Archiv für den 'Musik'-Themenbereich

Avanciertes Mittelalter

Dienstag, 12. Mai 2015

Soeben live auf SWR 2 Konzert vom 7. Mai in St. Joseph, Speyer. Huelgas Ensemble: Music in apocalyptic times 1000-1400.

1. Alleluia. Judicabunt sancti nationes. Two-voice organum, the first step to polyphony. Anonymus, ca. 1000

2. Kyrie Cuthberte. Three voice troped mass-part in honour of Saint Cuthbertus. England, anonymus, ca. 1280

3. Hypocritae Pseudo Pontificis. Three part motet, a critic on the clerus, anonymus, France ca. 1300

4. Viderunt omnes. Organum quadruplum for Eastern. Magister Perotinus, Paris ca. 1200

5. O Maria Maris stella / O Maria Dei Cella / O Maria Virgo / In veritate. Four-voice motet, with three different texts, anonymus, France, thirteenth century

6. Kyrie & Gloria from the “Messe de Nostre Dame”, four voices, Guillaume De Machaut ca. 1300-1377

7. Puisque la mort. Lamento on the dead of Eleanore d’Aragon (1382), Matteo da Perugia, ca. 1360-ca. 1426

8. Credo in unum Deum, isorhythmic mass-part for four voices, anonymus, Cyprus (the Court of Lusignan), ca. 1380

9. Science na nul anemi. Ballad for four voices, Matteo de Sancte Johanne, second half fourteenth century.

Jedes Stück lässt die Kinnlade offen stehen… Grandios!

Sonnenfinsternis in der Oper

Montag, 11. Mai 2015

Soeben live auf France Musique Opéra enregistré au Théâtre des Champs-Elysées (Paris) le 7 mars 2015: Solaris.

Dai Fujikura (né en 1977), Solaris, Opéra en quatre actes (2015), livret de Saburo Teshigawara, d’après le roman de Stanislas Lem (création mondiale). Sarah Tynan, soprano (Hari), Leigh Melrose, baryton (Kris Kelvin), Tom Randle, ténor (Snaut), Callum Thorpe, baryton-basse (Gibarian), Marcus Farnsworth, baryton (Kelvin, hors scène), Gilbert Nouno, réalisation, informatique musicale Ircam, Ensemble Intercontemporain, Erik Nielsen, direction.

Was soll man mit einer Uraufführung machen, deren Teile man im knapp 90 minütigen Verlauf immer nur als schon bekannte erfährt? Ein radikal überflüssiges, ärgerliches Stück Musik. Ebenso jämmerlich das Pariser Publikum, das am Abend der Uraufführung keinen einzigen Buuhrufer aufzubieten vermochte; wie viel Einerlei in der Musik, so viel auch in der folgsamen Meute.

Zusatz: Abstrahiert man von der Musik, kann man die Gelegenheit nutzen, sich an Lems Solaris vor dreissig bis vierzig Jahren zu erinnern, sei es mit oder ohne den dazwischen geschaffenen Adaptionen in der Film- und Hörspielindustrie. Damals war Solaris nur eine von vielen Varianten, pantheistische Erzählmomente in den Weltraum zu exterritorialisieren, beileibe nicht die beeindruckendste. Angesichts der Fragen von Big Data steht die Geschichte heute aber ganz anders da, und sie dünkt mich nun eine der vorzüglichsten dieses Autors, weil die konkrete Phantasie darin mitnichten mehr als ein bloss unterhaltendes Spielfeld abgetrennt von aller Theorie erscheint. – Aus dieser Perspektive ist es umso schlimmer, wenn der avancierte diskursive Gehalt in einen erdrückenden Pelz voller musikalischer Motten gepackt wird.

Varèse, Maresz, Ligeti, Lindberg

Montag, 27. April 2015

Soeben live auf France Musique concert enregistré à la Philharmonie 2 le 16 janvier 2015, Tito Ceccherini dirige l’Ensemble Intercontemporain.

Edgard Varèse (1883-1965), Intégrales pour onze instruments à vent et percussions. – Mit was für Musik man diejenige von Varèse auch kombiniert, sie erscheint nach wie vor als avanciert, als eine, die den Alptraum der Geschichte durchbrechen will.

