der Komponist ist altersmilde geworden (hoffentlich auch im Bereich der Anforderung an die InstrumentalistInnen): man folgt den kompositorischen Strukturverläufen nun leichter als früher; sie sind spielerischer. Ein schönes Werk, regelrecht. Auch hier ist der letzte Teil leichter und fasslicher als das heranwachsende Stück.

Beat Furrer, linea dell’orizzonte, pour ensemble. – Furrer ist manchmal akademisch und leicht überkorrekt (leicht, he, nicht wirklich!). Bei diesem Stück aber sicher nicht: es funkelt, fordert die sinnliche Neugierde heraus (man will sich endlich gehen lassen…) und macht einen sogar träumen. Wenn Zappa auch ausserhalb der Mothers gut hätte komponieren können, hätte es möglicherweise so getönt. Ein vifes Stück, und Zappa hätte mitspielen und mitwürzen können.

Yan Maresz, Tutti, Tutti pour ensemble et dispositif electronique. – Der Schmarren kommt mir schon einmal gegessen vor. Durchs Band Effekte ohne musikalischen Begründungszusammenhang.

Machault, Notre Dame

19. Juni 2016 um 20:37 Uhr von ur

Soeben direkt live auf Deutschlandradio Kultur aus der Friedenskirche Berlin das Ensemble Organum, Leitung Marcel Pérès.

Guillaume de Machault, Messe de Notre Dame. – Umwerfend!

Haas und Klaus: Koma

12. Juni 2016 um 21:27 Uhr von ur

Soeben live auf SWR 2 vom 27. und 28. Mai 2016 in Darmstadt, Ensemblemitglieder des Staatstheaters Darmstadt, Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, Leitung: Jonathan Stockhammer.

Georg Friedrich Haas: „Koma“, Oper mit einem Text von Händl Klaus. – Wegen der auf Harmonie ausgerichteten Mikrotonalität, der fetten Harmonie des Naturjodels, wirken die explosiven Partien arrangiert wie in einer TV-Show. Eine leichte Musik zu einem aktuellen, schweren Thema, dem missratenen Selbstmord.

Sebastien Tinguely

10. Juni 2016 um 17:05 Uhr von ur

Der Unterwalliser Biologe und Fotograf Tinguely hat seine Website neu gemacht. Mein Favorit unter den Bildern ist eine Gruppe von Rebhühnern mit einem Steinbock:

Sebastien Tinguely

Man sollte einen kühlen Oeil de Perdrix zu trinken haben.

Maresz, Lindberg, Lutoslawski

6. Juni 2016 um 20:04 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 4 juin 2016 à l’Auditorium de la Maison de la Radio avec l’Orchestre Philharmonique de Radio France, sous la baguette de Julien Leroy.

Yan Maresz, Répliques (Nicolas Tulliez harpe, Thomas Goepfer, réalisation informatique musicale Ircam). – Maresz soll der einzige Schüler von John McLaughlin gewesen sein. Für Doppelhalsgitarre statt für Harfe wäre das Stück ein Zacken besser. Da Maresz bei einigen anderen Leuten Komposition studierte, ist er gänzlich frei von McLaughlins Ästhetik. Er sollte etwas schneller arbeiten.

Magnus Lindberg, Corrente II. – Alte Stahlwerkmusik mit viel Sibelius darin eingeklemmt. Lindberg hätte diese metallische Sache nie verraten dürfen. Zur selben Zeit der Aufnahme war ich in Luzern an einer Familienparty, die in einer Töff- und Autogarage abging (und einen anderntags beim Aufwachen, immerhin wieder 100 Kilometer vom Alptraumort entfernt, denken liess, man hätte soeben in einer Öllache geschlafen) – und nur wenige hundert Meter nebenan spielten nach Hörensagen die braven Eisern jungfräulich gebliebenen Mägde ihre Show, als wären sie bei Lindberg in die Schule gegangen.

