Archiv für den 'Musik'-Themenbereich

Unsuk Chin 2

Montag, 2. November 2015

Soeben live auf Radio France concert enregistré le 10 octobre 2015 à la Maison de la Radio dans le cadre du Festival d’Automne avec Nieuw Ensemble Amsterdam, Ed Spanjaard, direction.

– Unsuk Chin, Cosmigimmicks – pantomime musicale pour ensemble (composition 2011-2012).

– Unsuk Chin, Akrostichon-Wortspiel – sept scènes de conte de fées, pour soprano et ensemble (composition 1991), Yeree Suh, soprano.

– Jeongkyu Park, INTO… pour sheng et ensemble (composition 2015), Wu Wei : sheng (orgue à bouche).

– Unsuk Chin, Gougalon, scènes de Théâtre de rue, pour ensemble (composition 2009-2011).

Wieder drei Stücke von Unsuk Chin, die mir sehr gut gefallen (auch das von Park hat eine ähnliche materielle Ästhetik, bei ihm zentriert um liebliche Rockmuster herum). Wenn ich beim Prozess des Hörens von Unsuk Chin zu einer Kritik ansetze, verändert sich die Musik, und die Komponistin zeigt sich einsichtig. Die Künstlerin weiss, wie weit sie gehen kann und wie weit sie sich gehen lassen darf. Es zeigt sich bei Unsuk Chin ein starker, gänzlich neuartiger Typus von Subjektivität, eine souverän gemeisterte Subjektivität – alles andere als ein Es, das sich durch die banalen Autoritarismen des Überichs dirigieren liesse.

Sobald eine Musik gegensätzliche Tendenzen enthält, die ästhetisch oder materiell kompositorisch bewusst auf die Spitze getrieben werden, ist sie ernst – und diskutabel.

Gestern im Frühabend bei kompletter Übermüdung während einer Pause der Bildbearbeitung von goldenen Eringerbildern ein Violakonzert gehört, völlig fasziniert und am Schluss ebenso radikal überrascht, dass es vom geschmähten Schnittke stammt. Plötzlich in ihm der Gedanke, der wohl auf die Übermüdung zurückzuführen ist: ich liebe diese Musik mehr als Berg, dessen Engel in ihr ständig anklingt. Genau die erwähnten gegensätzlichen Tendenzen hörte ich, jede für sich an wildfremden Orten plazierbar und im Gesamten so wunderbar neu, dass sich nie die Frage stellte, von wo das Einzelne wirklich herkommt.

Zur Musik von Unsuk Chin habe ich einen unmittelbaren Zugang, zu derjenigen von Schnittke einen vermittelten. An irgendeinem Punkt scheinen sie vergleichbar zu werden.

Rac 3

Freitag, 30. Oktober 2015

Soeben live auf France Musique vom 19. Juni 2015, Myung-Whun Chung dirigeait, à la Philharmonie de Paris, l’Orchestre philharmonique de Radio France.

Serge Rachmaninov, Concerto pour piano et orchestre n°3 en ré mineur opus 30, Daniil Trifonov, piano.

Ein Applaus wie aus der Kanone – und ich schliesse mich dem an… (Rachmaninow konnte ich bislang nie ausstehen, die Musik erschien mir wie ein Brei.)

Unsuk Chin

Montag, 26. Oktober 2015

Soeben live auf Radio France concert enregistré le 9 octobre 2015 à la Maison de la Radio dans le cadre du Festival d’Automne avec l’Orchestre Philharmonique de Radio France, Sunwook Kim, piano, Isang Enders, violoncelle, Kwamé Ryan, direction.

Rocana.

Concerto pour piano et orchestre.

Concerto pour violoncelle et orchestre.

Drei aktionsreiche und sinnliche Stücke, in denen es Lust macht, Neues zu entdecken, ohne je im Vagen gelassen zu werden.

Lachenmann, Kyburz, Murail, Francesconi

Montag, 19. Oktober 2015

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 3 octobre au Palais de la musique et des congrès de Strasbourg, WDR Sinfonieorchester Köln, GrauSchumacher Piano Duo (ptyx, MACCHINE IN ECHO), Direction, Peter Rundel.