Yan Maresz (né en 1966), Metallics, pour trompette et dispositif électronique, Clément Saunier, trompette. – Eine Materialschlacht wie bei den späten Emerson, Lake & Palmer.

György Ligeti (1923-2006), Kammerkonzert – I. Corrente, II. Calmo, sostenuto, III. Movimento preciso e meccanico, IV. Presto. – Zuweilen, wie hier, der Kleidermann der Avantgarde.

Magnus Lindberg (né en 1958), Related Rocks, pour deux pianos, deux percussions et dispositif électronique, Hidéki Nagano, Sébastien Vichard, pianos, Samuel Favre, Victor Hanna, percussions. – Was für eine Kindskopfmusik! Dass man Lindberg immer noch südlich von Helsinki spielt, spricht nicht gerade für die Existenz einer Hochkultur in Europa.

Yan Maresz (né en 1966), Metal Extensions pour trompette et ensemble, Clément Saunier, trompette. – Über die Zeit hat er noch mehr Spielzeuge erhalten.

Gedizlioglu, Iannotta, Coll, Filidei

Montag, 20. April 2015

Soeben auf France Musique concert enregistré au Conservatoire à Rayonnement Régional de Paris le 5 mars avec 2e2m.

Zeynep Gedizlioglu, Kesik, ensemble 2e2m. – Musik in einem Ton, als müsste für ein gequältes Zusammenmarschieren forciert dielettantisch gespielt werden. Ich will nicht mit anderen zusammenmarschieren.

Clara Iannotta, D’après, création française, ensemble 2e2m. – Sehr fein und hübsch. Bestes Stück des Abends.

David Coll, Act, création française, soprano, ensemble 2e2m & dispositif électroacoustique. – Eine Ekstatik wie aus dem Freejazz, mit stillen, aber ebenso wenig spannenden Passagen.

Francesco Filidei, Ballata N°. 2, ensemble 2e2m. – Fein mit naturnahen Zwischentönen, leider auch kindischen.

Francesco Filidei, Ballata N°. 4, création mondiale / commande de l’État, viole de gambe & ensemble 2e2m. – Eher eine Barcarolle als eine Ballata, immerhin eine gelungene.

Palmsonntagshochamt für Sankt Peter

Sonntag, 29. März 2015

Soeben live auf Deutschlandradio Kultur von heute Morgen in der Philharmonie Berlin Mojca Erdmann, Sopran, Anna Lapkovskaja, Alt, Damen des MDR Rundfunkchores, Damen des NDR Chores, Michael Barenboim, Violine, Staatskapelle Berlin, Klavier und Leitung: Daniel Barenboim.

Pierre Boulez (90 und drei Tage):

„Le visage nuptial“ für Sopran, Alt, Frauenchor und Orchester (1946-1989) // „Anthèmes 2“ für Violine und Live-Elektronik (1997) // „Notations I-IV“ und „VII“ für Orchester.

Ein sehr gutes Programm sehr gut interpretiert. Le visage nuptial gefällt mir immer besser, Anthèmes 2 hatte heute eine etwas triviale Elektronik.

Berg, Wozzeck (Boulez 1966)

Sonntag, 22. März 2015

Soeben ab Platte auf SWR 2 Chor und Orchester der National-Oper Paris, Leitung Pierre Boulez, 1966:

Alban Berg, Wozzeck.

Unangegraut ein Meisterwerk der Literatur, der Musik und der Aufführungspraxis.

Yun, Koumara, Chung, Gaglianello

Mittwoch, 18. März 2015

Soeben live auf WDR 3 vom 11. März 2015 WDR Sinfonieorchester Köln, Leitung Francesco Angelico, Aufnahme aus der Aula der Hochschule für Musik und Tanz, Köln.

Hyun-Jin Yun, colours variations für Orchester, Uraufführung .

Georgia Koumara, Schrödinger’s Cat für Orchester, Uraufführung.

Saehoon Chung, Abstract Painting für Orchester, Uraufführung.

Adriano Gaglianello, Once Back für Orchester, Uraufführung .

