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Tod und Theorie

Montag, 14. Mai 2007

Auch wenn es keine Theorie des Todes geben kann, wegen der Weichheit unserer Birnen, versteht doch jeder Vernünftige die Tatsache als absolute Ungerechtigkeit, dass im Tod alle gleich sein sollen, gleich wie alle Schweinehunde, denen wir im Leben und in der Geschichte begegnet waren und auf weiteres begegnen müssen.

Man wäre dann dem Tod auf der Spur, wenn man von sich selbst sagen könnte, ich als Toter werde nicht mit denjenigen Toten vergleichbar sein, die so viel Unglück auf der Welt deponiert hatten. Aus der Pseudo-Ontologie des Todes als zerfallendes Anorganisches würde eine Geschichte, ohne dem Selbst und der Seele Ewigkeit zuschreiben zu müssen. Ohne ein Moment der Natur oder bereits eines der Gesellschaft zu sein, wäre er doch mehr als das blosse Nichts und die dunkle Sinnlosigkeit, die im Schmerz so viel Angst auszulösen vermag. So radikal unverständlich das Fürsichsein des Todes und damit sein Sein überhaupt, so unbestritten ist die Bedeutsamkeit seiner Zeit als dem Zeitpunkt seines Auftretens (med. „seines Eintretens“). So wie die Töne durch die Arten und den Zeitpunkt ihres Erklingens dem Musikstück Sinn geben, wird der Tod dann zum Thema, wenn man über die Zeit seines „Erscheinens“ spricht.

Nicht unwahrscheinlich, dass die grösseren und umfassenderen Theorien der Zeit deswegen so schwerfällig und gescheitert daherkommen, weil ihr Gegenstand vom Tod beherrscht wird, den sie sich vernünftigerweise nicht zum Thema machen können.

(Das Wunschdenken vermag fast ohne Zweifel, den eigenen Tod von dem der Schweinehunde der Geschichte fernzuhalten. Einer freien Gesellschaft, die das Tabu De Mortibus Nil Nisi Bene ausser Kraft zu setzen vermöchte, bleibt es aber vorbehalten, den Tod ihrer Bürger und Bürgerinnen von der Nähe desjenigen der zeitgenössischen Schweinehunde unberührt zu lassen; es gäbe dieselben nicht so himmelschreiend dreist wie in unseren, wo der Skandal so allgemein herrscht wie der Tod gleichgültig betrachtet wird. – Liesse es sich denken, wie ein Anhänger der Schweizerischen Volkspartei SVP oder ihr Führer von sich selbst sagte, er als Toter würde nicht mit denjenigen Toten vergleichbar sein, die all das bekannte Unglück in die Welt gebracht hätten?)