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Heimatdichtung jodelfrei

Sonntag, 19. August 2018

Für einen, der die ersten 19 Jahre in einem Vorort von Luzern verbrachte und die nächsten 42 Jahre in Bern, ist der Begriff der Heimat widersinnig, weil an diesen Plätzen genügend Infrastruktur dafür sorgt, dass man mit dem allgemeinen Prozess des Weltgeschehens ohne besondere Anstrengung in Kontakt steht. Die Vorstellung, vom Begriff der Heimat Gebrauch machen zu wollen, wäre regressiv. Dass der Begriff überhaupt nicht aufscheinen dürfe, ist damit aber nicht ausgemacht. Gestern Abend auf SRF 2 ein Hörspiel, wie mich schon lange keines mehr berührt hat: «Am Rand» von Hans Platzgumer (Produktion SWR 2016). Trotz des Hörens unter Kopfhörern ist es ausserordentlich diffizil, dem Südtiroler Dialekt zu folgen. Doch die Anstrengung lohnt sich. Denn das Ganze reisst den Horizont in eine Gegend auf, die mir komplett unbekannt ist und nur vom Hörensagen einer Sandwichposition zwischen dem Nationalsozialismus vom Norden und dem Faschismus vom Süden her – und den Widerständen dagegen – an die Geschichte angebunden scheint. Solches Abgeschiedene wird Heimat, wenn in einer Geschichte Gegebenheiten innerhalb dieses kleinen Ganzen zirkulieren – ohne kitschige Unterdrückung der empirischen Objekte der Gesamtgesellschaft in ihm und umgekehrt ohne Schielen aufs Vokabular einer irgendwie idealisierten (oder verteufelten) Aussenwelt. Beeindruckend, was für eine Spannung in der Enge der topologischen Immanenz erzeugt werden kann. Wie ein Putzmittel gegen Heimatverliebte allerorten.