Vier sehr gute, wohltuende Stücke. Jetzt nur nicht die Dinge harmloser machen wollen, vielleicht im Rhythmus noch etwas zulegen und mehr Zähne zeigen – wir befinden uns nicht in einer Kirche.

Dusapin, Aufgang

Freitag, 20. Februar 2015

Soeben live auf France Musique vom 26 janvier 2015 à Paris.

Pascal Dusapin, Aufgang, Concerto pour violon et orchestre (création française), Renaud Capuçon, violon, Orchestre Philharmonique de Radio France, Myung-Whun Chung, direction.

Vor einem Jahr die Aufführung in Genf gehört, jetzt die französische Erstaufführung: klar, das ist immer noch eine schöne Musik, aber sooo wattig tonal, dass von einem Kunstanspruch nur noch schwer zu sprechen wäre.

Spahlinger, … eine Welle … anhalten … (1987)

Mittwoch, 18. Februar 2015

Gestern Abend auf SWR2 live von der Uraufführung 1987 (vielleicht auch von der CD):

Mathias Spahlinger, „in dem ganzen ocean von empfindungen eine welle absondern, sie anhalten“ für 3 Chorgruppen und Playback, SWR Vokalensemble Stuttgart, Leitung Klaus Martin Ziegler.

Die Entwicklung der Technologien erlaubt es den Medien, alles von allen Orten jedem einzelnen zuzutragen. Jeder weiss, was los ist, wie es zu benennen wäre und wie man sich als vernünftiger Mensch diesem Ganzen gegenüber zu verhalten hätte. Ebenso ist klar, dass die Kunst keine neuen, zusätzlichen Gehalte in ihre Rede aufnehmen kann, wenn man sie nicht als etwas Irrationales missverstehen wollte. Wie aber hat Kunst zu erscheinen, wenn sie diese historischen Gegebenheiten ungetrübt im Blick halten und sich nicht quasi daneben einem anderen, abstrakteren Strom der Zeit überlassen will?

Das war Spahlingers Fragestellung in den 1980er Jahren, im Titel in die alte Herdersche sprachphilosophische Einsicht mit dem Bild transformiert, dass die gelingende Reflexion nicht bloss den einzelnen Empfindungen und Empfindungsströmen folgt, sondern in derem ozeanischen, also riesigen Gesamtzusammenhang einzelne aktiv zu gewichten imstande ist – durch äusserste Aufmerksamkeit und äusserste Anstrengung. Was jeder weiss und keiner zur Kenntnis nimmt, ist der diskursive Gehalt des Stückes, der Hunger und die Armut in der Welt, derselbst gleichwie alle Momente des musikalischen Werks in ihrer Einzelheit reflektiert und den Aufführenden als Partiturmaterialien präsentiert wird. Das führte in der Realisation zu enormen, indes wie angetönt keineswegs unerwarteten, ungeplanten Schwierigkeiten.

Einer der profiliertesten Chöre sah sich mit Problemen konfrontiert, die über einen langen, mehrwöchigen Zeitraum hinweg das Projekt regelrecht scheitern zu lassen drohten, weil in der Disparatheit und Kleinteiligkeit der Gesangs- und supplementär geforderten Bewegungsmaterialien eine einheitliche ästhetische Idee sich nicht zeigen wollte, und den Playbackwünschen genügten die vorsintflutlichen Computereinrichtungen desjenigen Studios, das zu Zeiten der analogen Aufnahme- und Bearbeitungstechniken am weitesten fortgeschritten war, mit den heute unvorstellbar winzigen Speichern und unausgegorenen Programmen nicht im geringsten. Trotzdem ist das Werk vollendet worden und mit Erfolg beim Publikum zur Aufführung gekommen.

