Archive für 26. März 2012

Combier, Jarell, Staud, Dutilleux

Montag, 26. März 2012

Soeben auf France Musique concert enregistré le 1er mars à l’Auditorium de Lyon, dans le cadre de la Biennale Musiques en scène, Orchestre National de Lyon, Pascal Rophé, direction.

Jérôme Combier (né en 1971), Ruins, pour orchestre (2011, commande de l’Orchestre National de Lyon, création mondiale). – Frisch polierte Legosteine als Ruinen eines Spielzeughauses, das vom jähzornigen Kind kurz vor dem Essen einen Tritt versetzt bekommen hat. Die Apokalypse gestern Abend scheint mir heute zeitgemässer.

Michael Jarrell (né en 1958), Emergences – Nachlese VI, pour violoncelle et orchestre (2012, création française, co-commande de Utah Symphony, l’Orchestre de la Suisse Romande, l’Orchestre Philharmonique du Luxembourg et l’Orchestre National de Lyon, avec le soutien du Swiss Arts Council Pro Helvetia), Jean-Guihen Queyras, violoncelle. – Ein grosser Wurf: endlich steht das Verhältnis Soloinstrument zum Orchester in neuem, noch ungewohntem Licht. In der grossen Form noch unvollendet, als ob noch weitere Geschwisterkonzerte mit anderen Soloinstrumenten folgen müssten. Ein Genuss (,) auch die Hoffnung!

Johannes Maria Staud (né en 1974), Über trügerische Stadtpläne und die Versuchungen der Winternächte (Dichotomie II) pour quatuor à cordes et orchestre (2008-2009, commande de l’orchestre de Cleveland), Quatuor Arditti. – Ich habe nicht begriffen, was das Stück zusammenhält, eine Abschnittskomposition, deren einzelne Teile zwar sehr schön sind, aber unmotiviert zusammengeklebt erscheinen. Die Unmotiviertheit gibt mit der Zeit der Langeweile freies Spiel.

Henri Dutilleux (né en 1916), Métaboles (1964), pour orchestre (commande de l’Orchestre de Cleveland). – Hübsche, nichtssagende Abendmusik, gemixt aus Stravinsky, Gershwin und Bernstein. Zum DRS 2 Hören.

Raphaël Cendo, Ténèbres

Montag, 26. März 2012

Gestern Abend live auf Espace 2 vom Festival Archipel 2011 in der Fabrikhalle Schaublin von Mallerey Bevillard „L’introduction aux ténèbres“ de Raphaël Cendo pour baryton, contrebasse, ensemble instrumental et électronique, d’après l’Apocalypse de Jean interprété par l’ensemble orchestral contemporain sous la direction de Daniel Kawka, avec le baryton Romain Bishoff et le contrebassiste Michael Chanu. Un concert enregistré le 27 mars 2011 à la maison communale de Plain-Palais.

45 Minuten lang ein Sound- und Klanggebilde, das einem das Gefühl verschaffte, einem Heavy Metal-Konzert beizuwohnen, in einer Qualität und Eindringlichkeit, von der die effektiven Metaller nur lernen könnten. Trotz der Härte scheint nicht nur sporadisch, sondern in jedem Moment eine ausserordentlich grosse Musikalität auf, die einen förmlich durch das ruppige Klanginferno hindurchzieht. Allerdings vermag die grossartige Ästhetik im musikalischen Kleinen die äusserste Problematik in der Ästhetik des musikalischen Ganzen nicht vom Tisch zu wischen. In einem kommentierenden Text zum Konzert versichert Cendo, von religiösen Attituden frei zu sein und die semantischen Gehalte aus dem ursprünglichen Kontext befreit zu haben, das Apokalyptische also nur für uns zu lesen. 45 Minuten sind indes lang, und ich hörte die ganze Zeit lang im Untergrund der Musik reine Bibelphrasen und nichts in den „Lyrics“, das sich auf unsere Zeit beziehen liesse. Die Haltung widerstrebt mir und stösst mir auf, von unserer Zeit in einer Art zu sprechen, die das Zentrum ihrer Probleme ummäntelt. Wenn man schon ein so schwergewichtiges Wort wie die Apokalypse ins Spiel bringen will, müsste man künstlerisch auf die strukturell wesentlichen Probleme anzuspielen vermögen, ein System der Ökonomie, das sich radikal auf die militärische Antiproduktion abstützt und eine Politik in allen Gesellschaften, die dem radikal Bösen und diskursenthobenen Ideologiefreien der politischen Rechten Raum gibt, die Gesellschaft als Meute jeden Tag neu aufzuhetzen. Das Vokabular des Johannes vor zweitausend Jahren scheint mir im ästhetischen Erlebnis das Werk von Boeing, Blocher und Murdoch eindeutig mehr zu verklären denn als das wahrzunehmen, was es ist und uns zu bedrohen weiss.