Wagners Walliser Wanderungen
Freitag, 4. Mai 2007Da im Internet mehrerenorts behauptet wird, Richard Wagner hätte am 18. Juli 1852 „auf seiner Italienreise“ den Griespass überquert und daselbst übernachtet, habe ich versucht, in der Autobiographie diejenigen Stellen zusammenzutragen, die Wagners Erfahrungen auf Walliser Boden bezeugen, den er zwischen 1850 und 1858 sechsmal betreten hat. Auffällig scheint, wenn auch die nichtwalliser Bergwanderungen hinzugezogen werden, ein wie wackerer Wanderer der Bergmensch Wagner gewesen war, dass der Brand Wallhalls, also die Götterdämmerung, als Flashback auf Grimsel zu sehen wäre, dass die anderen Bergphantasien in seinen Opern aber eher mit der Bündner Berglandschaft korrespondieren und dass die Waldszene im Siegfried – oh Graus! – sich einem Spaziergang an der Limmat nahe bei Zürich verdankt. Über den Griespass war er ungefähr am genannten Tag tatsächlich gewandert, nicht ohne abenteuerliche Schwierigkeiten, geschlafen hatte er aber nicht oben, sondern zuvor in Obergesteln, nachher in Formazza (Pomat). Das Herausstreichen konkretistischer Bezüge lädt im übrigen weder die Opern noch die Landschaftspartien mit supplementärem schwülstigen Sinn auf, den man erfahren haben müsste, sondern zeigt umgekehrt, wie Trivialitäten des Alltagslebens, die solche bleiben, in grossen Werken, die es gleichwie bleiben, ihren inneren Kurs zu bestimmen vermögen.
1. Besuch: Mai 1850
In Villeneuve am Genfersee. „… Wir suchten uns durch Ausflüge in das schöne Walliser Tal zu zerstreuen…“ (Richard Wagner, Mein Leben, hrsg. v. Gregor-Dellin, München 1976, Seite 457f)
2. Besuch, an den letzten anschliessend: Juni 1850
„Immer darauf bedacht, wie ich es nur anfinge, aus der Welt zu verschwinden, wählte ich mir eine möglichst wilde Gebirgswildnis. … Wir suchten zu diesem Zwecke das einsame Visper-Tal im Kanton Wallis auf; mit ziemlicher Beschwerde drangen wir durch die noch sehr unwegsamen Pfade bis nach Zermatt vor. Dort, am Fuße des ungeheueren und wunderbar schönen Matterhorns, konnten wir uns allerdings als von der ganzen Welt abgeschlossen ansehen. Ich suchte uns in der naiven Wildnis so gut wie möglich einzurichten; aber nur zu bald bemerkte ich, daß Karl [Sohn der Mäzenin Wagners, Julie Ritter, den er zwecks Förderung der Talente zeitweise hüten musste, hier zum ersten Mal] in diese Lage sich nicht zu finden vermochte. Er gestand mir bereits am zweiten Tage, daß er es hier doch gräßlich finde, und meinte, daß es sich doch jedenfalls an einem der offenen Seen besser aushalten lassen würde. Wir studierten die Karte der Schweiz und wählten Thun zum Versuch einer neuen Niederlassung. Auch ich befand mich wieder in dem beängstigenden Zustande der Abspannung meiner Nerven, in welchem jede körperliche Anstrengung mich sofort zu heftiger und schwächender Transpiration brachte. Nur mit äußerster Überwindung vermochte ich den Rückweg aus dem Tale zu nehmen…“ (a.a.O., Seite 458)
3. Besuch: Juli 1852
