Weihnachten
Samstag, 27. Dezember 2014Vor drei Tagen abends direkt live: „Der Song mit den Rössli und den Glocken, wenn ich schon wünschen darf!“


Fladi wird von Vladi sicher durchs Gebimmel dirigiert, das er als erste Nummer wünschte. (c)Laura
Vor drei Tagen abends direkt live: „Der Song mit den Rössli und den Glocken, wenn ich schon wünschen darf!“


Fladi wird von Vladi sicher durchs Gebimmel dirigiert, das er als erste Nummer wünschte. (c)Laura
Gestern Abend auf DVD: Jimmy Carl Black, Where’s the Beer and when do we get paid, filmed by Böller & Brot, 2012.
Ich sah die Grandmothers 1993 in Bern und hatte damals schon Mühe, die früh gealterten Bandmitglieder zu mögen – ausser Jimmy Carl Black. Im Film tauchen alle dieselben, die einstens die ersten Mothers waren, wieder auf, und man denkt nur eines: wie blöd diese Leute geworden sind. Black ist sympathisch geblieben, aber auch von ihm lässt sich nur sagen, dass er ausser zu trommeln nur vermochte, fernseh zu gaffen. Leider durchbricht der Film diesen Bann keineswegs, sondern verstärkt ihn in alle Richtungen, in unnötig privatistischen Szenen um Black, in isolierten idiotischen Gesprächen mit den erwähnten Grandmothers und noch schlimmeren anderen Gefährten des Lebens auch ausserhalb der Musik – nicht zuletzt in der affirmativen Präsentation des musikalischen Umfelds des Rockmusikers im abgedrehten Bayrischen Osten. Auch wenn es ihm in der Wirklichkeit glücklicherweise missraten war, steht er vor dem Zuschauer am Schluss in kurzen Lederhosen da, und zwar gar nicht so lustig, wie er selbst es sich ausmalte. Trotz der engen musikalischen Grenzen hat er diese Sackgasse der Lächerlichkeit nicht verdient.
Soeben live auf France Musique concert enregistré le 18 novembre à la Cité de la Musique (Paris): Orchestre symphonique SWR Baden-Baden & Freiburg, Ingo Metzmacher, direction, Laura Aikin, soprano, Gunhild Ott, flûte, flûte en sol, flûte basse, Alexander Ott, musette, hautbois, hautbois d’amour, cor anglais, Jean-Frédéric Neuburger, piano, André Richard, projection du son.
Karl Amadeus Hartmann (1905-1963), Adagio (Symphonie n° 2) pour grand orchestre (1943-1949).
Bruno Maderna (1920-1973), Ausstrahlung pour voix de femme, flûte, hautbois, orchestre et bande magnétique.
Luigi Nono (1924-1990), Como una ola de fuerza y luz pour soprano, piano, orchestre et bande magnétique.
Was für ein grossartiges, umwerfendes Konzert! Neunzig Minuten lang der Kiefer auf den Knien… Das Stück von Nono, eben erst doch vor ein paar Monaten wieder gehört: vor 45 Jahren komponiert klingt es heute – mit dieser Sopranistin – wie aus einer 45 Jahre weit entfernten Zukunft.
Soeben live auf Ö1 Alban Berg/Olga Neuwirth (Bearbeitung): „American Lulu“, Orchester der Komischen Oper Berlin, Dirigent Johannes Kalitzke, aufgenommen bei der Premiere am 7. Dezember 2014 im Theater an der Wien.
Der Blues muss als Zeichen für eine Art existentielle Wahl der Freiheit herhalten, ist aber nicht anders fabriziert als einstens bei Gershwin und Bernstein, sterilisiert. Der Rest ist gute Neuwirthmusik, in der Berg lebendig aufgehoben ist.
Soeben live auf France Musique Concert U.E.R donné le 06 juillet 2014 à l’Eglise du Collège St-Michel à Fribourg, Chœur Ensemble Huelgas dirigé par Paul van Nevel.
