Archive für 24. August 2019

Leonor Dill, Jeux (Debussy)

Samstag, 24. August 2019

Debussys Spätwerk Jeux ist ein Meilenstein in der Musikgeschichte: ausserhalb der Ästhetik und fern von den Regeln der Schönbergschule geschaffen, bewegt es sich zwar scharf am Rand der Tonalität, überschreitet sie aber immer noch nicht. Das Progressive liegt in der grossen Form, die durchs unspezifische Hören, quasi von aussen, nicht zu fassen ist, und dem unermüdlichen Spiel mit den kleinen, in dem die Zerstäubung des traditionellen, identifizierbaren musikalischen Themas paradigmatisch vorgeführt wird.

Man kann ein Leben lang vor dem Stück herumschwimmen und vor sich her murmeln, wie grandios es eigentlich wäre, wenn man ihm denn nur wirklich auf die Spur käme – oder man bedient sich endlich der Hilfsmittel, die andere paratstellen. Eines der besten davon ist die im Juni 2019 erschienene Transkription für ein Klavier Solo von Leonor Dill im portugiesischen Verlag AVA. https://editions-ava.com/en/leonor-dill. (Im Bestellfeld NIF/NIPC genügt es, eine 0 (= Null) einzugeben.)

Wer mit den Fähigkeiten der Autorin gesegnet ist und Konzerte auf höchstem Niveau gibt, lernt die Partitur spielen tel quel, wer es nur bis Schumann schafft, lernt einzelne Partien – die anderen lesen jetzt auf diesen Seiten in der Anatomie eines der herausforderndsten Kunstwerke, als ob sie einen simplen Fahrplan vor sich hätten. Endlich sind die Partikel greifbar, zu denen die Kunst des kompositorischen Zerstäubens die Motive verdichtet; endlich hat man einen Überblick über das Ganze, in dem die Teile messerscharfe Konturen bilden. Nicht zuletzt wird verständlich, dass Debussy mit klarem Blick überlebte, überaltete Formen so handhabt, dass sie im Neuen ständig noch als Vermittler wirken.

Die Autorin betont, dass bei vielen Stellen neu entschieden werden musste, welche Elemente aus der Orchesterpartitur gestrichen und welche übernommen werden. So kommt es, dass einige Partien hier enthalten sind, die bei Debussys eigener Reduktion auf zwei Klaviere fehlen: [Free-scores.com]_debussy-claude-jeux-32592.pdf . Nicht zuletzt diese Frage, welchen Präferenzen Leonor Dill folgt, wird Anlass sein, die neue Partitur über ein altes Gebilde in einer Masterarbeit gründlich zu analysieren.

Ich habe nur wenige Stellen gefunden, die ein Herummäkeln provozieren, und die meisten sind keine Flüchtigkeitsfehler, sondern solche, die der funktionalen Beschränktheit des digitalen Satzprogramms geschuldet scheinen (alle im 3/8-Takt).

Aus dem dunklen Nebeneinander im Takt 31…

… macht man besser eine herkömmliche Vertikale:

Auch im Takt 205 (gleichwie 213) ein trügerisches Nebeneinander, …

… das man vertikal schreiben könnte:

Takt 278 enthält dasselbe falsche Nebeneinander wie 31…

… und liesse sich leicht regelgerecht schreiben:

In den Takten 207 und 208 ist je eine Pause zu viel notiert, im Takt 478 scheint mir eine zu fehlen. Dieser Takt lässt sich so, wie er notiert ist, gar nicht spielen: rechts 6 Staccatosechzehntel absteigend über den ganzen Takt, links ein Akkord über den ganzen Takt ausgehalten, gleichzeitig in der Mitte 5 Staccatosechzehntel aufsteigend (hier fehlt die erwähnte Pause). Wenn man den Akkord drückt, kann man die Linie nicht spielen, benutzt man das Pedal, verschmiert das Staccato.

In der Tat habe ich keine weiteren Unstimmigkeiten gefunden, und ausser dem Takt 478 sieht jedermensch sofort, wie die Stellen zu lesen sind und zu spielen wären.

Zusatz 27. Dezember 2019: Ich benötigte die vielen Wochen Kopistenarbeit mit MuseScore 3 und den schwierigen Klavierpartituren, um zu verstehen, wie gleichzeitig auf beiden Systemen Noten geschrieben werden, letztlich auch so, dass jede Menge von ihnen ohne informative Pausenzeichen in einen Takt hineingezwängt werden können, wenn sie nur, auch ohne Balken, vom anderen System herkommen. Meine Fehlermeldungen sind also alle falsch, bleiben aber zum möglichen Nutzen anderer AnfängerInnen bestehen.