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Nichts passiert

Freitag, 18. Januar 2008

Es scheint kein schlechter Weg zu sein, um über sich selbst und seine Entwicklung Klarheit zu bekommen, die bevorzugten Gebilde gleich welcher Art und Gattung in der verflossenen Biographie miteinander zu vergleichen. Ein altes aus der Pubertät, das ohne wirklichen Unterbruch ständig im Kopf vorhanden war, auch wenn es sich seit langem nicht mehr als dasselbe zu erkennen gab, ist seit zwei Wochen wieder materiell greifbar. Wie vor 35 Jahren kann ich auch jetzt wieder nicht genug davon bekommen und höre es entweder oder denke hörend daran, manifester und klarer als in der vergesslichen Lebenszeit dazwischen: Devotion (1970) mit John McLaughlin, Larry Young, Buddy Miles und Billy Rich. Die leicht verschmierte Kassettenaufnahme dieser Platte bildete den präparierten Boden, in den ein Jahr später Amériques und Arcana, dirigiert von Marius Constant, einschlagen konnten (im Plattenladen, klar, wo auch andere von Zappa bis Rihm Varèse zum ersten Mal begegneten). Man muss nur die Patina des Titels ein wenig wegputzen, um das Entscheidende in dieser Musik freizulegen: Devotion ist hier noch nicht zu verstehen wie beim nachfolgenden McLaughlin als religiöser Kniefall, sondern als künstlerische Hingabe an das Objekt, das doch erst durchs Subjekt geschaffen werden soll. Das Objektive ist die sorgfältige Konstruktion in den Stücken, die sowohl der Symmetrie und der Dialektik wie einer Hierarchisierung von Melodie und Begleitung ausweicht. Wegen der Konstruktion durch Themenpartikel, die wie beim späteren McLaughlin erstaunlich einfach, wenn auch eher modal als tonal fixiert dastehen, sind diese Werke vom improvisierenden Jazz beziehungsweise jammenden Rock gleich weit entfernt wie von einer ausbalancierten Polyphonie, die durch Buddy Miles‘ eigentümliche Trommelschläge am Verwehen gehindert wird. In alle Richtungen des dreidimensionalen Raums explodieren die Partikel, ohne je in ihrer konstruktiven Schärfe abzustumpfen oder in ihrer Eindeutigkeit abzunehmen. Denn unausgesetzt ihnen gehört die Devotion in der künstlerischen Produktion, die einen ein Leben lang in Schwung versetzen, weil sie einem nichts aufschwatzen, sondern Impulse für eigenes Phantasieren freisetzen. Dass nichts passiert sei zwischen einst und jetzt ist mitnichten Zeichen von Leere, sondern dass das richtige Gebilde zur rechten Zeit sich eingefunden hatte, um die Sinne auf Neues und Künftiges einzustimmen. Devotion war das erste Gebilde einer unabgeschlossenen Serie von Werken der Musik, die neue Erfahrungen zugänglich machen.