Helmut Lachenmann, Tableau (1988). – Eine Musik weit progressiver als alles, was man sich in den letzten Tagen aus dem neochristlichen Donaueschingen her (reformiert) anhören musste. Beeindruckend farbig das Ganze und rhythmisch in frechen Zügen, trotzdem mit einer äusserst starken Kohärenz durchsetzt. Ein Freudenstück!

Hanspeter Kyburz, ptyx (2015), deux pianos solos, création mondiale. – Der Kern des Stückes erscheint nur wenig zwingend; an manchen Stellen könnte es auch anders weitergehen. Eine schöne, aber nicht recht verbindliche Musik – man könnte zuweilen von den Noten abstrahieren und das Stück freihändig als eine Jazznummer spielen, ohne dass etwas verloren ginge.

Tristan Murail, Reflections / Reflets (2013), I. Spleen / Quand le ciel bas et lourd… II. High Voltage / Haute tension. – Ein klebriger Tonsirup, eine vom Computer harmonisierte einstimmige Etudenmusik.

Luca Francesconi, MACCHINE IN ECHO (2015), concerto pour deux pianos et orchestre, création française. – Der Komponist benutzt das Orchester als grosse Mamma, an deren Hand die Noten gehen sollen. Das Orchester ist in Wirklichkeit überflüssig, und wo es spielt, löst sich die spärliche Kohärenz auf. Der lange Schluss ist infantiler Bernstein. Der grosse Komponist Berio war wie Ligeti ein schlechter Lehrer.

Chauris, Filidei, Curran, Andre

Sonntag, 18. Oktober 2015

Soeben direkt live auf SWR2 SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Jörg Widmann (Klarinette), Jugendorchester St. Georgen-Furtwangen (Leitung: Michael Berner), Experimentalstudio des SWR, Leitung: François-Xavier Roth.

Yves Chauris, „Why so quiet“, für großes Orchester (UA). – Eine Serie von Klangerruptionen, rhythmisch leicht unterbelichtet.

Francesco Filidei, „Killing Bach“, für Orchester (UA). – Klamaukmusik.

Alvin Curran, „The Book Of Beginnings“, für Orchester, Jugendorchester, 2 Selbstspielklaviere & Smartphone-App (UA). – Ein ziemlich starkes Stück mit viel Farbe und Abwechslung. Viele Buhs trotzdem…

Mark Andre, „über“, für Klarinette, Orchester und Live-Elektronik (UA). – Da geht es einen Schritt zu weit ins Reich des Kitsches hinein. Der religiöse Glaube ist kein Fundament, das längerfristig eine kompositorische Ästhetik zu tragen vermag. Die vom Komponisten versteckten Zeichen zünden nicht und bleiben stumpf.

Barden, Sandoval, Pena, Winkler, Finnendahl

Samstag, 17. Oktober 2015

Soeben direkt live auf SWR2 von Donaueschingen ensemble mosaik, Leitung: Enno Poppe.

Mark Barden, „aMass“ für verstärktes Ensemble (UA). // Carlos Sandoval, „AntiLegos“ für 10 Solisten (darunter 5 Videoklone) Teil 1. // Luis Antunes Pena, „nomás“ für Bassflöte, Bassklarinette, E-Gitarre, Schlagzeug, Klavier, Viola, Violoncello, Elektronik (UA). // Carlos Sandoval, „AntiLegos“ für 10 Solisten (darunter 5 Videoklone) Teil 2. // Stephan Winkler, „Überraschung“ für 7 Instrumentalisten und Elektronik. // Carlos Sandoval, „AntiLegos“ für 10 Solisten (darunter 5 Videoklone) Teil 3. // Orm Finnendahl, „AST“ für Kammerensemble, 32 selbstspielende Maschinen, Live-Elektronik und Zuspielung (UA).

Kindergartensoundgebilde ohne Witz, ohne Form und ohne objektive kompositorische oder dramaturgische Spannung.

Kreidler, Ayres, Pasovsky, Borowski

Freitag, 16. Oktober 2015

Soeben direkt live auf SWR2 von Donaueschingen SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Leitung Peter Eötvös, Gregor Mayrhofer.

