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Brand’s Haide heute

Samstag, 9. August 2008

Das frühe kleine Werk von Arno Schmidt über einen Frühlingstag und je einen des Sommers und des Herbstes des Jahres 1946 in einem winzigen Kaff am Rand eben der Brands Haide (auch Brandshaide), einem literarischen Ort geschaffen von Fouqué, dessen Biographie und Werkausschnitte selbst wiederum den Schmidt-Text in nicht bescheidener Breite durchziehen, beeindruckt noch wie vor 57 Jahren, als es erschienen war oder, in meinem Fall, wie vor über dreissig Jahren, als ich es zum erstenmal gelesen hatte. Deutlich wird nun, wie das Widerborstige oder Schwierige nicht nur als Stilmittel oder als eine Verfahrensfrage dasteht, sondern zur innersten Technik des Werkes gehört, die allein seinen intendierten Gehalt zutage schaffen kann. Denn das Spannende heute dieses Werks liegt weniger in der Art und Weise, wie es gemacht ist, weil man sowieso in Kenntnis davon liest, dass die späteren interessanter gebaut sind; den ganzen Nachmittag lang verfolgte ich gebannt, wie die politische und soziale Gefühlslage sich in den Einzelnen zeigt und wie ihr existentielles Weltbild Konturen annimmt. Das geschieht nicht durch Beschreibungen, Zuschreibungen und Deklarationen, sondern durch Konstellationen von bescheidenen Beschreibungsbruchstücken und desto weiteren Auslassungen, die sie zusammenhalten. Das unverhoffte Nichtverstehen einer Passage erscheint als Signal dafür, dass vom Gehalt her Substantielles passiert, das aber so ungeheuerlich ist und so wenig nachvollziehbar erscheint, dass man es nur in der erlebten Spannung zu ertragen vermöchte. Das Ungeheuerliche liegt darin, dass keineswegs davon ausgegangen werden darf, dass faschistische Reaktionsweisen und Dispositionen uns als vergangene erscheinen, die man aus Distanz und innerlich unbeteiligt verfolgen würde. Auch der frühe Arno Schmidt porträtierte für uns allergegenwärtigste Gesellschaftsmitglieder.