John Sutton, Salve Regina
William Horwood, Magnificat amina mea
Edmundus Sturton, Gaude Virgo Mater Christi
John Browne, Stabat Mater dolorosa
Robert Wylkynson, Salve Regina
Umwerfend! Die Leute dieser Musik, Komponisten wie MusikerInnen, suchen genau das Gegenteil dessen, was ich suche. Sie sind nahe daran, das Ihre gefunden zu haben. Oh wenn es nur die nicht perfekte Zeit im Guten zu leben gebe!
Soeben live auf France Musique Ciné-concert enregistré le samedi 8 novembre à la Salle Pleyel (Paris).
Philippe Schoeller (né en 1957), J’accuse (trois extraits) – création mondiale. Orchestre Philharmonique de Radio France, Gilbert Nouno, réalisation informatique musicale Ircam, Frank Strobel, direction, Composition sur le film d’Abel Gance (France, 1919).
Neuer Soundtrack zum Stummfilm J’accuse von Abel Gance aus dem Jahre 1919. Beeindruckende Opferarbeit, indes wirkungslos gegenüber der Waffenproduktion der US-Familienverbänden von Bush & Co.
Die erste Begegnung mit Edgard Varèse passierte in einem Luzerner Plattenladen, als beim Durchstöbern der Regale auf einer Hülle plötzlich der Name desjenigen Autors vor mir stand, von dem der Spruch auf allen damaligen Zappaplatten stammte, „The present-day composer refuses to die“: der Komponist von heute muss notwendigerweise auf die Gesellschaft reflektieren und kann nicht bruchlos die künstlerische Arbeit da fortsetzen, von wo er sie als Schüler gelernt hat. Die Platte enthielt, von Marius Constant dirigiert, die zwei grossen Orchesterstücke Amériques und Arcana. Das früher entstandene Amériques existierte nur in der zweiten Fassung, die Varèse schnell nach der Uraufführung herstellte, weil er die Peinlichkeiten in ihr endlich erkannte. Ich eignete mir sämtliche Schriftstücke an, die irgendetwas mit Varèse zu tun hatten – eine Sehnsucht nach der ersten Fassung von Amériques hat sich darauf hin nie eingestellt. Als in den neunziger Jahren die Rekonstruktion und Publikation der Urfassung angekündigt wurde, wurde mir, in Kenntnis der Umstände, mulmig zumute, und die Doppel-CD von Chailly bestätigte dann die Befürchtungen, obwohl die CD als Ganzes natürlich ein grosser Wurf ist, nota bene inklusive der Realisation von Ur-Amériques.
2007 dirigierte Ingo Metzmacher im strategischen Couple von Richard Strauss Ein Heldenleben (eine Urfassung vor 1898) und von Varèse Ur-Amériques (1922), eine Studioeinspielung mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, die ohne Angaben verzögert erst 2014 veröffentlicht worden ist. Ein Heldenleben ist im Doppelsinn eine Art Best-of von Strauss, weil der Komponist aus enorm vielen eigenen Werken zitiert und weil das Werk für mich auch als eines seiner besten dasteht. Ein nerviges Moment der Straussschen Ästhetik zeigt sich darin, dass er sich regelrecht vor dem Klang fürchtet und alle Konflikte, auf die er harmonisch wagemutig zusteuert, mit Melodien oder Signalen in Luft auflöst – mit musikalischen Phrasen, die wahrlich zwanghaft einem Konkretismus unterstehen. Im Heldenleben erscheinen sie wie vom Bann befreit, und selbst die Zitate aus dem Eulenspiegel, der in den holzschnittartigen Signalen übel erstarrt, goutiert man, mit einer gewissen Genugtuung darüber, dass Strauss das progressivere Komponieren sehr wohl beherrschte, wenn er nur wollte.