Johannes Kreidler, TT1, für Orchester und Elektronik (2015), Uraufführung. – Ein unmusikalisches, unmotiviertes Spiel mit Tönen und zusätzlichen Mikrotönen, und ein debiler Computer hatte beim Komponieren auch mitgemischt. Der Begriff des Antihelden steht nicht unbedingt für etwas Gutes, aber für etwas Interessantes und Bedenkenswertes – wofür aber steht der musikalische Begriff des Anticharakters?

Richard Ayres, No. 48 (2015) für großes Orchester, Deutsche Erstaufführung. – Suzy’s 48 Crash vor 40 Jahren fand ich so gut wie dieses Stück schlecht. Humor hat in der Musik nichts verloren, insbesondere nicht der kindische.

Yoav Pasovsky, Pulsus alternans (2015) für Orchester, Uraufführung. – Sowohl im Detail wie im Ganzen klug komponierte Gruppen von rhythmischen Schwebungen, mit sehr schönem Gesamteffekt.

Johannes Boris Borowski, Sérac für Orchester (2014/15), Uraufführung. – Das Stück hat einen Zug, dem man gerne folgt, eine Spannung in der grossen Form. Im Kleinen gibt es manchmal Parallelbewegungen wie in der Marschmusik, die sich als neue versteht, also wie im Dixie-Jazz.

Manoury, Le temps – mode d’emploi

Montag, 12. Oktober 2015

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 25 septembre à la Salle de la Bourse de Strasbourg dans le cadre du Festival Musica.

Philippe Manoury (né en 1952), Le temps, mode d’emploi (2014, création française), avec Andreas Grau, Götz Schumacher, pianos, Experimentalstudio des SWR, réalisation informatique musicale, José Miguel Fernandez, régie informatique musicale.

50 Minuten leichte, grossartige Unterhaltung im Stile von Répons. Das Stück könnte mit denselben Spielern und derselben Live-Elektronik auch an einem Rock- oder Jazzfestival aufgeführt werden – grosser Applaus wäre garantiert.

Lachenmann, Cendo

Montag, 5. Oktober 2015

Soeben live auf France Musique Concert enregistré le 24 septembre 2015 à France 3 Alsace (Strasbourg) dans le cadre du Festival Musica, Ensemble Linea, Jean-Philippe Wurtz, direction.

Helmut Lachenmann (né en 1935), Mouvement (- vor der Erstarrung). – Auch die Klassik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzt einmal Staub an … und wird zur glücklichen Unterhaltung.

Raphaël Cendo (né en 1975), Corps. – Vielleicht das erste Stück von Cendo, das mir beim Zuhören gefällt, obwohl auch hier mit Käpslipistolen geschossen wird; intendierte Unterhaltung in der Kunst mutiert zur Unwahrheit.

Francesco Filidei, Giordano Bruno

Montag, 28. September 2015

Soeben live auf France Musique Opéra enregistré le 20 septembre au Théâtre de Hautepierre dans le cadre du festival Musica 2015, avec Lionel Peintre, baryton (Giordano Bruno), Jeff Martin, ténor (Inquisiteur 1), Ivan Ludlow, basse (Inquisiteur 2), Guilhem Terrail, contre-ténor (Le Pape), Remix Ensemble Casa de Musica (Porto), Peter Rundel, direction.

Francesco Filidei (né en 1973), Giordano Bruno.

Ziemlich eindrücklich und wahr.

Lachenmann, Kyburz, Robin

Montag, 21. September 2015

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 18 septembre 2015 au Palais de la Musique et des Congrès de Strasbourg dans le cadre du festival Musica 2015, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Pascal Rophé, direction, Robin Meier, réalisation informatique musicale Ircam.

Helmut Lachenmann (né en 1935), Kontrakadenz (1970-1971). – Ein Stück des jungen Komponisten, in dessen zweitem Teil erst die vorher ungeschützt vorgeführten Materialien kompositorisch umgegossen werden. Die Spracheinspielungen wirken heute unnötig oder gar deplaziert, ihre Aktualisierung („Facebook“) gibt einem das Gefühl, alte Klamotten vorgeführt zu bekommen. Der zweite Teil instrumental wirkt indes immer noch aufweckend, im guten Sinne sogar aufwühlend.