Das Stück dauert ungefähr 20 Minuten und wurde in der gestrigen Radiosendung nach einer halbstündigen Zusammenstellung von Diskussionsausschnitten und Berichten von den Beteiligen aus dem Chor und der „computergesteuerten“ Tonbandproduktion ausgestrahlt. Die Pointe des Stückes beim Hören fast dreissig Jahre nach der Uraufführung ist, dass es musikalisch als so gehaltsreich und schön empfunden wird wie andere aus der Zeit, die avanciert waren und auch dann Neues schaffen wollten, wenn sie nicht in direktem Mass Politisches ins Visier genommen hatten. Die Kunst muss nicht notwendigerweise politisch sein, da wir von der Schuld unserer politischen Ökonomien am Hunger in der Welt auch ohne Gang ins Konzert wissen, aber die Aktivierung des politischen Sensoriums unterstützt die nötige Aufmerksamkeit gegenüber ihren Materialien, deren ästhetische Darstellung das periphere Wissen vom empirischen Detail zu einem notwendigen allgemeinen – zu einem gesellschaftlichen transformieren lässt. Wenn die Medien aufhören, den Kopf in den Sand zu stecken und endlich von neuem beginnen, die Schönheiten der Musik in die Welt zu tragen, steht der Glaube nicht mehr auf verlorenem Posten, dass die Kunst nicht nur Schönes herstellt, sondern auch Bewusstsein schafft, das gesellschaftlich zu wirken imstande ist.

Xenakis, Rihm

Donnerstag, 12. Februar 2015

Soeben live auf Bayern 4 Peter Sadlo & Friends am 16. Januar 2015 in Erlangen im Rahmen der Reihe „unerHÖRT!“.

Iannis Xenakis, Pléïades.

Wolfgang Rihm, Tutuguri VI.

Zwei kompositorische Fleissarbeiten, schön zum Zuhören in der warmen Stube, in einigen Passagen etwas ins Niedliche gealtert, so dass man in ein verlegenes Lächeln kommt. Wir Greise brauchen zuweilen stärkere Mittel. Die Zwitschermaschine der Meisen im Könizberg- und im Gurtenwald mit vereisten Böden heute hatte das Trommelfell meiner Ohren mehr gekitzelt.

Pelzel, Manoury, Dusapin, Steen-Andersen

Mittwoch, 11. Februar 2015

Soeben live auf Deutschlandradio Kultur vom 21. 1. 2015 Ultraschall Berlin – Festival für neue Musik, Haus des Rundfunks Berlin, Großer Sendesaal: GrauSchumacher Piano Duo, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Leitung: Franck Ollu.

Michael Pelzel, „… chatoiements à l’air…“ für Kammerorchester (2012/13), Uraufführung des Gesamtwerks. – Die Dramaturgie ist gut organisiert, gerät in veritablen Kadenzen aber öfters zu nah an den Abgrund der Tonalität.

Philippe Manoury, „Zones de turbulences“ für zwei Klaviere und Orchester (2013). – Viel Aufregung in einer Viertelstunde, leicht überschärft.

Pascal Dusapin, „Reverso Solo No 6“ für Orchester (2005/06). – Trotz der Ruhe und der harmonischen Zurückhaltung das avancierteste und beste Stück des Abends.

Simon Steen-Andersen, „double-up“ für Orchester (2010). – Eine Kinderei. Zu blöd zum Buuhen, die Berliner.

Martin Matalon, La Carta (Uraufführung)

Montag, 9. Februar 2015

Soeben direkt live auf France Musique Festival Présences 2015 #3, programme latino-américain par l’Ensemble Accroche-Note: Martin Matalon (né en 1958), La carta pour soprano, clarinette, accordéon / bandonéon, percussions et dispositif électronique – commande de Radio France, création mondiale, Ensemble Accroche-Note, Françoise Kubler, soprano, Armand Angster, clarinette, Anthony Millet, accordéon, Emmanuel Séjourné, percussions, Philippe Dao, électronique (GRM).

Ein packendes und beeindruckendes Werk, dem ich bis zur letzten Note mit offenem Kiefer folgte.

Vorher ein langer Traum, in dem ich vor dem Aufwachen ausserhalb des Publikums auf der Konzertbühne so dicht an wie quasi unter einem weissen riesigen Klavier mehr klebte als sass, ganz am am Schluss neben mir, in mein Notenblatt oder Programmheft schielend, eine langhaarige argentinische Blondine mit bronzener Haut in Hot Pants stehend.

