Archive für 12. November 2014

Heimatklänge

Mittwoch, 12. November 2014

Vorgestern Abend live auf WDR 3 Konzert vom 25. Schaffhauser Jazzfestival 2014 mit New Bag: Christy Doran, Sarah Buechi, Vincent Membrez, Lionel Friedli.

Christy und später Brigeen und Dave Doran bewachten seit dem Om-Konzert in der Aula Tribschen mehrere Luzerner Hintereingänge zur Musik. Ihre Konzerte besuchte man der Gier folgend auch auswärts wie ihre Platten im 20. Jahrhundert allesamt in der Familie als feiertägliche Kulturgüter hin- und hergeschenkt wurden (Google Bilder zeigen kein unbekanntes Cover aus der genannten Zeit). Das Tribschenkonzert in den frühen siebziger Jahren geschah noch vor der Konfrontation mit Hendrix und McLaughlin, weshalb es wie ein einzigartiger & scheinbar einmaliger Initiationsritus in die Musik als unantastbares Fundstück der Erinnerung gänzlich ausserhalb der kritischen Reflexion erhalten bleibt, als Ort von Heimat. Gerade weil diese Musik neben derjenigen Schönbergs & Co. ein so grosses Gewicht bekam, hätte ich mir die Läufe auf Dorans Gitarre länger und entschieden mehr in die Länge gezogen gewünscht, befreit von der Last aller Bescheidenheit. Beim Geniessen des Schaffhauser Konzerts dünkte es mich nun klar, dass es sich keineswegs um eine Frage der materiellen Disposition, sondern um eine des ästhetischen Willens handelt. Die ganze, mit Freude genossene Zeit fragte ich mich, warum die Band nichts Neues entstehen lassen will, warum die Einsätze gleich wie die Abgänge meistens leicht auseinander plaziert sind und sich kein erweiterter Raum bildet, in dem sich eine intellektuelle Spannung doch endlich aufbauen müsste. New Bag zeigt sich wie die Ästhetik in den neuen Medien heute, die gemeinhin als etwas Ärgerliches beschrieben wird, als ein Geflecht von Impulsen, die das Publikum, also die Gesellschaft des Alltags dazu verführt, nur Muster mehr wahrzunehmen, die Welt der Kunst, der Musik und des Lebens zerstückelt in Müsterli, wie sie früher neben der Kasse in den Läden als Reizwerbung beiläufig mitzunehmen waren. Aber Dorans Musik ist nicht ein Effekt der aktuellen Medientechnologien. Man muss den Willen ernsthaft ins Auge fassen und die Sachlage gänzlich umstülpen: die musikalische Ästhetik ist älter als die Technologien, mit denen sie bruchlos korrespondiert. Doran gehört zu den Pionieren der Zerstreuung, indem er von Anfang an einen regelrechten, zuweilen irisch, zuweilen innerschweizerisch geprägten mürrischen Unwillen darüber demonstrierte, dass sich die Teile seiner Stücke fortspinnen und verknüpfen liessen, auf dass ein erweiterter, spannungsgeladener musikalischer Zusammenhang entstehen würde. Eine solche Ästhetik, die im deutlichen Willen, der den Abhub will, von jedem Zufall frei ist, hat man in gleicher Weise hinzunehmen wie den Ort, an dem man geboren wurde, weil er für einen selbst als reiner Zufall dasteht.

Dann noch in derselben Radioaufnahme von Schaffhausen das Lucien Dubuis Trio & Spacetet mit dem Stück Albumblatt für Herrn Schprögel. Keine Sache, die sich hinter dem Bag verstecken müsste: Grandioses aus dem Jura! Klar, ohne den Disziplinierungsschub des Streichquartetts erschiene einem ein alter musikalischer Sack und die Ohren täten langsam gähnen.