Witold Lutoslawski, Symphonie n° 4. – Lutoslawskis Musiksprache wird nie richtig modern gewesen sein; sie tönte immer schon wie vom Dachstock heruntergeholt.

Zusatz: Zur selben Zeit wie Lindbergs Corrente II in Paris gespielt wurde und ich in einem Machinotop von Motorenöl Wein eingoss, spielten in der räumlichen nächsten Nähe nicht die Iron Maidon, sondern ein Akteur unter dem Bannspruch Einmal Deutsch Immer Nazi, dessen Gruppennamen wie von vielen Akteuren der Öffentlichkeit unter Vernünftigen heute nicht weiter ausgesprochen werden soll.

Kaija Saariaho mit Spätwerkproblemen

6. Juni 2016 um 7:55 Uhr von ur

Gestern Abend live auf SWR 2 drei Konzerte vom 20. Mai 2016 an den Schwetzinger Festspielen mit Claudia Barainsky (Sopran), Robert Koller (Bariton), Schola Heidelberg, Camilla Hoitenga (Flöte), Héloïse Dautry (Harfe), Nicolas Hodges (Klavier), Florent Jodelet (Perkussion), Sarah Saviet (Violine), Anssi Karttunen (Violoncello), Charlotte Testu (Kontrabass), Jean-Baptiste Barrière (Elektronik), Leitung: Walter Nußbaum.

Ausser dem letzten, einer Art Urfassung der Oper L’amour de loin, alles junge Stücke von Kaija Saariaho ab 2000 für kleine Besetzungen: „Light and Matter“, Klaviertrio, „Aure“ für Violine und Violoncello, „Serenatas“ für Violoncello, Klavier und Perkussion, „Terrestre“ für Flöte, Perkussion, Harfe, Violine und Violoncello, „Tocar“, Fassung für Flöte und Harfe, „Sombre“ für Bariton, Flöte, Harfe, Perkussion und Kontrabass, „Tag des Jahrs“ für Chor und Elektronik, „Changing Light“ für Sopran und Violine, „Écho!“ für Vokalensemble und Elektronik, „Lonh“ für Sopran und Elektronik.

Nach den drei Konzerten in zweieinhalb Stunden wurden noch zwei frühere Stücke auf CD gesendet. Beeindruckend, wie Orion gegenüber den soeben gehörten Konzertstücken frisch und avanciert erscheint, als ob ungefähr seit dem Jahr 2000 Saariaho mit der Tendenz, auf Momente der Tonalität zurückzugreifen, ein bequemeres, aber eben auch grösseres Publikum ins Auge fassen möchte. Triviale Dur-Moll-Komplexe sind keine zu auszumachen, umso mehr frivole Sequenzierungen, dialektische Wiederholungen (keine Repetitionen) und ganz auffällig unterhaltsame Akkordbrechungen als durchgehendes Formprinzip bei Solobegleitungen.

Frühsommer 2016

5. Juni 2016 um 8:34 Uhr von ur

https://www.anzere.ch/tourismus-ski-spa/webcams-anzere-135.html

Sauber einst & heute

24. Mai 2016 um 4:17 Uhr von ur

Gestern Abend vor dem Konzert ein Hörspiel auf WDR 2: Ulrike Edschmid, Das Verschwinden des Philip S. (2013 Roman, 2015 Hörspiel).

Philip Werner Sauber studierte in Berlin Fernsehfilmregie und wurde zum Mitglied der Bewegung 2. Juni; er stammte aus der reichen Zürcher Familie Sauber. Pikanterweise liess ich mich zwei Tage vor dem Hörspielkonsum an einer Party der eigenen Familie über die andere Seite der Familie Sauber ins Bild setzen, die einen Formel-1 Rennstall aufbaute und managte, der in den letzten Wochen ins finanzielle Schlingern geraten ist. Sowohl das Fernsehschauen wie das Autofahren sind mir immer fremd geblieben. Aber wie einer aus der Familie Ende der sechziger Jahre in Deutschland Film studierte, arbeitet einer heute im sogenannten Sauberteam. In der eigentümlich weit umfassenden Konstellation spüre ich im Hörspiel Kräfte des Realen, die mir nicht recht „familiär“ werden wollen. Man ist zuweilen gleichzeitig sowohl näher & ferner mit der Realität verbunden als man denkt. – Dass man den Willen zur Gewalt in den sechziger und siebziger Jahren heute verstehen würde und zu erklären vermöchte, darf immer noch nicht behauptet werden.