Als in den 1990er Jahren die Urfassung von Amériques durch Klaus Angermann zugänglich gemacht wurde, war es bereits damals Metzmacher, der sie zum ersten Mal nach 1927 wiederaufführte. 2007 musste ihm Varèse in allen seinen Facetten vertraut sein wie kaum einem anderen Dirigenten. Die Interpretation auf der CD darf dann wohl als Nonplusultra gelten, und nichts beim Hören könnte diese Qualifizierung in Frage stellen. Man muss sich der Herausforderung also stellen: was dachte sich der Straussianer Varèse, als er Amériques konzipierte, und was geschah im unmittelbaren Prozess nach der Uraufführung, der zur genialen und antistraussischen zweiten Fassung führte?
Da mir aus anatomischen Gründen Archivalien in den untersten und in den obersten Ablagen der Büchergestelle ab Kinnhöhe nur mit Mühe zugänglich sind, höre ich mir diese Interpretation ohne Partitur an (ich habe nur diejenige der zweiten Fassung), ab und zu den Zähler des CD-Players im Auge. Auffällig ist, wie die erste Fassung grösser ist bezüglich des instrumentalen Raumes, geringer aber in der Zeitdauer. Sie wirkt subjektivistischer und gar egomanischer, insbesondere ist ihr Schluss nur laut und nichts darüber hinaus. Entscheidend ist aber, dass in der zweiten Fassung die Straussschen Seitentriebe des Melodischen weggeschnitten sind und in einer Passage, die Strauss selbst fast hätte alleine schreiben können, das Ganze überhaupt: in den Minuten 14.5 bis 18.5 leistete sich Varèse eine veritable En-bloc-Resektion. Hätte man die Augen auf dem Text der zweiten Fassung, müsste es auch einem geübten Partiturenleser schwierig sein, den Anschluss zu packen. Es brauchte Courage, in einem 25minütigen Stück für Riesenorchester tel quel vier Minuten auf den Misthaufen zu werfen (nebst vielem Beigemüse). Ein guter Komponist hätte sich den signalhaften Aussenästen und melodiösen Zweiglein gewidmet, und er hätte mit ihnen schönere Übergänge gestaltet. Doch Varèse war und blieb ein schlechter Komponist. Das ist es, was wir in der Gegenüberstellung zu Strauss, dem Radikalbegabten, lernen müssen und was uns mit dieser CD, sofern wir nur die zweite Fassung von Amériques in allen ihren Winkeln gedächtnismässig in den Ohren haben, gelingt (für Anfänger ist sie ungeeignet). Erst wenn dem Gestrüpp schöngeistiger Melodien der Garaus gemacht wird, machen sich der Musiker und die Musikerin auf den Weg, neue Welten zu entdecken und werden sie dieselben dem Publikum auch zugänglich machen können. Diese Arbeit in der Kunst hat dann mit Richard Strauss, und sei er ein noch so guter Komponist gewesen mit noch so viel Ansehen bei den Jüngeren, nicht das geringste mehr zu tun.
Soeben live auf SRF 2 Konzert vom 25. Oktober 2014, Opernhaus Zürich, Philharmonia Zürich, Fabio Luisi, Leitung, Bartek Niziol, Violine.
Sophia Gubaidulina, Violinkonzert Nr. 2 In tempus praesens (1987).
Helle Begeisterung auch heute vom ersten bis zum letzten Ton. Ein Stück, das einen herausfordert, über alle seine Partien detailliert zu sprechen. Die Mittel sind alt, was sich in ihnen aber zeigt neues Unerhörtes.
Soeben live auf France Musique concert enregistré le 24 octobre 2014 en l’église Saint-Merri (Paris 4ème) par l’ensemble soundinitiative, sous la direction de Leonhard Garms.
Clara Iannotta (née en 1983), D’après pour flûte, clarinette, piano, percussion, violon, alto et violoncelle. – Ein neuer Wind in der Musik, ziemlich kompakt und aufgeweckt.
Gérard Grisey (1946-1998), Berceuse des Quatre chants pour franchir le seuil (transcription de Brice Pauset), pour mezzo-soprano et ensemble (création française), Fabienne Séveillac, mezzo-soprano. – Zu leicht und zu luftig für unsere dumpfe Zeit. Vielleicht könnte man das Stück etwas präziser spielen?