Hanspeter Kyburz (né en 1960), Ibant oscuri (2014, création française). – Festmusik zu Helden aus der Lateinstunde. Der Komponist schielt mit den prallen Unisono- und Fanfarenpartien auf eine Erweiterung des Publikums, der Hörer aber denkt an einen wie in Glas einkomponierten Applaus. Gekonnte Kunst im schönen Gewand, desorientiert auf der Gegenseite der Aufklärung lustwandelnd. Schöne Musik kann verlegen machen: es dünkt einen, man höre der Musik an, dass ihr Schöpfer sich lange Gedanken darüber gemacht hat, dass die zeitgenössische Kunstmusik ein zu kleines Publikum hat und dass man es mit Tricks vergrössern müsste.

Yann Robin (né en 1974), Inferno (2011-2012, révisée en 2015, création mondiale nouvelle version). – Ein umwerfendes Höllenfahrtsgaudi, mit oder ohne Dante: ich bin dabei! – Es gibt ein Video zur Musik, allerdings nur wenige Minuten lang, aus einer Giesserei mit inszenierten Prozeduren, die höllisch wirken sollen, aber leicht nach Slapstick riechen. Der Komponist wollte sich wohl gegen die Unterstellung absichern, neotheologisch abzudriften. Einige Werke zurzeit haben mit dem Vorwurf zu kämpfen, dass sie zu unterhaltend sind, zwar komplex, aber doch zusehr der Anhäufung von Ereignissen verschrieben, ja dem Spektakel. Ein Genuss ist diese Musik auf jeden Fall, und den Vorwurf der Leichtigkeit kann man ihr auch nicht machen. Da ich das Werk sofort noch einmal hören würde – und das gilt auch für die beiden anderen Stücke des Abends – enthält es genügend Substanz, um als zeitgenössische Kunst diskutiert zu werden.

Das schlaue Füchslein mal anders

Sonntag, 2. August 2015

Gestern Nachmittag live auf Bayern 4 vom 22. Oktober 2011 im Gasteig Das schlaue Füchslein, nicht original Leoš Janácek, sondern neu getextet nach Brod von Katharina Neuschaefers über der Suite von Sir Charles Mackerras.

Die sogenannte Kinderoper wird von Rufus Beck im Alleingang durchgezogen, als wäre er ein ganzer Zoo. Seine Darstellung der Tiere ist so umwerfend, dass das ganze Werk der Erwachsenenwelt nicht weiter vorenthalten werden sollte.

Rihm, Die Eroberung von Mexico

Sonntag, 26. Juli 2015

Soeben direkt live auf Ö1 aus der Felsenreitschule im Rahmen der Salzburger Festspiele 2015 von Wolfgang Rihm: Die Eroberung von Mexico. Mit Angela Denoke (Montezuma), Bo Skovhus (Cortez), Susanna Andersson, Marie-Ange Todorovitch, Stephan Rehm, Peter Pruchniewitz; ORF Radio-Symphonieorchester Wien; Dirigent: Ingo Metzmacher.

Vielleicht bin ich endlich auf dem Weg, das gute Stücke zu begreifen. So spannungsgeladen – und reif – ist es mir noch nie erschienen.

Birtwistle, Knussen, Haddad, Benjamin, Ligeti

Mittwoch, 22. Juli 2015

Soeben live auf Bayern 4 Aldeburgh Festival vom 25. Juni 2015 mit der London Sinfonietta, Leitung George Benjamin, Klavier Pierre-Laurent Aimard.

Harrison Birtwistle, Carmen Arcadiae Mechanicae Perpetuum // Oliver Knussen, Songs without voices // Saed Haddad, In contradiction // George Benjamin, At first light // György Ligeti, Klavierkonzert

Alles attraktive Stücke. Kaum zu glauben, dass man an dem südenglischen Ort der Reaktion eine progressive Programmierung dem Publikum zuzumuten wagt. Sogar Benjamin hält einem die Ohren wach, am Schluss zitiert er Varèsische Wendungen. Das beste Stück? Von Birtwistle.