Leoš Janácek, Modest Mussorgski

Sonntag, 8. Februar 2015

Gestern Abend zwei Opern: live auf Bayern 4 vom 21. Juni 2014 in der Wiener Staatsoper Leoš Janácek, Das schlaue Füchslein, Chor und Orchester der Wiener Staatsoper, Leitung Franz Welser-Möst (Beginn 19 Uhr, nur kurzer Applaus zwischen den Akten, keine Pause), dann live auf Espace 2 vom 15 novembre 2014 à la Staatsoper de Vienne Modeste Moussorgsky, La Khovantchina, les Chœurs et Orchestre de la Staatsoper de Vienne, Direction Semyon Bychkov (Beginn 20 Uhr, nur die erste halbe Stunde fehlte – dieselbe Aufnahme hörte ich schon einmal 2014 am Radio).

Einmal mehr empfand ich Das schlaue Füchslein am Rand des Kitsches, vielleicht wegen der starken Kinderpräsenz. Früher schätzte ich dieses Werk höher ein, für eine ziemlich lange Zeit. – Umso besser gefällt mir heute Mussorgskis Chowanschtschina. Trotz des autoritären Herumbrüllens der Protagonisten erlaubt das Werk, den Bewusstseinsstrom langsam in die eigentümlich faschistoiden russischen Gewaltverhältnisse hinabgleiten zu lassen und ihm darin viel Raum zu geben. Mich dünkt, Mussorgsky hätte immer eindeutig und klar dagegen Stellung bezogen und seine Werke so konzipiert, dass die beklagten Verhältnisse einem zu denken geben sollten. Was aber ist es, das die heutigen russischen Künstlerinnen und Intellektuellen dazu verleitet, ihre Verhältnisse zu verklären, sowohl die gesellschaftlichen wie die politischen und ökonomischen? Nur ein Häufchen verlorener Einzelner wie die Pussy Riots wagt es, das Erbe Mussorgkis zu verteidigen.

Vier Stunden Luigi Nono

Montag, 2. Februar 2015

Gestern Abend live auf SWR 2 drei Konzerte vom Holland Festival Amsterdam am 19. und 22. Juni 2014 mit SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, ensemble recherche, Experimentalstudio des SWR, Klangregie und künstlerische Koordination: André Richard, Schola Heidelberg, Cappella Amsterdam, Leitung: Ingo Metzmacher und Matilda Hofman.

Luigi Nono, „Prometeo“, Tragedia dell’ascolto.

Luigi Nono, „Caminantes … Ayacucho“.

Luigi Nono, „No hay caminos, hay que caminar … Andrej Tarkowski“.

Grandios!

Michael Pelzel, Porträtkonzert

Samstag, 24. Januar 2015

Soeben live auf Deutschlandradio Kultur vom 23.01.2015: Ultraschall Berlin – Festival für neue Musik, Hebbel am Ufer Berlin, HAU 2, Porträtkonzert Michael Pelzel. Klangforum Wien, Leitung Johannes Kalitzke.

„… along 101 … “ für Ensemble (2008) // „… sentiers tortueux …“ für Ensemble (2007) // „Sempiternal Lockin“ für Ensemble (2012-2014) (Uraufführung)

Drei Stücke mit einem sicheren kompositorischen Zugriff, weder zu komplex konstruiert noch zusehr ausgedünnt. Da in den ersten beiden Stücken die einzelnen Partien nur wenig miteinander kontrastieren, erscheinen die Stücke zuweilen wie bieder ausgewogen, obwohl der Komponist weitgereist ist vielleicht gar brav schweizerisch. Ein quasi Soloinstrument verhülfe ihnen zu mehr Konturen. Das durchgängige Moderato lässt einen meinen, man höre Spiegelungen und Umkehrungen als wie am Bildschirm durch copy ’n‘ paste realisiert. Auch wenn solches zur Ästhetik der Kompositionsweise gehören mag und also gerechtfertigt ist, träumt man von den kleinen Noten, the little fast ones. Im neuesten Stück gibt es schnelle Passagen und Instrumente, die solistisch ins Ganze einfahren – die Musik wird sofort lebendiger.