Mauro Lanza (né en 1975) / Andrea Valle (ordinateur), Regnum Animale, pour trio à cordes et objets électromécaniques (création française). – Ich kann gut auf Humor in der Musik verzichten, hier ist er aber gelungen. Eine musikalische Tierwelt, die auch die Jüngsten interessieren dürfte. Das Stück aber ein zweites Mal hören? Eher nicht, da die ausgedehnten Zeitverhältnisse es aufdringlich machen.
Joanna Bailie (née en 1973), StreetSouvenir, pour flûte, clarinette, piano, violon, alto, violoncelle et contrebasse (nouvelle version, création française). – Aufgewärmter Satie, mit Ferrari gewürzt. Hübsche Effekte ohne kompositorische Anstrengung.
Mauro Lanza (né en 1975), Vesperbild, pour grand ensemble, instruments jouets et électronique. – Der Wille ist da, aber in der Ökonomie hapert es. Am besten gegen den Schluss hin, wo wieder die Nachttiere aufscheinen.
Vorgestern Abend live auf WDR 3 Konzert vom 25. Schaffhauser Jazzfestival 2014 mit New Bag: Christy Doran, Sarah Buechi, Vincent Membrez, Lionel Friedli.
Christy und später Brigeen und Dave Doran bewachten seit dem Om-Konzert in der Aula Tribschen mehrere Luzerner Hintereingänge zur Musik. Ihre Konzerte besuchte man der Gier folgend auch auswärts wie ihre Platten im 20. Jahrhundert allesamt in der Familie als feiertägliche Kulturgüter hin- und hergeschenkt wurden (Google Bilder zeigen kein unbekanntes Cover aus der genannten Zeit). Das Tribschenkonzert in den frühen siebziger Jahren geschah noch vor der Konfrontation mit Hendrix und McLaughlin, weshalb es wie ein einzigartiger & scheinbar einmaliger Initiationsritus in die Musik als unantastbares Fundstück der Erinnerung gänzlich ausserhalb der kritischen Reflexion erhalten bleibt, als Ort von Heimat. Gerade weil diese Musik neben derjenigen Schönbergs & Co. ein so grosses Gewicht bekam, hätte ich mir die Läufe auf Dorans Gitarre länger und entschieden mehr in die Länge gezogen gewünscht, befreit von der Last aller Bescheidenheit. Beim Geniessen des Schaffhauser Konzerts dünkte es mich nun klar, dass es sich keineswegs um eine Frage der materiellen Disposition, sondern um eine des ästhetischen Willens handelt. Die ganze, mit Freude genossene Zeit fragte ich mich, warum die Band nichts Neues entstehen lassen will, warum die Einsätze gleich wie die Abgänge meistens leicht auseinander plaziert sind und sich kein erweiterter Raum bildet, in dem sich eine intellektuelle Spannung doch endlich aufbauen müsste. New Bag zeigt sich wie die Ästhetik in den neuen Medien heute, die gemeinhin als etwas Ärgerliches beschrieben wird, als ein Geflecht von Impulsen, die das Publikum, also die Gesellschaft des Alltags dazu verführt, nur Muster mehr wahrzunehmen, die Welt der Kunst, der Musik und des Lebens zerstückelt in Müsterli, wie sie früher neben der Kasse in den Läden als Reizwerbung beiläufig mitzunehmen waren. Aber Dorans Musik ist nicht ein Effekt der aktuellen Medientechnologien. Man muss den Willen ernsthaft ins Auge fassen und die Sachlage gänzlich umstülpen: die musikalische Ästhetik ist älter als die Technologien, mit denen sie bruchlos korrespondiert. Doran gehört zu den Pionieren der Zerstreuung, indem er von Anfang an einen regelrechten, zuweilen irisch, zuweilen innerschweizerisch geprägten mürrischen Unwillen darüber demonstrierte, dass sich die Teile seiner Stücke fortspinnen und verknüpfen liessen, auf dass ein erweiterter, spannungsgeladener musikalischer Zusammenhang entstehen würde. Eine solche Ästhetik, die im deutlichen Willen, der den Abhub will, von jedem Zufall frei ist, hat man in gleicher Weise hinzunehmen wie den Ort, an dem man geboren wurde, weil er für einen selbst als reiner Zufall dasteht.
