Archive für 20. April 2009

Felix Mendelssohn-McLaughlin

Montag, 20. April 2009

Beim Zuhören der Diskothek im Zwei des Violinkonzerts in e-Moll von Mendelssohn kann ich nicht recht folgen, ich fühle mehr die ungestaubsaugte Wohnung als interessante Musik. Es treibt mich dazu, eine CD einzulegen, die ich lange nicht mehr gehört hatte, und die mir jetzt gut behagt: Mahavishnu Orchestra Live, Between Nothingness & Eternety. Durchs Träumeaufschreiben erprobt fällt es mir leicht, die Triebkräfte des Zusammenhangs zu durchschauen: am Mittag in DRS Aktuell wurde kurz Birds of Fire angespielt, um ein Konzert in Stans anzukündigen, wo ein österreichisches Streichquartett McLaughlin spielen wird – der kleine Musikausschnitt des Originals war mir wie einem Tänzer in die Knie gefahren.

Es ist wohl eine eher harte und unvermittelt plötzliche Einsicht beim langandauernden Analysieren der Kulturindustrie, dass das alles im pathetischen Sinn nicht meine Musik ist, die ich da, um nicht von der benachbarten kulturindustriellen Immission genervt zu werden, hörend verfolge.

http://www.radiostringquartet.com/videos.htm

(Blogzeit ist Winterzeit.)

Metaphysik, Gewalt und Kulturindustrie

Montag, 20. April 2009

Keimzelle und Urtrieb der Metaphysik ist die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft; sie treibt das Ganze der Geschichte an, steuert es und gibt ihm Gestalt. In der äusseren Form erscheinen ihre Kräfte als Religion, im einzelnen Menschen als familiäre Bindungen, die ein Ich sich ausbilden und ein verbindliches Verhältnis zur Realität sich schaffen oder scheitern lassen.

Da es in dieser Epoche Gesellschaften gab, die andere materiell vernichteten, ohne dass es zu einem vermittelnden Austausch von Gütern welcher Art auch immer gekommen wäre, kann man über sie keine allgemeine Aussagen machen, die ihren Vergesellschaftungsprozess beschreiben würden. Doch auch wenn von den Einzelnen, sowohl mit Rücksicht auf dieses Problem wie auf die Einsicht in die existenzielle Irreduzibilität, gesagt werden muss, sie realisierten sich in unendlichen, nicht reduzierbaren Vielheiten, sticht ein Typus markant hervor, so wenig die Typen, wie angetönt, im Gesamt begriffen werden sollen: derjenige des autoritären Charakters. Bemerkenswert ist, wie ein Negatives im Realen eine Struktur zu repräsentieren scheint, die im Innersten von der Idee der Idee als der eines Guten zusammengehalten wird. Der autoritäre Charakter ist immer zur Stelle gewesen und hat sich schnell in Meuten gebildet, wenn in der Epoche der Metaphysik die Katastrophen, Reversbilder der Vergesellschaftung, stattgefunden haben, überaus deutlich im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts, in einer Zeit und an einem Ort, wo die grosse Kultur am weitesten entwickelt, entfaltet und in alle Bevölkerungsschichten hinein verbreitet schien. Deshalb gibt es nichts Dringenderes, solange diese Epoche währt, als von der Dialektik der Anerkennung wegzukommen, diesem Kräftespiel, das immer einen Sog der Regression freisetzt, in dem die Katastrophe sich als blinde Gewalt vollzieht.