Zusatz 23 Uhr: daran anschliessend auf demselben Sender direkt live aus dem Radialsystem V, Berlin Neue Vocalsolisten Stuttgart, Sarah Maria Sun, Sopran, Truike van der Poel, Mezzosopran, Susanne Leitz-Lorey, Sopran, Martin Nagy, Tenor, Andreas Fischer Bass mit Instrumentalsolisten, Oliver Klenk, Klarinette/Bassklarinette, Felix K. Weber, Violine, Gunter Pretzel, Viola, Stephan Lanius, Kontrabass, Kai Wangler, Akkordeon, Fabian Strauß, Schlagzeug.

Nikolaus Brass, „Sommertag“ (2013), Kammermusiktheater nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Jon Fosse.

Ein musikalisches Tiefenerlebnis mit ausserordentlichen Gesangs- und Instrumentalleistungen.

Schönberg, Violinkonzert

Freitag, 23. Januar 2015

Soeben direkt live auf Bayern 4 aus München Konzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Leitung Mariss Jansons, Michael Barenboim Violine.

Arnold Schönberg: Violinkonzert, op. 36. – Das Werk zündet noch wie vor gut dreissig Jahren und bannt das Bewusstsein von der ersten bis zur letzten Note.

Dann noch Bruckners Sechste.

Boulez: Konzert zum Neunzigsten

Sonntag, 18. Januar 2015

Soeben direkt live auf Arte Concert (nur Internet) Konzert zum 90. Geburtstag von Pierre Boulez (26. März) aus dem Festspielhaus Baden-Baden, gestreamed am 18.01.2015. Es spielt das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der Leitung von François-Xavier Roth.

„… explosante – fixe …“ für (Midi-)flöte mit Live-Elektronik, zwei Soloflöten, Orchester. // 1. Sonate für Klavier (Pierre-Laurent Aimard). // Dérive 1. // Douze Notations für Klavier und als Überraschung heute mit Ballet von Achtjährigen. // Notations I bis IV und VII für Orchester.

Ein neues Erlebnis: direkte Livekonzerte neuer Musik am Internet. Das Bild ist ruckelfrei, der Ton via Funkkopfhörer fast so gut wie vom Internetradio ab Station, meine Konzentration allerdings nicht so optimal wie ohne das fernsehnahe Drumherum mit holpriger Ansagerei aus der musikalischen Provinz. Das Ganze dünkt mich trotzdem ziemlich eindrücklich und wie immer in einem technologischen Zusammenhang mit Boulez zukunftweisend – nicht zuletzt auch aufgrund der tanzenden Knöpfe (die im Screenprint des Schlussapplauses links vorne sitzen).

Zusatz: In einem Konzertsaal verfolge ich die Musik mit offenen Augen, desgleichen unter Kopfhörern am Radio. Die Konzentration richtet sich solcherart mit den freischweifenden Augen voll auf die Musik. Diese Situation wird gestört, wenn das Konzert auf einem Bildschirm verfolgt werden soll, da die Augen jetzt gezwungen sind, sich permanent auf ein bestimmtes Objekt im Raum auszurichten und mit Bewusstsein zu fokussieren. Man muss sich zusätzlich anstrengen, wenn die Konzentration auf die Musik weiterhin optimal gelingen soll. Gleichwohl ist es ein Genuss, ab und zu Musik auf diese modernste Weise zur Kenntnis nehmen zu können.

Verfolgt man gewöhnlicherweise die Programme der Radiosender, die die Swisscom TV-Box samt ihrer Internetradiostationen bietet inklusive denjenigen des Tuners mittels Favoriten oder Lesezeichen im Internetbrowser, kann man nun den Konzertkanal von Arte hinzufügen: http://concert.arte.tv/de . Die Livekonzerte stehen hier als Video zum Abruf bereit, also auch das Boulezkonzert. Wie ich gerade sehe, gibt es auf diesem Kanal ziemlich viele Konzerte als Video zu verfolgen…

Régis Campo, Quai West

Samstag, 17. Januar 2015

Soeben direkt live aus dem Staatstheater Nürnberg auf Bayern 4 Régis Campo, Quai West, Oper nach dem gleichnamigen Schauspiel von Bernard-Marie Koltès, Chor des Staatstheaters Nürnberg, Staatsphilharmonie Nürnberg, Leitung Marcus Bosch.