„… Ich beschloß, den Eintritt einer eigentlichen Sommerwitterung abzuwarten, um dann eine größere Fußreise über die Alpen, von der ich mir eine vorteilhafte Wirkung auf meine Gesundheit erwartete, anzutreten. Herwegh hatte mir versprochen, mich zu begleiten; da er aber, wie es schien, in widerlicher Weise noch abgehalten war, machte ich mich Mitte Juli allein auf den Weg, um unserer Abmachung gemäß von meinem Reisegenossen im Wallis erst eingeholt zu werden. Von Alpnach am Vierwaldstätter See aus trat ich die streng zu Fuß eingehaltene Wanderung an, und zwar nach einem Plane, welcher außer den Hauptpunkten des Berner Oberlandes mir besondere, weniger betretene Pfade durch die Alpenwelt anwies. Ich verfuhr hierbei ziemlich gründlich, indem ich z. B. im Berner Oberland auch das damals noch beschwerliche »Faulhorn« besuchte. Durch das Hasli-Tal im Grimsel-Hospital angelangt, befrug ich den Wirt desselben, einen stattlichen Mann, wegen der Besteigung des »Siedelhornes«. Er empfahl mir als Führer hierzu einen seiner Knechte, einen übel aussehenden rohen Menschen, welcher, indem er die Schneefelder nicht in den üblichen Zackenpfaden, sondern in gerader Linie mich führte, den Verdacht in mir erweckte, daß er es auf meine Ermüdung abgesehen habe. Auf der Höhe des Siedelhornes erfreute mich einerseits der Einblick in die innere Welt der sonst nur in ihren äußeren Formen uns zugekehrten Riesen des Oberlandes, sowie andrerseits der plötzlich sich darbietende Überblick der italienischen Alpen mit dem Montblanc [recte: Grand Combin] und dem Monte Rosa [nur knapp die Dufourspitze ist sichtbar – gut zu sehen wären dagegen Monteleone, Mischabel, Matterhorn, Weisshorn]. Ich hatte nicht verfehlt, mir ein kleines Fläschchen Champagner mitzunehmen, um es dem Fürsten Pückler bei seiner Besteigung des Snowdon nachzumachen; nur fiel mir niemand ein, auf dessen Wohl ich zu trinken hätte. Nun ging es wieder über Schneefelder hinab, über welche mein Führer mit rasender Schnelligkeit auf seinem Alpstock dahinglitt. Ich begnügte mich damit, in mäßigerer Eile auf den Fußhacken vorsichtiger mich hinabzulassen. In der höchsten Ermüdung gelangte ich abends nach Obergestelen, wo ich mich zwei Tage ausruhte und der Übereinkunft nach auf Herwegh wartete. Statt seiner traf aber nur ein Brief von ihm ein, der mich gewaltsam aus meinen Alpeneindrücken in die unangenehme bürgerliche Lage hinabzog, in welcher der Unglückliche infolge der angedeuteten Störungen sich damals befand. Er befürchtete nämlich, ich hätte mich durch seinen Gegner einnehmen und dadurch zu einem unfreundschaftlichen Urteil über ihn verleiten lassen. Ich meldete ihm, er möge sich hierüber keine grauen Haare wachsen lassen und in der Italienischen Schweiz möglichst noch mit mir zusammentreffen. So machte ich mich denn mit meinem unheimlichen Führer allein zur Besteigung des Gries-Gletschers und der Wanderung über dessen Paß nach der Südseite der Alpen auf. Bei dem Aufsteigen bot sich mir ein lange währender höchst trauriger Anblick dar: unter den Kuhherden der Hochalpen war die Klauenseuche ausgebrochen, und zahlreiche Scharen davon zogen in langen Reihen an mir zur notwendigen Pflege nach den Tälern herab. Die Kühe waren auf das äußerste abgemagert, so daß sie Skeletten glichen, und schlichen jammervoll mühselig dahin; wie mit einer unbegreiflichen Schadenfreude schien die prachtvolle Umgebung mit der üppigen Weide auf diese traurige Flucht aus ihr hinzublicken. Am Fuße des steil aufsteigenden Gletscher-Abfalls kam ich in so gänzlich niedergeschlagener Stimmung an und fühlte meine Nerven so übermäßig abgespannt, daß ich erklärte, umkehren zu wollen. Ich erfuhr hierüber die rohe Verhöhnung meines Führers, der mich über meine Weichlichkeit zu verspotten