Diotima: Gervasoni, Glerup, Fedele, Bartók

Montag, 29. Juni 2015

Soeben live auf France Musique concert enregistré aux Bouffes du Nord le 15 juin 2015 dans le cadre du Festival ManiFeste. Alain Billard, clarinette, Quatuor Diotima: Yun Peng Zhao, violon, Constance Ronzatti, violon, Franck Chevalier, alto, Pierre Morlet, violoncelle, Thomas Goepfer, réalisation informatique musicale Ircam.

Stefano Gervasoni (né en 1962), Clamour, troisième quatuor à cordes. – Musik wie ein stehengelassenes Weihnachtsbäumchen im Sommer. Ein dürres Gebilde mit unpassenden Accessoires: zu trivial und altertümlich die kleinen Formmomente.

Rune Glerup (né en 1981), Clarinet Quintet (Sill leaning toward this Machine) pour clarinette et quatuor à cordes (commande Ircam-Centre Pompidou, création). – Vom ersten Ton an packend, sowohl im Rhythmus, in der Harmonik und in der Gestaltung. Trotz der ständigen Anspielung an diverses Altes sehr sicher gesetzt (mit Ausnahme der letzten paar Takte) und mit den Augen vorwärts gerichtet.

Ivan Fedele (né en 1953), Quatuor n° 2 « Pentalogon Quartet » (1987-1989, rév. 2009). – Kleine Charakterstücke mit einer gewissen poetischen Kraft.

Béla Bartók (1881-1945), Quatuor à cordes n° 5 en si bémol majeur BB 110 SZ 102 – I. Allegro, II. Adagio molto, III. Scherzo : Alla bulgarese, IV. Andante, V. Finale : Allegro vivace (1934). – Glerups Quartett ist besser, aber der letzte Bartóksatz ist immer noch umwerfend, bis in die letzten Takte.

Philippe Hurel, Tour à tour

Montag, 8. Juni 2015

Soeben live auf France Musique concert enregistré à l’Auditorium de la Maison de la Radio le 5 juin 2015, dans le cadre du Festival ManiFeste. Orchestre Philharmonique de Radio France, Carlo Laurenzi, réalisation informatique musicale Ircam, Jean Deroyer, direction.

Philippe Hurel (né en 1955), Tour à tour – I. L’Envol, pour orchestre II. La rose des vents, pour orchestre et électronique III. Les rémanences, pour orchestre.

L’Envol erscheint in einer Art Momentform, die dem Komponisten so viele Verschnaufpausen ermöglicht wie nötig – nichts gibt es, das sich verbindlich durch die ganze Flugbahn verfolgen liesse. Einige Momente sind hübsch, andere zu banal. Der Komponist hat einen unkontrollierten Hang zum nordamerikanischen Festsound der Feldmusik; er sollte sie gewissenhaft studieren, vielleicht in Bayern, um auf solche Weise von ihr wegzukommen, dass auch das Moment der Überraschung eine Chance bekommt.

La rose des vents besteht aus verschmierten Lentoklängen. Peinlich der Propellereffekt, einmal abwärts, geklaut bei der ersten Platte von Emerson, Lake & Palmer, dann auch aufwärts, das Ganze verdoppelt und verdreifacht. Die Paukenschläge ins pinkfloydsche Grunzen hinein finde ich gelungen, sie erscheinen nochmals im dritten Teil (der vor diesem zweiten geschrieben war). Der Komponist scheint im IRCAM weniger mit einem Informatiker als mit einem Archivar zusammengearbeitet zu haben.

Les Rémanences favorisiert wieder die lose, unverbindliche Momentform, mal hitzig bewegt, mal langfädig, mal, wohl als Vermittlung gedacht, langweilig dazwischen. Musik als Kunst des Übergangs wird verleugnet, weil es an Selbstvertrauen und Selbständigkeit fehlt. Paris wirkt zuweilen wie eine musikalische Wüste.

Hèctor Parra und Händl Klaus: Wilde

Sonntag, 7. Juni 2015

Soeben live auf SWR 2 vom 22. Mai 2015 im Rokokotheater Schwetzingen das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter Peter Rundel mit Ekkehard Abele, Marisol Montalvo, Mireille Lebel, Lini Gong, Vincent Lièvre-Picard, Bernhard Landauer.

