Archive für 4. Juni 2012

Ligeti, Manoury, Mahler

Montag, 4. Juni 2012

Soeben live auf France Musique Concert enregistré le 1er juin Salle Pleyel à Paris, pour l’ouverture du festival ManiFeste, Orchestre de Paris, Ingo Metzmacher, direction.

György Ligeti (1923-2006), Atmosphères (1961). – Trotz eigenwilliger Knebelung von Metzmacher, die durch Auftrennung des Stoffes einen Romantizismus durchscheinen lassen will, enthält das Stück immer noch alle Impulse der sechziger Jahre, die einen ins Träumen über das Vorwärtsstreben der Musik hin zu neuen Welten bringen.

Philippe Manoury (né en 1952), Echo-Daimonon, Concerto pour piano, orchestre et électronique en temps réel, création mondiale, Jean-Frédéric Neuburger, piano, Thomas Goepfer, réalisation informatique musicale Ircam, Julien Aléonard, ingénieur du son Ircam. – Man muss das luxuriöse Stück zu hören suchen gehen. Als eine unterhaltende Festmusik erscheint es mir wie Händel sie schrieb zu Ehren des englischen Königshauses. Ihr Fliessen ist ein Genuss – aber es treibt gleichwenig irgendwohin in ein Neues wie Händels Dümpeln von London West nach London Ost. Ich liebe diese Musik, weil sie gut ist, aber ich misstraue ihr, weil sie es nicht wagt, etwas zu versprechen zu haben. Sie ist positivistisch und zwingt einen, bei ihr zu sein, und sie gibt einem nichts, das man auf seinen weiteren Weg mitnehmen könnte. Im Innersten denkt der Komponist, den man vielleicht gar genial nennen darf, verstaubt tonal.

— Comblement de programme (entracte)

Philippe Manoury (né en 1952), En écho pour soprano et système électronique en temps réel, I. La rivière, Donatienne Michel-Dansac, soprano, Enr. 1998. – Vordersatz und Nachsatz, wie es den für einen winzigen Moment unaufmerksamen Adorno in dunklen Tagen nicht mehr und weiter hätte freuen können: eine Musik, die schwierig in unsere Zeit hereinzudenken ist. Aber schön und gar sehr schön allemal.

Philippe Manoury (né en 1952), Inharmonies, Accentus, Laurence Equilbey, direction, Enr. 2009, Naïve V 5217. – Inharmonies war vor langer Zeit der Titel eines Buchgeschenkes, das mir ein Fribourger Freund übergab und das ich nie recht verdanken konnte, weil ich die Texte wegen des komplizierten Französisch und ihrer eigenwilligen theoretischen Richtung nicht verstand. Das Stück von Manoury verstehe und schätze ich aber auf Anhieb. Es gibt Bücher, vor denen man sich schämt, Inhamonies dünkt mich ein solches. —

György Ligeti (1923-2006), Lontano. – Metzmacher zieht dem guten Stück einen wollenen Pullover über. Wie kann ein Dirigent, der Nono so grossartig zu inszenieren wusste, andere Trouvaillen des zwanzigsten Jahrhunderts nur so in die Knie zwingen wollen? (Beim Notieren bekomme ich Zweifel: die Interpretation hat bessere Seiten als ich sie allgemein benennen kann, der Mittelteil erscheint mir tadellos. Er hat kein Vertrauen darauf, dass im Schmelzklang Energien auf unterschiedliche Richtungen abzielen können. Er sollte diese Dirigentenangst therapieren lassen und endlich an die revolutionäre Idee glauben wollen.)

Gustav Mahler (1860-1911), Adagio de la Symphonie n° 10. – Metzmacher dirigiert Mahler wie Strauss: das ist Verrat. Aber einen so leichten Mahler habe ich selten so gerne genossen. Metzmacher versteht es, sich durchzusetzen. Man nimmt ihm ab, was er tut – und ist in der gleichen atmosphärischen Idylle gerne dagegen.