schien. Der Ärger darob spannte meine Nerven an, und sofort machte ich mich auf, die steilen Eiswände in größter Schnelligkeit hinanzuklimmen, so daß er es diesmal war, welcher mir schwer nachkam. Die fast zwei Stunden andauernde Wanderung über den Rücken des Gletschers hin vollbrachten wir unter Schwierigkeiten, welche selbst den Grimsel-Knecht wenigstens um sich besorgt machten. Es war frischer Schnee gefallen, welcher die Eis-Schründe oberflächlich verdeckte und demnach gefährliche Stellen nicht genau erkennen ließ. Hier mußte der Führer gehörig vorangehen, um die Pfade genau zu rekognoszieren. Endlich gelangten wir an die Öffnung des Hochtales nach dem Formazza-Tale zu, nach welchem zunächst wiederum ein jäher Abfall von Schnee und Eis führte. Hier begann mein Führer wieder sein verwogenes Spiel, indem er mich, statt im sicheren Zickzack, abermals in gerader Linie über die jähesten Abhänge geleitete; da wir auf diese Weise an ein so steiles Geröllfeld gelangten, daß ich einer unausweichlichen Gefahr entgegensah, bedeutete ich meinen Geleiter auf das ernstlichste und zwang ihn eine große Strecke mit mir zurückzugehen, um auf einen von mir erspähten minder jähen Pfad zu gelangen. Unwirsch mußte er einwilligen. Sehr ergreifend war für mich nun bei meinem Heraustreten aus der starren Wildnis die erste Berührung mit der Kultur. Die erste dem Vieh wieder zugängliche dürftige Weidestelle hieß die Bettel-Matt, und der erste Mensch, der uns begegnete, war ein Murmeltier-Jäger. Bald belebte sich die Wildnis aber durch die ungeheuere Wirkung des herabstürzenden Bergflusses, der Tosa, welcher an einer Stelle einen in drei weiten Absätzen sich brechenden Wasserfall von überwältigender Schönheit bietet. Nachdem beim unablässigen Hinabsteigen das Moos und die Flechten sich zu Gras und Wiese, das Knieholz zu immer aufrechteren Kiefern und Fichten umgewandelt hatten, gelangten wir endlich in immer traulicherer Talgegend nach dem heutigen Ziel unsrer Wanderung, dem Dorfe Pommath, von der italienischen Bevölkerung Formazza genannt. Hier galt es denn wirklich zum erstenmal in meinem Leben Murmeltier-Braten zu essen. Von größter Ermüdung durch wenigen Schlaf nur ungenügend gestärkt, machte ich mich am andren Morgen allein auf die weitere Wanderung das Tal abwärts, nachdem ich meinen Führer ausgelohnt und auf den Heimweg geschickt hatte. Daß ich unter der Obhut dieses Menschen in wirklicher Lebensgefahr gewesen war, erfuhr ich erst im November dieses Jahres, als die ganze Schweiz von der Nachricht alarmiert wurde, daß das Grimsel-Spital abgebrannt und von niemand anders als dem Wirt desselben, welcher dadurch von den Gemeinden die Erneuerung des Pachtvertrages für die Grimsel-Wirtschaft sich zu ertrotzen hoffte, in Brand gesteckt worden war. Er selbst hatte sofort bei der Entdeckung seines Verbrechens in dem kleinen See, an dessen Ufern das Spital liegt, sich ertränkt; der Knecht aber, welchen er zu der Brandlegung erkauft hatte, war festgenommen und zur Strafe abgeführt worden. Ich erfuhr aus dessen Namen, daß es derselbe war, welchen der vorsorgliche Grimsel-Wirt mir zu meiner einsamen Wanderung über denselben Gletscherpaß mitgegeben hatte, auf welchem, wie ich nun ebenfalls erfuhr, zwei Frankfurter Reisende nicht lange vor mir verunglückt und umgekommen waren: so daß ich denn abermals Gelegenheit hatte, mich als auf besondere Weise einer drohenden Todesgefahr entgangen zu betrachten. Unvergeßlich sind mir nun die Eindrücke der Wanderung durch das immer tiefer sich senkende Tal geblieben. Namentlich überraschte mich die plötzlich sich erschließende südliche Vegetation, nachdem ich durch einen engen Felsenpaß, in welchen die Tosa sich zusammendrängte, steil herabgestiegen war. Bei heißer Sonnenglut gelangte ich am Nachmittage nach Domo d’Ossola. …“ (a.a.O., Seiten 495ff)