Seichte Straussanhimmelung, überflüssig.

Carte Blanche à Peter Eötvös 2

Montag, 5. Januar 2015

Soeben live auf France Musique concert enregistré le samedi 22 novembre 2014 au nouvel Auditorium de la Maison de la Radio (Paris): Martin Grubinger, percussions, Jean-Guihen Queyras, violoncelle, Midori, violon, Orchestre Philharmonique de Radio France, Péter Eötvös, direction.

Péter Eötvös (né en 1944), Speaking Drums, concerto pour percussions – I. Tanzlied, II. Nonsens Songs, III. Passacaglia : Intrada, Saltarello, Bourrée, Passepied, Gigue, Allemande, Finale – création française.

Péter Eötvös, Concerto grosso pour violoncelle et orchestre – création française.

Péter Eötvös, DoRéMi, concerto pour violon et orchestre n°2 – création française.

Pierre Boulez (né en 1925), Notations 1, Notations 7, Notations 4, Notations 3, Notations 2.

Von Eötvös drei leichte Divertimenti: gut, aber nicht umwerfend, etwas an Cedric Dumont erinnernd. Das Geigenstück hatte ich als bessere Musik in Erinnerung. Von Boulez ein Divertimento ebenfalls unterhaltsam, aber umwerfend, das Ölfass in dieser Aufführung leicht penetrant.

Péter Eötvös ist wie Michael Gielen ein herausragender Dirigent, aber nicht immer ein überzeugender Komponist. Im Entscheidenden hat er Mühe: in der Kunst des Übergangs. Die einzelnen Teile, Module, kleinen Formen oder gar Passagen sind meistens beeindruckend, aber ebenso häufig fragt man sich, wieso die gewählten Momente in dieser konkreten Weise aneinander gefügt werden. Es fehlt die Absicherung in der grossen Form. Bei Boulez spürt man niemals etwas von dieser Schwierigkeit, auch nicht in Werken mit austauschbaren Formteilen wie der Dritten Klaviersonate oder eben den Notations. Auch wenn man es im geschichtsphilosophischen Gesamtzusammenhang muss: es ist nicht leicht, in der Ästhetik des Komponierens gegen die Idee der Seriellen Musik verbindlich, also unpolemisch Stellung zu wahren. Denn es muss im Akt des Hörens etwas nachweisbar bleiben, das den Übergang allgemein vertrauenswürdig erscheinen lässt, als innere Notwendigkeit des ganzen Werkes – eine innere Notwendigkeit, wie sie im diskursiven Zusammenhang als verteidigtes Problembewusstsein überzeugen muss. Nur allzu leicht gleitet Kunst in Unterhaltung ab.

Carte Blanche à Peter Eötvös

Montag, 29. Dezember 2014

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 21 novembre 2014 au studio 104 de la Maison de la Radio (Paris): Rebecca Nelsen, soprano, Maria Riccarda Wesseling, mezzo-soprano, Ensemble Intercontemporain, Peter Eötvös, direction.

Peter Eötvös (né en 1944), Le Balcon, opéra en dix tableaux – Deux extraits : Début du septième tableau et quatrième tableau.

Peter Eötvös (né en 1944), Octet plus pour soprano et ensemble

Peter Eötvös (né en 1944), Sonata per sei pour deux pianos, trois percussions et synthétiseur – Mouvement I, Mouvement II, Mouvement III, « Bartok traversant l’océan », Mouvement V.

Eine hinreissende, kräftige Musik, von der ich seit Jahren den Eindruck habe, sie sei in einem schleierhaften Widerspruch sowohl komplex wie simpel: harmonisch äusserst avanciert und dennoch in den antreibenden Impulsen tonal gedacht. Manchmal erscheint sie als mehrheitsfähige Rockmusik, die einem ein schlechtes Gewissen macht, weil man sie ohne Anstrengung konsumiert.