Adorno in der Kioskauslage

Letzte Woche erhielt ich den neuesten Germanistenadorno zugespielt: Martin Mittelmeier, Adorno in Neapel – Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt, Diss. 2012, München 2013. Unter Umgehung aller Anstrengung der Theorie und in Verschwiegenheit, trotz des Untertitels, gegenüber dem geschichtlichen Ort der Philosophie wird einem Schriftsteller der deutschen Hochkultur in die Heimarbeit hineingeleuchtet, wie es das deutsche Volksblatt Stern jede Woche auf gleiche Weise neu nicht besser oder schlechter macht (in der letzten Ausgabe blätterte ich vor vierzig Jahren). Fintenreich werden von Anfang bis zum Schluss mögliche Einwände gegen die Kryptohypothese ironisiert, Ferienreisen könnten auch in einem so komplexen Werk wie dem Adornos eine entscheidende Bedeutung haben, sodass man sie gar als den Kern ihres Aufbaus verstehen müsste. Dabei wird der Begriff der Konstellation aus den Feldern seines gewöhnlichen und vielfältigen Gebrauchs herausgenommen und in die neapolitanische Ferienlandschaft der 1920er Jahre eingelassen, als hätte der Seilbahnfahrer Wiesengrund-Adorno ihn sich auf der untersten Decke des Vesuv-Kraters höchstpersönlich angeeignet.

Wird den Gehalten der Theorie Adornos durch paradigmatische Privatgeschichten ausgewichen, folgt der Aufriss der akademischen Dissertation einem Verfahren, das erst seit kurzem technisch möglich ist und dem Ausweichen einen zusätzlichen Schub verpasst: Mittelmeier verzichtet darauf, die wenigen ausgewählten Werke Adornos an isolierten, einheitlichen Stellen zu explizieren, zu diskutieren und zu deuten. Vielmehr folgt er dem seitengemässen Output, den ihm der Algorithmus der digitalen gesammelten Werke Adornos aufs gewählte Suchwort der Konstellation hin anbietet und verknüpft die Stellen mit den Erlebnissen, bis erst nach der umständlichen Reihung der Bruchstücke, die als vereinzelte Adornos Intentionen nur noch schwach erahnen lassen, ein Ganzes dasteht, das Mittelmeiers These rechtfertigt. Von einer Notwendigkeit, die die Theorie mit der geschichtlichen Wirklichkeit verbindet, kann dann nicht mehr die Rede sein, und Adorno wird peu à peu zu einem jener gehobenen und vornehmen Gesellschaftsautoren, aus deren Leben die Kioskliteratur parallel zur astrologischen einmal diese Facette beleuchtet wie ein anderes Mal eine andere.

Montag, 27. Januar 2014 um 5:05 am Themenbereich: Theorie                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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