So wenig von einem abgeschlossenen Ende der Metaphysik gesprochen werden kann, so schwierig ist die Behauptung, es gebe als neue so etwas wie eine Epoche der Kulturindustrie, und sie wäre schon daran, sich in der Weise als Metakultur breit zu machen, indem sie die Metaphysik ersetzte. Allerdings ist es unübersehbar, wie ihre technologischen Elemente sich vervielfältigen und wie sich die Gehalte, die ihren Stempel tragen, global ausbreiten. In ihr verändern sich die materiellen Verhältnisse gleichzeitig mit den kommunikativen, so dass die Beschleunigung der spekulativen Finanzströme in den letzten dreissig Jahren nur möglich erscheint dank der Verfeinerung der Aufzeichnungsverfahren, die den Wert auch dann aufblähen, wenn er noch gar nicht begonnen hat, wirklich zu sein. Die so gewonnene Macht der Banken liess die demokratischen Mächte der Gesellschaften lächerlich erscheinen, ihre Vertreter als Trugbilder der Kulturindustrie. In diesen neuen Verhältnissen, die nicht eindeutig durch Veränderungen in der Ökonomie als der materiellen Basis der Gesellschaften herausgewachsen waren, erscheint der autoritäre Charakter in einer neuen Gestalt oder, um diese Festlegung vorneweg zu machen: in neuen, multiplen Gestalten. Die Bildung von Meuten, die sich einem Aggressor unterwerfen, um Hatz auf die Träger eines Feindbildes zu machen, ist zugleich leichter geworden wie sie sich auch leichter kontrollieren liesse, wenigstens solange, als es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, den eine Gesellschaft nicht aufgeben will. Nicht die Herren der Fabrik und die Männer des Staates produzieren die gefährlichen Situationen, die der Destruktion freien Lauf lassen, sondern die Vielen, denen es gelingt, in den Medien präsent zu sein. Die neuen Gestalten erscheinen in einer unendlichen Vielfalt, angefangen vom schwierigen Fall, dass der unterbrochene Finanzstrom die LohnarbeiterInnen freisetzt, die Parteien entscheidungslahm dastehen und die Verzweifelten Volksverführern folgen, die ihre Macht Finanzspekulationen verdanken und sie innehalten, indem sie mit ihr in den Medien protzen und die Meute, der man den Boden unter den Füssen weggezogen hat, daran sich aufgeilt, bis zum einfachen Fall des modischen Nachäffens geisttoter Medienstars. Mit dem Aufkommen einer verallgemeinerten Industrie, die das Glück da verspricht, wo Unterhaltung genossen wird, realisieren sich unendlich viele Gestalten der Regression und ersetzen die eine alte aus einer Kultur, die doch vom Guten sprach und deren Typus der Regression als der der Faschisten bekannt wurde. Der gefürchtete Typus des autoritären Charakters scheint sich in Richtung vieler Typen der Regression zu verändern, teils ebenso gefürchtet, teils bloss kindisch und lächerlich.

Das Problem ist deswegen schwierig, weil es keine historischen Ereignisse gibt, die das Ende der einen Epoche und den Anfang der anderen festlegen würden. Im Gegenteil scheint der rabiate Diskurs der Religionen demonstrieren zu wollen, dass keineswegs vom Ende der Metaphysik zu sprechen wäre, und die ungeheure Brutalität in den Konflikten der letzten 40 Jahre deutet ebenso wenig darauf hin, dass die paranoische Gewalt sich in einer Welt der Kommunikation abschwächen liesse. Trotzdem: wenn der Epoche der Metaphysik als paradoxer Idealtypus der autoritäre und paranoische Charakter innewohnt, der nur das Eine wünscht, sich selbst und den Anderen einem Ersten zu unterwerfen – ist die Epoche der Metakultur daran, einen vergleichbaren und in gleicher Weise eindeutigen Sozialcharakter auszubilden? Ist er genauso problematisch und gefährlich, selbstzerstörerisch und katastrophisch fürs Allgemeine? Gehört er derselben Ordnung an oder unterläuft er sie gerade umgekehrt in einer quasi anarchistischen Lebenssicht, die in einem scheinbaren Hedonismus das Gewünschte in seinen vielen Abstufungen bloss imitiert und aus diesem Grund der spielerischen Scheinhaftigkeit keineswegs davon gesprochen werden müsste, Kulturindustrie und allgemeine Globalisierung hätten eine Art Gleichmacherei zur Folge, die die Vielheiten der menschlichen Individualcharaktere auf ein bescheidenes Durchschnittsniveau reduzieren würde? Man sieht die Verhältnisse schnell einmal zu pessimistisch, dann ebenso schnell zu optimistisch. Da es keine Anzeichen dafür gibt, dass sich die Idee des Militärischen ächten liesse, sondern die Kulturindustrie geradezu als fester Teil ihres Antriebs begriffen werden muss und da im Hinblick auf Lohnarbeit und Einkommen der Verwirklichung eines Modells, das die Zwanghaftigkeit des gegenwärtigen prekären überwinden würde, alles entgegenzustehen scheint, solange Macht und illegitimer Reichtum zusammengehen, können keine Thesen zur Kulturindustrie gemacht werden, die ihr Verhältnis zur Lebenswelt im Allgemeinen betrifft, ausserhalb der speziellen Einflüsse von Bankengeld und militärischer Staatsgewalt. Neben den diffusen Typen der Regression, die bloss kindisch erscheinen, sind aber zwei Gestalten herausragend geworden, die ohne die Techniken und Technologien der Kulturindustrie undenkbar wären: Zu fürchten heute sind die sogenannten Amokläufer und die globalen Terroristen, Erscheinungsweisen der Gewalt, die mitnichten gedämpfter, sondern in der Tat explosiver dastehen, wenn sie für die Epoche der Metaphysik nicht gar undenkbar sind und sowieso unvorstellbar gewesen wären.

