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Grosses Konzert

Mittwoch, 21. Januar 2009

Riesenlanger, durch Unverschulden missratener Musiktraum. In Braungelb-Ocker gehaltener Konzertraum in der Westschweiz, im nahen Frankreich, in Zürich oder in Luzern, so weit weg, dass nach dem Konzert noch eine fünfstündige Heimreise anzutreten war – Lichtfarben also wie gewöhnlich vor einem Konzertbeginn, allerdings mit Sicherheit openair ohne zusätzliche elektrische Beleuchtung zur natürlichen Abendstimmung. Ich nehme irgendwo in der Publikumsmeute Platz, die teils schon sitzt, teils noch steht, herumsteht und herumgeht. Ein paar Meter vor mir die Soziologin Streckeisen, wir grüssen winkend oder sprechen vielleicht auch miteinander. Alle happy wie gestern an Obamas Inauguration, ein einziges Werk wird gespielt, von Boulez, neu, man erwartet etwas in der Art von Répons. Im Moment, wo das Konzert beginnen sollte, kommen zwei Techniker vom Bühnenraum her zu mir, drücken mir etwas wie eine Stabantenne oder wie ein kleiner Dirigierstock in die Hand, mit dem ich wie mit einem elektronischen Handschuh oder einem Theremin den elektronischen Teil zu spielen hätte, über eine Art Schiefertafel fahrend. Ich bin erschrocken, weniger darüber, dass ich das tun sollte, weil dieses Ansinnen schliesslich schmeichelt, sondern weil die Zeit zu kurz war, um auch nur motorisch mich ein bisschen einzuüben, hatte ich doch fast 10 Jahre lang kein Instrument mehr spielen können. Ich war so blockiert, dass es mir kaum gelingen wollte, den Stab an oder über der schwarzen, mit weissen Kreidestrichen und Unebenheiten, gar Rissen gestalteten Tafel spontan hin- und herfedern zu lassen. Da beginnt die Musik schon, tatsächlich eine grosse Sache wie Répons, wenn die ganze Atmosphäre, wenigstens am Ende dann, auch ein wenig der an einem Rockkonzert ähnelte. Eine gewisse Zeitlang geht alles gut, ich bin angenehm überrascht und gar nicht unzufrieden mit mir, erst allmählich hängt das Konzert durch, und ich spüre, dass kaum jemand im Publikum daran zweifelt, dass ich eben nicht mithalten könne. Umgekehrt als am Anfang, da ich meinte, rein physisch das Instrument nicht spielen zu können, betätige ich aus meiner Sicht es ganz ordentlich, und mir selbst ist völlig klar, dass die beiden Techniker den Fehler sei es aus Absicht, sei es aus Gleichgültigkeit produzieren, indem sie die Spannungen der Parameter und also auch die zwischen denselben – mit Ausnahme der Lautstärke – nicht ganz aber doch fast ganz bis auf Null heruntergenommen haben. Nach über einer Stunde ist das Stück gespielt, die Leute empfinden nicht gerade einen Skandal, sind aber doch sauer, als ob sie sich betrogen fühlten (zu recht!), und die Techniker nehmen das Gerät entgegen, indem sie miteinander plaudern, ohne mich wahrzunehmen; aus dem Publikum, zu dem ich ja auch gehöre, wird mir quasi mitfühlend entgegengegrinst. Ich nehme das Ganze nicht allzu tragisch. Es ist immer noch Abendstimmung wie bei einer Mitternachtssonne (wie immer in Musikträumen), ich überlege oder diskutiere mit Ursula oder sonstwem, wie man nach Hause fahren könnte, da noch zwei Stunden lang kein Zug fahre, und ob man da vielleicht eins saufen gehen könne. – Beim Aufwachen um 2.30 Uhr bin ich nicht über die missratene Musik verärgert, sondern darüber, dass ich mich nicht entscheiden kann, überhaupt ausnahmsweise schon vor drei Uhr aufzustehen und diese uneindeutigen, komplizierten Verhältnisse aufzuschreiben. Während des Lüftens und Teetrinkens war der Text um 3.13 vorgeschrieben, um 4.10 fliessend, noch ohne Korrektur eingetippt, mit der Einsicht, dass der Traum nur eine Erinnerung war an zwei Konzerte in den siebziger Jahren mit Wiesenkraut, wo beide Male der Verstärker oder das Mikrophon der Flöte keinen verstärkten Ton von mir produzierten.