Dann noch in derselben Radioaufnahme von Schaffhausen das Lucien Dubuis Trio & Spacetet mit dem Stück Albumblatt für Herrn Schprögel. Keine Sache, die sich hinter dem Bag verstecken müsste: Grandioses aus dem Jura! Klar, ohne den Disziplinierungsschub des Streichquartetts erschiene einem ein alter musikalischer Sack und die Ohren täten langsam gähnen.
Soeben live auf Bayern 4 Konzert der musica viva, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Leitung Stefan Asbury, Aufnahme vom 24. Oktober 2014 im Herkulessaal der Münchner Residenz.
Brett Dean: „Three pieces for eight horns“. – Umwerfend, luxuriös, sinnlich.
Arnulf Herrmann: „Drei Gesänge am offenen Fenster“ (Uraufführung). – Die gleichen Attribute wie beim ersten Stück: faszinierend, farbig und mit räumlicher Tiefe, bestaunenswert – und Erwartungen freisetzend.
Elliott Carter: „Epigrams“ für Klaviertrio. – Die Spontaneität des über Hundertjährigen erinnert an die ungestüme Subjektivität eines Jugendlichen. Auch ein letztes Stück kann frech klingen und als Herausforderung daherkommen.
Harrison Birtwistle: „Responses. Sweet disorder and the carefully careless“ (Uraufführung). – Mindestens so stark die Wirkung hier wie bei den anderen Stücken des Abends, so dass man dasitzt und einem die Kinnlade aufs Knie zu fallen droht. Sinnlichkeit ohne die geringste Anbiederung an eine vermeintliche Blödheit des Publikums wie bei den zwei Österreichern vor zwei Tagen.
Soeben live auf France Musique concert enregistré le 17 octobre à la Cité de la Musique (Paris) dans le cadre du festival d’Automne. L’ensemble Intercontemporain est dirigé par Matthias Pintscher.
Clara Iannotta (née en 1983), Intent on Resurrection – Spring or Some Such Thing pour dix-sept musiciens (2014, création, commande de l’Ensemble Intercontemporain et du Festival d’Automne à Paris).
Luigi Nono (1924-1990), Omaggio a György Kurtag, pour contralto, flûte, clarinette, tuba et électronique, Lucile Richardot, contralto, André Richard, projection du son.
Helmut Lachenmann (né en 1935), Concertini.
Nach dem ärgerlichen Kitsch gestern der zwei Österreicher auf Ö1 nun wieder sehr gute und wahrhaftige Musik.
Soeben auf WDR 3 direkt live Übertragung aus der Kölner Philharmonie, Arditti-Quartett und WDR Sinfonieorchester Köln, Leitung Peter Rundel.
Toshio Hosokawa, Konzert für Streichquartett und Orchester, Uraufführung, Kompositionsauftrag des WDR, Casa da Musica Porto und Eurasia Festival Jekaterinburg. – Ein grossartiges Verschmelzen uralter Impulse aus der japanischen Hofmusik mit einer vorwärtstreibenden modernen Ästhetik. Zu wiederholen.
Johannes Maria Staud, Über trügerische Stadtpläne und die Versuchungen der Winternächte, Dichotomie II für Streichquartett und Orchester, Deutsche Erstaufführung. – Leicht bieder und konventionell, in den kleinen Formen uninspiriert, mit allzu bekannten Materialien hantierend. In den Orchesterpartien interessanter.
Soeben live auf France Musique concert enregistré le 28 septembre à Strasbourg dans le cadre du festival Musica. Quatuor Tana : Antoine Maisonhaute, Pieter Jansen, violons, Maxime Desert, alto, Jeanne Maisonhaute, violoncelle.
Jacques Lenot (né en 1945), Quatuor n° 6 (2008) – création mondiale. – Einfach und harmlos – und tonal gedacht. In der konstruierten Einfachheit schlummert keine Schönheit.
