Archive für 27. Januar 2014

Béla: Crumb, Stroppa, Ligeti, Mozart

Montag, 27. Januar 2014

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 18 janvier 2014 dans l’amphithéâtre de la Cité de la Musique avec le Quatuor Béla: Frédéric Aurier, violon, Julien Dieudegard, violon, Julian Boutin, alto, Luc Dedreuil, violoncelle.

George Crumb (né en 1929), Black Angels. – Das dünkt mich heute ein verkanntes Zwillingsstück zu Star Spangled Banner von Jimi Hendrix. (Wenn ihr für den Unterricht euch für ein einziges der beiden entscheiden müsst, nehmt Jimi. Denn wenn es nur um euch selbst geht und ihr noch ein paar Tassen im Schrank habt, nehmt ihr sowieso Crumb.)

Marco Stroppa (né en 1959), Spirali, Serge Lemouton, réalisation informatique musicale Ircam. – Das Stück enthält ein paar Passagen zuviel, in denen es schwach oder geradezu kindisch klingt. Zuweilen tönt es wie falsch instrumentiert oder instrumentatorisch, also gattungsmässig falsch konzipiert: die Musik verlangte unerhört nach einem Orchesterausbruch.

György Ligeti (1923-2006), Quatuor n°1 „Métamorphoses nocturnes“. – Eine Musik, deren Beginn aus einer bruchlos-stetigen Steigerung besteht, zeugt von viel Selbstvertrauen, und die Komposition aus den Nachfluchtjahren in Österreich beweist uneingeschränkt im ganzen Zug dieselbe; beim Hören zeigt sie sich als ungebrochenes naives Vergnügen. … Ein Mensch nach der Flucht und so gut drauf: Depressive, hört die ligetischen Signale! (Und überhaupt, in meinem Alter klingt das wie Zappa.)

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Adagio pour glassharmonica K.356. – Bravo, hübscher Zirkuswitz!

Adorno in der Kioskauslage

Montag, 27. Januar 2014

Letzte Woche erhielt ich den neuesten Germanistenadorno zugespielt: Martin Mittelmeier, Adorno in Neapel – Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt, Diss. 2012, München 2013. Unter Umgehung aller Anstrengung der Theorie und in Verschwiegenheit, trotz des Untertitels, gegenüber dem geschichtlichen Ort der Philosophie wird einem Schriftsteller der deutschen Hochkultur in die Heimarbeit hineingeleuchtet, wie es das deutsche Volksblatt Stern jede Woche auf gleiche Weise neu nicht besser oder schlechter macht (in der letzten Ausgabe blätterte ich vor vierzig Jahren). Fintenreich werden von Anfang bis zum Schluss mögliche Einwände gegen die Kryptohypothese ironisiert, Ferienreisen könnten auch in einem so komplexen Werk wie dem Adornos eine entscheidende Bedeutung haben, sodass man sie gar als den Kern ihres Aufbaus verstehen müsste. Dabei wird der Begriff der Konstellation aus den Feldern seines gewöhnlichen und vielfältigen Gebrauchs herausgenommen und in die neapolitanische Ferienlandschaft der 1920er Jahre eingelassen, als hätte der Seilbahnfahrer Wiesengrund-Adorno ihn sich auf der untersten Decke des Vesuv-Kraters höchstpersönlich angeeignet.

Wird den Gehalten der Theorie Adornos durch paradigmatische Privatgeschichten ausgewichen, folgt der Aufriss der akademischen Dissertation einem Verfahren, das erst seit kurzem technisch möglich ist und dem Ausweichen einen zusätzlichen Schub verpasst: Mittelmeier verzichtet darauf, die wenigen ausgewählten Werke Adornos an isolierten, einheitlichen Stellen zu explizieren, zu diskutieren und zu deuten. Vielmehr folgt er dem seitengemässen Output, den ihm der Algorithmus der digitalen gesammelten Werke Adornos aufs gewählte Suchwort der Konstellation hin anbietet und verknüpft die Stellen mit den Erlebnissen, bis erst nach der umständlichen Reihung der Bruchstücke, die als vereinzelte Adornos Intentionen nur noch schwach erahnen lassen, ein Ganzes dasteht, das Mittelmeiers These rechtfertigt. Von einer Notwendigkeit, die die Theorie mit der geschichtlichen Wirklichkeit verbindet, kann dann nicht mehr die Rede sein, und Adorno wird peu à peu zu einem jener gehobenen und vornehmen Gesellschaftsautoren, aus deren Leben die Kioskliteratur parallel zur astrologischen einmal diese Facette beleuchtet wie ein anderes Mal eine andere.