Holliger, Momi, Ferrari, Nunes: Nachtmusik

23. Mai 2016 um 20:30 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 17 mars 2016 au Théâtre d’Orléans, avec l’Ensemble Cairn: Cédric Jullion, flûte, Ayumi Mori, clarinette, Caroline Cren, piano, Julia Robert, alto, Ingrid Schoenlaub, violoncelle, Cyril Ciabaud, cor anglais, Guillaume Cottet-Dumoulin, trombone, Sébastien Naves, son, Guillaume Bourgogne, direction

Heinz Holliger, Drei Nachtstücke pour piano.

Marco Momi, Iconica IV pour flûte, clarinette, piano préparé, violon, alto, violoncelle.

Luc Ferrari, Ainsi continue la nuit dans ma tête multiple pour bande sonore.

Emmanuel Nunes, Nachtmusik 1 pour clarinette, cor anglais, trombone, alto, violoncelle et électronique en temps réel.

Zugabe: Alexandre Tissier, Sibir – Terre qui sommeille pour piano, flûte, clarinette, violon, alto, violoncelle.

Ein gelungenes Konzert, das in ungewöhnlicher Weise vier Stücke präsentiert, die komplett unterschiedlichen, ja widersprechenden Ästhetiken angehören: der seriellen Musik (Holliger), der konzertanten mit Live-Elektronik (Momi), der anekdotischen oder konkreten Umweltmusik (Ferrari) und dem schlagzeuglosen Kammerbruitismus (Nunes) – und in der unangekündigten Zugabe nochmals der seriellen oder postseriellen (Tissier). Die Stücke erscheinen in diesem Zusammenhang so stark individualisiert, dass es unmöglich wird, eines davon zu privilegieren. Man ist während eineinhalb Stunden in vier (bzw. fünf) verschiedenen Konzertsälen gesessen.

Lindberg, Sibelius

20. Mai 2016 um 21:11 Uhr von ur

Soeben direkt live auf France Musique l’Orchestre Philharmonique de Radio France, Simone Lamsma, violon, Jukka-Pekka Saraste, direction.

Magnus Lindberg (1958), Aura (In memoriam Witold Lutoslawski), pour grand orchestre (1994).

Magnus Lindberg, Concerto pour violon n° 1 (2006).

Jean Sibelius (1865-1957), Symphonie n° 4 en la mineur, opus 63 (1910-1911).

Wird man nur einmal im Jahr mit Black Sabbath, Keith Emerson & Co. konfrontiert, ist solche Musik okay. Ähnlich geht es auch mit Magnus Lindberg. Heute empfinde ich diese Werke als flotte Unterhaltung, ganz ohne Verirrungsrisiko in subtilen Verläufen. Nichts ärgert an ihr.

Gestern schon die Vierte von Sibelius in einem zweitklassigen Konzert aus Berlin mit einem faden Reger (Vier Böcklin-Tondichtungen) und einem faulen Mussorgsky (Vier Gesänge der Frau Tod). Das Interessante an diesem speziellen finnischen Werk ist weniger die berühmte Kargheit als mit welchen Worten die RadiomoderatorInnen es einem schönreden wollen; es stammt von einem Scheintoten (Sibelius war allerdings ein armer Sack: vor über hundert Jahren mit Schwertern an der Gurgel geopst – ich hätte als Komponist darauf hin nur noch leere Blätter abgegeben). – Das Pariser Orchester hat ihm heute, dank dem Schuss Lindberg vor der Pause, ein wenig Leben eingehaucht. Fast will es mir gefallen.