Ondrej Adamek (né en 1979), Lo que no’contamo (Quatuor n° 2) (2010). – So regressiv wie das aufgeblasene Stück gestern in Donaueschingen. Adamek: der Letzte, dem man es sagen muss, dass Schwejk ein Konformist war.
Yves Chauris (né en 1980), Shakkei (2012). – Verschlafen.
Pascal Dusapin (né en 1955), Quatuor n° 4 (1997). – Gegen Ende hin erst aufgewacht.
Nach dem grausligen Wetter- und nicht minder verschifften Musiksommer endlich wieder gute Musik in der Stube:
Soeben live auf France Musique concert enregistré le 25 septembre 2014 au Théâtre National de Strasbourg dans le cadre du festival Musica.
Hugues Dufourt (né en 1943), Burning Bright (UA), Les Percussions de Strasbourg (Claude Ferrier, Bernard Lesage, Keiko Nakamura, Minh-Tâm Nguyen, François Papirer et Olaf Tzschoppe).
Das beste Stück, das die Strassburger Trommler jetzt im Repertoire haben: u m w er f e n d! Genau so fantasierte ich mich vor fünfzig Jahren durch den indischen Dschungel, mit den zwei Tigern, ihren Jungen und der Prinzessin. Sogar die Stimmung am Rand der Berghöhlen hört man, wenn wir über den Wäldern waren.
Ich habe zur Vorbereitung des Konzerts in der NZZ von 2001 einen hervorragenden Artikel über Dufourt gelesen, leider ohne Angabe über den Autoren oder die Autorin (immerhin verweist Google bei mir mit Hugues Dufourt weit oben auf den Artikel):
http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/article7QYBD-1.505068
Wie gut das tut, Musik zu hören, mit der man einverstanden ist wie früher nur mit Varèse!
Soeben live auf France Musique concert enregistré le 26 juillet 2014 à la Collégiale de Briançon, dans le cadre de la 17ème édition du festival Messiaen au Pays de la Meije. Ensemble Musicatreize, Orchestre Régional de Cannes Provence Alpes Côte d’Azur, Roland Hayrabédian, direction.
– Jean-Louis Florentz (1947-2004), Magnificat-Antiphone pour la Visitation op. 3 pour ténor, chœur mixte et orchestre.
– Olivier Messiaen (1908-1992), Trois Petites Liturgies de la Présence Divine pour piano, ondes Martenot, célesta, vibraphone, trois percussionnistes, chœurs de femmes à l’unisson et orchestre à cordes. I. Antienne de la Conversation intérieure II. Séquence du Verbe. Cantique Divin III. Psalmodie de l’Ubiquité par amour. Roger Muraro, piano, Valérie Hartmann-Claverie, ondes Martenot, Thibault Lepri, célesta.
In einer Zeit, da der Zugriff des Faschismus im schwarzen Mantel der Religionen geschieht, hüben wie drüben, bei Al-Baghdadi gleichwie bei Rus-Putin, ist religiöse Musik nur schlecht zu goutieren: sie kommt wie ein Hohn daher und unverhofft komplizenhaft. So schlecht hatte ich auf die parfümierte Hysterie Messiaens kaum jemals reagiert – und die Musik seines Getreuen Florentz wirkt in diesem globalen Umfeld der Katastrophe trotz ihrer Eigenständigkeit nicht anders. In der Tat ist es die Musik, die das Desaster bereinigt, aber keine religiöse.
Zusatz: Daraufhin in einem der sofortigen Schlafträume eine institutionelle Kritik an dem, was ich schreibe, die radikaler und vernichtender nicht sein könnte (in einem Szenario immerhin noch vor der Internetzeit…) – mit den übelsten Empfindungen beim Aufwachen. Soll ich ihn relativieren und auf die Anmassung beziehen, für einmal etwas gegen Messiaen gesagt zu haben, oder soll ich den Traum beim Wort nehmen? Eine schwere Sache! Der Kampf ist die verwerflichste Kategorie der (praktischen) Philosophie, und es muss ihr, in welcher das Feindliche immerhin sich noch ideologisch vorstellen liesse, begrifflich bis ins Äusserste widerstanden werden. Aber der Faschismus kämpft nicht. Er entfesselt den blinden Terror, wo ihm auch das individuelle Selbstvertrauen, in dem das Denken zu verankern wäre, zum Opfer wird.
