ur III: Die Zweiundzwanzigste. Strawinsky: Sacre du Printemps und Petruschka

CD: Strawinsky: Sacre du Printemps und Petruschka

Gesamtpartitur

(1 Technische Pause 0.04)
2 Le Sacre du Printemps, 1913
Version Piano Solo von Sam Raphling, uraufgeführt 1979
Teil 1, Adoration of the Earth 15:33
3 Teil 2, The Sacrifice 18.38
4 Pause
5 Petruschka, 1911
Version Piano Solo vom Komponisten, 1921
Teil 1 & 2, Russian Dance & At Petrushka’s 6:37
6 Teil 3, The Shrovetide Fair (Fasnacht) 8:19

Die Cadenza in “At Petrushka’s” dauert zehn Sekunden und besteht aus vier Takten mit wilden Glissandi und Pitch Bends dank des zusätzlich benutzten Instruments Augmented Piano, drei Spuren mit 6, 24 und 48 Semitones, (Minuten 5:22 bis 5:32).

Für uns heute sind der Sacre und Petruschka zwei Stücke, deren Kompositionsweise und Ästhetik genossen wird und keine Irritationen hervorrufen. Wir lieben die zwei lärmigen Tanzstücke, weil sie die Metaller und die anderen Rockstars alt aussehen lassen. – Nicht so für Adorno.

Adorno veröffentlichte die Philosophie der neuen Musik 1948 als Exkurs der Dialektik der Aufklärung, nach deren These weder technischer Fortschritt noch kulturelle Aufklärung zum Guten führen, wenn die Prozesse in ihnen nicht reflektierend begleitet werden. 1948 war sein eigenes progressives Musikwerk von 1928 vergessen und die Klavierwerke von Boulez noch in der Werkstatt. Thema des Buches sind Schönberg, der in den 1930er Jahren nach der Entfaltung der 12-Ton-Musik statt sich weiter zu entwickeln sich nur wiederholte – und Strawinsky. Es ist schwierig, Adornos Aversion gegen ihn zu verstehen. Beide Werke von hier stehen im Zentrum des Abschnitts über Strawinsky, mit demselben aussermusikalischen Thema. Einmal steht das Opfer im Zentrum eines Ritus, der von einer grossen Menschenmenge durchgeführt wird. Im anderen Stück gibt es eine unglückliche Figur, die von der Masse der Fasnachtstreibenden verhöhnt wird. Diese Verhöhnung als Verweigerung des Beistands muss man in beiden Stücken beachten, wenn man Adorno verstehen will. Uns erscheint sie in diesen Werken nicht als Problem. Hören wir aber den Till Eulenspiegel von Richard Strauss, ist klar, worum es geht: der Schluss dieser Musik von 1895 ist auch für uns unerträgliche Verhöhnung – und nichts anderes ist der Eulenspiegel, komponiert von einem späteren Nazi, als ein Vorläufer von Petruschka.

Die Identifikation mit der Meute und die Verhöhnung des Opfers durch die Meute sind faschistisch. Adorno bleibt nicht bei dieser Negativität, die, wie unsere Wahrnehmung zeigt, in der Kunst mit der Zeit ihre Dringlichkeit verliert. Er verfolgt alle Spuren, die zeigen, dass die Modernität und also das programmatisch Neue der Kunst bei Strawinsky nur vorgetäuscht wird – denn eine wirkliche, also durchgehende Befreiung der Dissonanzen findet nicht statt (wie sie eben im op. 3 von Adorno 1928 auf radikale, über Schönberg hinaus gehende Weise schon geschehen war). Einer der vielen, leicht nachvollziehbaren Beweise liegt darin, dass sämtliche Melodien diatonisch, also tonal gesetzt sind.

Montag, 28. Dezember 2020 um 8:15 am Themenbereich: Musik                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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