Die unaufhörliche Produktion von Gütern in der Kulturindustrie wie die globale Gier nach denselben macht es aus, dass Meuten zwar schneller gebildet werden, aber genau so, dass sie schneller auch wieder unter Kontrolle geraten und grössere Katastrophen eher als früher vermieden werden können, sofern ein Wille dazu vorhanden ist. Die Masse braucht indes keine Meute zu sein, sondern geniesst die Güter in einem Alltag, dessen praktische Seite den demokratischen Rechten und Pflichten und dessen kulturelle Seite den Medien folgt, so wie sie die Wissenschaften und die Künste vermitteln, stetig mehr von Lokalitäten unabhängig, stetig mehr allen Einzelmenschen zugänglich. Ein Stück weit aber erinnert, neben der Tendenz, alles wieder kommerziell einzufrieren, die positive Vielfalt der Kulturindustrie an die Geschlossenheit der Vielfalt in der indischen Musik; es fliesst etwas Formales in sie ein, das uralt ist und, man glaubt es kaum, nicht als europäisches Erbe zum Zuge kommt. Keine Musik in den sogenannten Hochkulturen konnte sich vor 2000 Jahren so frei von Direktiven der Macht entwickeln wie die indische. Die gleichzeitige Anwendung von pythagoreischen und natürlichen, den Obertönen gefolgten Stimmungen führte zu einer Verfeinerung des Tonsystems, die unendlich viele Abstufungen erlaubte, über sechzig statt nur zwölf wie im temperierten. Da dieselben theoretisch begründet und, wie konsequenzlos da ohne durchgeführte Kritik auch immer, diskutiert wurden, erwuchs eine künstlerische Tradition, in der die Vielheiten nicht nur abstrakte Grössen blieben, sondern in den einzelnen Stücken als unendliche Vielfalt genutzt und ins Spiel gebracht werden konnten. Keine andere Musikkultur entfaltete sich in solch freien Verhältnissen – und trotzdem erwuchs mangels praktischer Kritik keine Geschichte, von der man sagen könnte, dass in ihr die indische Musik sich entwickelt hätte. Die äussere, sogenannt ästhetische Freiheit, die prinzipiell alles zulässt, realisiert sich nur gegen innen. Je weiter der Prozess der Realisierung der Freiheit vorangetrieben wird, desto stärker erwächst der Eindruck, das Ganze geschähe in einer Abgeschlossenheit oder Abgedichtetheit, die wie ein Alpdruck lastet. Die Realisierungen sind alle gleichwertig und vermeiden es tunlichst, auf besondere Richtungen hinzuweisen. Man steht immobil und als Gefangener in einem Raum, den man nicht mehr weiter erfahren darf, weil es keine Richtungen gibt, denen folgend man ihn durchschreiten könnte, um über ihn hinaus Entwicklungen voranzutreiben. In ähnlicher Weise immobilisieren sich die Vielheiten der kulturindustriellen Medien, wenn sie zu jeder Zeit und an jedem Ort prinzipiell jede Äusserung und jede Diskussionen erlauben, die Objekte und Gegenstände der Auseinandersetzungen aber immer schon zur Hauptsache von der Kulturindustrie vorgegeben sind. Wie in der indischen Musik gibt es im Mythos der Kulturindustrie eine Freiheit nur gegen innen, weil die Ansprüche ans Ganze der Existenz und der Realität, wie die grossen Werke sie enthalten, nicht weiter in Ausgestaltungen erhoben werden. Alles Geschehen erscheint als ein Stück Regression, und es wird zum Sinn der Metakultur, nicht das Leben, die Einzelnen oder die Meinungen, sondern eben die Prozesse der Regression unter Kontrolle zu halten, indem sie sie sowohl fördert und unterstützt wie umgekehrt auch aufhebt, insbesondere dort, wo der autoritäre Charakter sich manifest über weite Bevölkerungsschichten auszubreiten droht.

Wenn es in der Tat einen Übergang von der Epoche der Metaphysik zur Metakultur gibt, dann gibt es auch einen Fortschritt, der weder pessimistisch noch optimistisch einzuschätzen wäre und der im Übergang von den Abstufungen der manifesten Regression, die im autoritären Charakter gipfelten, hin zu einer verallgemeinerten kontrollierten Regression bestünde, die von der Kulturindustrie sowohl genährt und gefördert wird, für dieselbe diese sich gleichzeitig aber so einsetzt, dass sie einen gewissen Rahmen, der geschichtlich immer zur Gewalt führte, nicht mehr zu überschreiten vermag.