Soeben live auf Bayern 4 vom 1. September 2014 aus Dresden Sächsische Staatskapelle Dresden, Leitung: Christian Thielemann, Solist: Gidon Kremer, Violine.
Sofia Gubaidulina: Violinkonzert Nr. 2 – „In tempus praesens“.
Schon lange nicht hat mich ein Werk von Gubaidulina so beeindruckt wie dieses. Eine grossartige Dramatik.
Gestern Abend live direkt auf France Musique via BBC 3 von den Proms London Wu Wei, Sheng (orgue à bouche), Orchestre Philharmonique de Séoul, Myung-Whun Chung, direction.
– Unsuk Chin, Šu, concerto pour Sheng et orchestre (2009).
Spätnachts dann, wenn rechtschaffene Menschen schlafen, live auf SRF 2 vom 23. August 2014 in Luzern Lucerne Festival Academy Orchestra, Simon Rattle, Leitung, Barbara Hannigan, Sopran.
– Unsuk Chin, Le Silence des Sirènes für Sopran und Orchester (Uraufführung).
– Luciano Berio, Coro für vierzig Stimmen und Instrumente (1975-76).
Drei grandiose Stücke, die auf wunderbare Weise miteinander in Verbindung stehen und noch ein viertes für die Sehnsüchtigen im Schlepptau haben. Wu Wei war mir noch mit dem Dragon Dance in den Ohren und die ganze Komposition schnell familiär, wenn auch in einer beeindruckenden eigenständigen, neu anmutenden Klarheit (dass Unsuk Chin durch das serielle musikalische Denken hindurchgegangen ist, merkt man an der Stringenz der Komposition). Dieselbe Klarheit und dieselbe Sorgsamkeit gegenüber dem Solopart zeigten sich wieder in der Uraufführung von Le Silènce des Sirène, also dem Schweigen der Sirenen, wie es Kafka einmal in einem Fragment beschrieb (das erst später diesen Titel zugesprochen bekam). Man steht inmitten einer Welt der Verführung, also ob man immer schon nur solches für sich selbst am Suchen gewesen wäre. Und schnell denkt man an Berio, weil Unsuk Chin dieselbe Passage aus dem Ulysses verwendet wie Berio in Thema – Omaggio a Joyce von 1958. Und Hannigan wird Berberian. Man freut sich auf Coro, das Ende der siebziger Jahre zu einem jener grossdimensionierten Stücke gehörte, das einem die Neue Musik füglich als einen unerschöpflichen & unerschöpfbaren Jagdbezirk erscheinen liess (mit La fabbrica illuminata, Pli selon Pli, Momente, Gruppen etc.). Coro wird so gut interpretiert, dass es wieder an die Leichtigkeit von Šu zurückerrinnert – aber schnell auch an When the mountain changed its clothing von Heiner Goebbels mit dem Mädchenchor Carmina Slovenica, das am selben Tag leider nur in winzigen Ausschnitten am Radio erschien und sofort mit Prio 1 auf CD zugänglich gemacht werden muss: Uli isses, der Carmina Slovenica hören muss.
Zusatz 11. September 2014, 21.30 Uhr: soeben das Konzert vom 23. August 2014 aus Luzern nochmals auf Bayern 4 – einfach fantastisch!
Zusatz 18. September 2014, 21.00 Uhr: soeben das Konzert vom 28. August 2014 aus London nochmals auf Espace 2 – gleichfalls fantastisch!
Gestern Abend live auf WDR 3 Wittener Tage für Neue Kammermusik vom 9. bis 11. Mai 2014.
