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Michaël Levinas, La Passion selon Marc

Mittwoch, 12. April 2017

Soeben direkt live auf France Musique de l’Église Saint-François à Lausanne Magali Léger, soprano, Marion Grange, soprano, Guilhem Terrail, contre-ténor, Mathieu Dubroca, baryton, Ensemble Vocal de Lausanne, Ensemble de Chambre de Lausanne, Nicolas Cheverau, maître de chant, Marc Kissoczy, direction.

Michaël Levinas, La Passion selon Marc. Une passion après Auschwitz (UA).

Die Frage nach der Möglichkeit von Gedichten nach Auschwitz transformiert sich hier in einen direkten, quasi unvermittelten Realismus: man ist mit einem ästhetischen Geschehen konfrontiert, dem man ergriffen standhält. Nach den dreissig Minuten des ersten Drittels erscheint die weibliche Klagestimme, gleichwie direkt und realistisch; zunehmend wird sie im Chor eingebettet und auf parallelen Spuren begleitet. Mit dem Einsatz der Instrumente, die vorher nur sporadisch isoliert wahrnehmbar waren, beginnt die Komposition, mit einer Generalpause in ihrer zeitlichen Mitte. Man verfolgt nun eine Auseinandersetzung, in der auch einzelne musikalische Zitate erscheinen. Im letzten Drittel stossen die Katastrophe gegen die Gemeinschaft mit derjenigen durch sie aufeinander, abgeschlossen mit der deutschen Sprache des rumänischen Juden Celan: Espenbaum, dein Laub blickt weiß ins Dunkel. Meiner Mutter Haar ward nimmer weiß. // Löwenzahn, so grün ist die Ukraine. Meine blonde Mutter kam nie heim. // Regenwolke, säumst du an den Brunnen? Meine leise Mutter weint‘ für alle. // Runder Stern, du schlingst die goldne Schleife. Meiner Mutter Herz ward wund von Blei. // Eichne Tür, wer hob dich aus den Angeln? Meine sanfte Mutter kann nicht kommen.

Das Werk wäre deswegen der Jugend vorzuführen, weil vielenorts in ihr Auschwitz zur beliebigen Prüfungsfrage zu verkümmern droht. Levinas macht den katastrophischen Gehalt eindringlich erfahrbar und aus ihm etwas lebendig Gedachtes.