Hèctor Parra und Händl Klaus: Wilde (Uraufführung).

Ein Arzt will von einem Einsatz bei den Ärzten ohne Grenzen im Zug nachhause fahren, gerät in einen Unfall, von da in ein Haus mit fünf Geschwistern, zwei männlichen, drei weiblichen. Seine Versehrtheit zeigt sich im ständigen Verlangen nach Wasser. Die Abläufe werden beim Zuhören nicht klar, aber eindeutig geholfen wird ihm nicht, oder hilft er nicht den andern. Die Schwestern erscheinen zuweilen wie Rheintöchter. Die Musik klebt quasi kongenialisch am dichten, kaum zu durchschauenden Text, dem man mit Spannung folgt.

Pascal Dusapin, Disputatio

Samstag, 6. Juni 2015

Soeben direkt live auf Deutschlandradio Kultur RIAS Kammerchor und Münchener Kammerorchester, Leitung Alexander Liebreich.

Pascal Dusapin, Disputatio mit einem Text von Alcuin aus dem 9. Jh., Uraufführung.

Keine schwergewichte und keine wichtige, aber auch keine üble Musik; vielleicht etwas zu gleichförmig.

Zusatz: Das Stück verdient wahrscheinlich einen besseren Kommentar. Es wurde aber in einer Umgebung gesendet, die ihm nur schaden konnte. Vor der Konzertübertragung brachte Deutschlandradio Kultur, in Bern als Internetradio mit eingeschränkten Höhen und Bässen empfangen, eine Stunde lang Musik von Josef Matthias Hauer, dem falschen Zwölftonprätendenten. Das ist eine Pseudomusik, in der man nur schwerlich einen ästhetisch-künstlerischen Anspruch ausmachen kann. Im Konzert wurde dem 40 minütigen Stück von Dusapin ein kleines von Brahms vorangestellt, Geistliches Lied op. 30, das hübsch ist wie vieles von Brahms, einem die Ohren aber kaum auf Neues einzustimmen vermag. Schlimmer dagegen war das Nachfolgewerk, das Requiem op. 9 von einem gewissen Maurice Duruflé aus dem 20. Jahrhundert, das ausserhalb streng katholisch reglementierter Klostersäle ganz einfach nichts zu suchen hat. Merde, was für eine dicke, unmögliche Luft! Ja eben, dieses dumpfe Umfeld wirkt in der Weise auf das uraufgeführte Werk ein, dass man sich zu meinen genötigt sieht, der Komponist, der die Disputatio eigens für dieses Konzert geschrieben hat, fühle sich darinnen vielleicht gar nicht so unwohl.

Jordi Savall: Ibn Battutan (1. Teil)

Mittwoch, 3. Juni 2015

Soeben live auf France Musique concert du 20 novembre 2014 à l’Emirates Palace Auditorium d’Abu Dhabi:

Jordi Savall et l’ensemble Hespèrion XXI, „Ibn Battuta, voyageur de l’Islam“ – Du Maroc à l’Afghanistan (1300-1336).

Umwerfend, dieser Farbenreichtum in einem einzigen Konzert!

Lulu

Dienstag, 26. Mai 2015

Gestern Abend auf Bayern 4 direkt live aus dem Münchner Nationaltheater Alban Bergs Lulu mit Marlis Petersen, Daniela Sindram, Bo Skovhus, Pavlo Hunka, Matthias Klink, Bayerisches Staatsorchester, Leitung: Kirill Petrenko.

Eine wohltuend vermittelnde musikalische Interpretation ohne leichtfertige Schrillheit, die doch immer nur so tun musste, als würde die Welt sei es durchs Kapital oder die Regressivität der Einzelnen in der Gesellschaft an die Wand gefahren. Die Oper von gestern, als Aufführung in München am 25. Mai 2015 der Bergoper aus den 1930er Jahren, steht noch im Glauben, dass das Kräftespiel zwischen Ökonomie, Gesellschaft und Natur in den kommenden Zeiten Bestand haben wird.