Stefan Prins, I’m your body für Ensemble und Elektronik, Klangforum Wien, Leitung: Emilio Pomàrico. – Lästige Musik, im Detail schlecht (der Saxophonspieler hat sein Instrument kaum länger als ein halbes Jahr zum Üben gehabt), in der grossen Form unschlüssig und kindisch. Eine Art Zahnarztmusik.
Franck Bedrossian, Epigram II für 11 Instrumente und Sopran, Klangforum Wien, Leitung: Emilio Pomàrico, Donatienne Michel-Dansac, Sopran. – Schöne und spannende Theatermusik, in den instrumentalen Details etwas einfach, vielleicht zu nahe am Text. Die Gesangspartie erscheint gut komponiert und ist ebenso gut gesungen.
Wolfgang Mitterer, scan 1 für Ensemble und Elektronik, Klangforum Wien, Leitung: Emilio Pomàrico. – Ich bin nicht beeindruckt, denn die grosse Form ist tonal gedacht, als ob das Stück für eine amerikanische Feldmusik geplant gewesen wäre, ständig auf dem Sprung zu einer Kadenz.
Philippe Manoury, Trauermärsche für Kammerorchester, WDR Sinfonieorchester Köln, Leitung: Peter Rundel. – Eine leichte, etwas unterkomplexe Trauer, mit schönen Effekten ohne Übergänge zu einem Ganzen.
Rebecca Saunders, Void für 2 Schlagzeuger und Kammerorchester, Christian Dierstein und Dirk Rothbrust, Schlagzeug; WDR Sinfonieorchester Köln, Leitung: Peter Rundel. – Was die Schlagzeuger spielen, ist stets aufs neue spannend, das Orchester mit der e-Gitarre wirkt dagegen wie eine protestantische Kirchenband, die dafür sorgt, dass nichts aus den Fugen gerät. Das künstlerische Ohr wünscht sich, dass das Ganze aus den Fugen gerät … und wird peu à peu erhört! Das Stück wird immer besser, und endlich bin ich wieder einmal bei den Bravorufern.
Soeben live auf Bayern 4 Alexander von Zemlinsky, Streichquartett Nr. 2, op. 15, gespielt vom tschechischen Zemlinsky Quartett am 4. Juli 2014 im Rahmen des West Cork Chamber Music Festivals.
Zwei Geniestreiche in Einem, betrachte man die Komposition als Gebilde oder die Interpretation der Prager, gegen die Unbilden des Bümplizer Sommeralltags: als Krüppel auf dem Abendspaziergang mit Steinen beworfen, Zerstörung der Hausinfrastruktur durch sogenanntes Abwartungspersonal, wiederkehrende Computer-Hardwarepanne ohne identifizierbare Ursache (dvi no signal), immer noch keine Lösung gegen die infantile Digitalkamera-Discount Betrügerin aus dem rechtlosen Raum Adligenswil-Luzern (ab nach Luzern, Online-Shop-Kriminelle, da seid ihr von Staates wegen geschützt!), Fussschmerzen nach wie vor unbezwungen etc. … Aber dieses Konzert nun war eine Wucht wie ein luftiges Gewitter!
Zusatz: Den ganzen Tag lang über die Logik des Zerfalls phantasiert und wie sie ein zwar komplexes, aber doch in sich stabiles Gebilde voraussetzt und wie viele Phänomene wegen ihrer blossen inneren Instabilität ausserhalb ihres Feldes kampieren und als unbeherrschbar frech herüberwinken. Eine Unbill des Alltags ist kein Gebilde, dessen Schein sich durchbrechen und das sich in der Konstellation von Begriffen so in seinem Zerfall erkennen liesse.
Zusatz 30. Juli 2014: Beim PC musste die Grafikkarte ausgewechselt werden. Alte Karte Nvidia GeForce gt 520 mit 2 GB DDR3 (Desktopleistung für Windows Aero 4.9), neue Karte Asus Nvidia gt 740 oc mit 1 GB GDDR5 (Desktopleistung für Windows Aero 7.3 – die Leute von Stegcomputer in Zollikofen scheinen mir also die optimale Grafikkarte für mein System verkauft zu haben).
