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Auf Grenzland der Kulturindustrie

Donnerstag, 28. Dezember 2006

Der ausgebildete Werkfotograf Peter Ammon (1924), der seit dem Krieg für Grossbetriebe, Architekten und Theater arbeitete, zog in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts des längeren in Ferien- und freien Wochenendzeiten durch die ländlichen und bereits bergigen Landschaften der Schweiz, keineswegs um deren Natur abzubilden, sondern um gezielt Momente des Gesellschaftslebens, die damals schon am Verschwinden waren, in bester fotografischer Qualität mit modernsten Techniken massenhaft reproduzierbar darzustellen, die serbelnde Unmoderne in der Moderne in derem avanciertesten Medium. Als einer der ersten schuf er farbige Mittelformatdias, mit dem Apparat einer Schweizer Firma, die auch heute noch für die Fachfotografie massgeblich zu sein scheint: Sinar (die Website ist so schlecht, dass es unmöglich ist, über Zweck, Funktionsweise und Qualität der einzelnen Apparate Einblicke zu gewinnen: erst kaufen, dann schauen). Dabei setzte er zuweilen auch im Freien ein Ensemble von Scheinwerfern ein, das selbst eine kleinere Theaterbühne gut ausgeleuchtet hätte. Nicht dass ihm kein Erfolg beschieden gewesen wäre; aber nach dem Erscheinen der Bilder in hiesigen Wochen- oder Monatsschriften und als Kalenderblätter haben sie sich nicht weiter überliefert, sondern fristeten ihr weiteres Dasein in Schachteln des Sohnes, der sie in den letzten Jahren dank digitaler Technik zu neuem Leben erweckte und in Zusammenarbeit mit dem Enkel des Sinarfotografen als geschlossenes Buch publizierte, wenigstens 125 von über tausend: Peter Ammon, Schweizer Bergleben um 1950, Aura Fotobuchverlag Luzern 2006 (so wundersam unverständig der Name der Fotoagentur, so schlecht montiert ist ihre Website, auf der die aktuelle Publikation sich nur mit Mühe aufstöbern lässt).
Hatte die zeitgenössische Kritik bemäkelt, Ammon sei mit seinen Bildern „vor Anker gegangen“ und wäre also hinter die Ansprüche der visuellen Künste zurückgefallen, geniesst man in ihnen heute ein Bewusstsein von Aura und deren Verschwinden in den Einzelgebilden, das die Dumpfheit Ankers blossstellt und zugleich gesellschaftliche Gehalte anhäuft, die in alten Zeiten nur die Literatur anzusprechen vermochte, einen aber so fremd und blind in ihnen stehen liess, dass man mit den Bildern jetzt den ganzen literarisch-diskursiven Zusammenhang zum ersten Mal zu erleben vermeint. Kein Bild der 125 ist überflüssig, keines verleitet zur anmassenden Phrase, weniger wäre mehr. Alle bringen sie ein gesellschaftliches Moment auf den Punkt, das für sich den Bildern der Idylle nahe stünde, aber durch die konstruktiven Elemente die Reflexion so in Schwung versetzt, dass alles Fragwürdige wie von alleine im Betrachten – Texte hat der Fotograf keine geschaffen – zur Sprache drängt.
Weil im umständlichen Prozess der damaligen Fotografie die Protagonisten nicht umhin kamen, sich selbst in Szene zu setzen, ist das vermeintlich Idyllische schnell durch Ironie und Witz gebrochen – das Arme, Armselige und Ärmliche zeigt sich nicht als Schein, sondern in der Form unterschiedlich gelebter Momente von Lebenswelten, deren gesamtgesellschaftliche Bedingungen nunmehr weniger durch Auratisierung ausgeblendet werden als in der Vordergründigkeit der Inszenierung zwangsläufig mit aufscheinen. Man muss das Kritische hinzudenken – aber die Oberflächenreize dieser einzigartigen kulturindustriellen Warengebilde unterstützen solches nicht wenig aus sich selbst heraus. Keine Melancholie vernebelt, wie es sonst bei alten Fotodokumenten geschehen will. Hier freut man sich mit allen Sinnen, bei einer Hausmetzgete dabei zu sein (Seite 50) oder mit einer appenzellischen Punklady, umhängt mit einer urtümlichen Gitarre, auf der Bühne zu stehen (Seite 81). Das ferne Alte wirkt um so näher, als man es den gesellschaftlichen Ansprüchen der Zeit nach verneinen möchte; umgekehrt bekommt man im langen Schauen, das nur ein Buch oder eine Website ermöglicht, nicht wenig Lust, die Protagonisten auch als Akteure gegen das Negative zu sehen, nicht nur als Opfer. Das macht die Bilder im innersten aktuell.