Archive für 22. Mai 2012

Marco Stroppa: Re Orso

Dienstag, 22. Mai 2012

Gestern Abend direkt live auf France Musique aus der Opéra Comique, Paris, Re Orso von Marco Stroppa.

Grandios komponiertes Singspiel, von dessen Inhalt ich keine Ahnung habe, ausser dass das Libretto aus dem 19. Jahrhundert stammt und aus einer Phantasie übers Altertum bestehen soll. Beeindruckend, wie an einzelnen Stellen die Expressivität der theatralen, traditionell opernhaften Singstimmen von der Elektronik aufgenommen und über die Spitze des Möglichen hinausgetrieben wird.

Nach einer halben Stunde zitathafte Anspielungen, auch in biederer Tonalität mit vorüberziehender Langeweile: an Brecht/Weill konnte man denken, inklusive gestopfter Trompete (wie ich diesen Sound hasse…), aber mehrmals in kleinen Passagen oder blossen Wendungen auch an Zappa.

Nach 40 bis 45 Minuten im Anfang des zweiten Aktes fast zehn Minuten lang zappalachische Musik, dann ein Bruch mit anschliessender elektronischer Tonleiter, die einen zur Besinnung bringen soll, glockenschlagerisch. Incipit Papa von Rom et al.: „Ego te absolvo.“ Irgendetwas Tragisches musste vorgefallen sein, das jetzt seine Verklärung erfährt. Warum ich als Zuhörer davon in Kenntnis gesetzt werden soll, weiss ich nicht – und brauche es auch nicht zu wissen. Die Stimmen singen quasi metaopernhaft, und endlich geschieht der Übergang in eine elektronische Stimmung, in der die Idee der alten Oper nur noch wie Meeressedimente aufscheint. Das Stück endet in einem Gang durch ein paläontologisches Museum, im Einerlei irgendwelcher Fundstücke, in einer Luft, als ob mein Vorfahre Rütimeyer zu Basel immer noch Darwin anzumahnen vermöchte, dem Antichrist nicht voreilig zu viel Platz freizuschaffen.

Darauf folgte eine Coda mit Solostimme, Akkordeon und dezenter Hintergrundelektronik, die die Oper sinnvoll und schön abrundete, auch ohne dass ich von ihrer inhaltlichen Notwendigkeit etwas mitbekommen hätte. Im Studiogespräch eine Viertelstunde später sagte der Komponist, das Akkordeon stünde für die Stimme oder die Stimmung des Volkes; man spielte zwei Stücke ab Platte, ein interessantes mit Orchester und ein Klavierstück, das einem Hang zur Tonalität offenbar nicht zu widerstehen vermag.