4. Besuch, an den letzten anschliessend: Juli-August 1852
„(Wir wollten uns) über den Simplon und durch das Wallis noch nach Chamonix wenden. Die Ermüdung, welche mich bisher mein Ausflug gekostet hatte, sagte mir …, daß ich so bald zu einem ähnlichen Unternehmen mich nicht wieder aufmachen würde, und es drängte mich daher, das Sehenswürdigste der Schweiz bei dieser Gelegenheit vollends in Augenschein zu nehmen. Überhaupt war ich aber wohl, wie seit längerer Zeit es mit mir stand, in der Stimmung, mir durch einen neuen äußeren Eindruck eine bedeutende Wirkung auf mich zu erwarten. Deshalb wollte ich den Montblanc nicht vorbeigehen lassen. Sein Anblick ward mit großen Beschwerden erkauft, unter welchen eine nächtliche Ankunft in Martigny zu nennen ist, wo infolge großer Überfüllung der Gasthöfe allseitig die Unterkunft verweigert wurde und wir nur, mit Benutzung des Liebesverhältnisses eines Postillons zu einem Dienstmädchen, widerrechtlich in einer für diese Nacht von der Herrschaft verlassenen Privatwohnung ein Obdach fanden. Im Chamonix-Tal besuchten wir pflichtgemäß das sogenannte »Eismeer« und die »Flégère«, von welcher aus auch mich der Anblick des Montblanc allerdings bedeutend anregte. Meine Phantasie beschäftigte sich jedoch weniger mit der Besteigung dieses Gipfels als vielmehr mit einer Überschreitung des Col des géants, indem mich weniger die zu erreichende große Höhe als die andauernde erhabene Öde auf dieser letzteren Wanderung anzog. Ich nährte längere Zeit den Vorsatz, ein solches einziges Abenteuer noch einmal zu bestehen. Beim Herabsteigen von der »Flégère« verrenkte Minna [seine Frau] bei einem Falle sich den Fuß, davon die schmerzlichsten Folgen uns von jetzt an von jeder weiteren Unternehmung zurückhielten; wogegen wir nun die Heimreise über Genf zu beschleunigen uns genötigt sahen.“ (a.a.O., Seite 499)
5. Besuch: Juli 1854
„Von der Eidgenössischen Musikgesellschaft war ich zu der Direktion ihres diesjährigen Musikfestes in Sion eingeladen. Diese hatte ich abgelehnt, jedoch versprochen mich einzufinden, um, sobald die Mittel dazu mir genügend erscheinen würden, an einem der Festtage die A-Dur-Symphonie von Beethoven zu dirigieren. … Leider traf ich am Sitze des diesjährigen Festes so gegen alles Erwarten unzureichende und kleinliche Vorbereitungen für eine künstlerische Unternehmung an, dass ich, nachdem ich von dem Klange des ungemein dürftigen Orchesters in einer kleinen Kirche, welche zugleich den Konzertsaal abgab, einen gänzlich abschreckenden Eindruck erhalten hatte, empört über den Leichtsinn, mich bei einer solchen Gelegenheit herbeigezogen zu haben, einfach durch ein paar Zeilen an den eigentlichen Festdirigenten … ohne weitere Zeremonien mich verabschiedete…“(a.a.O., Seite 519f)
6. Besuch: August 1858
„(Die Reise [von Lausanne her]) führte uns über den Simplon nach dem Lago Maggiore… “ (a.a.O., Seite 586)