Redlichkeit und Zeit

Nicht selten geschieht es im Bloggen, dem neuen Medium der spontanen und auf blosse Wahrhaftigkeit verpflichteten Entäusserung, dass das Fundament der Wahrheit in Schieflage gerät, die Redlichkeit. Nicht weil das Subjekt sich nicht unter Kontrolle hätte und ständig dazu verleitet wäre, Behauptungen zu posten, die einer objektiven Kontrolle nicht standhalten würden, sondern weil ein Blogeintrag gut daran tut, die Einheitlichkeit einer Intention – eines Themas – nicht zu stören. Aus der Sicht eines Einzelnen wird der Zusammenhang eines Vorgangs oder eines theoretischen Moments beschrieben, in dem eine neue Qualität oder ein neues Besonderes aufscheinen soll, das objektiv als neue Behauptung dasteht. Indem das Format des Blogs den Druck der Zeit in der Weise akzeptiert, dass es für sein Schreiben immer besser ist, auch dann erstellt und vervollständigt – und also veröffentlicht – zu werden, wenn seine einzelnen Elemente noch nicht bis ins Letzte abgeklärt worden sind, ohne den Rahmen der Idee einer vorläufigen Notiz ganz zu zerstören, muss immer damit gerechnet werden, dass zwischen der Zeit der Erstellung und derjenigen der Lektüre entscheidende Vorgänge passiert sein mögen, die dem Gehalt der Behauptung und der Richtung der Intention widersprechen. Will ein einzelner Blogeintrag lesbar bleiben, darf er nicht mit zu vielen Zusätzen verunstaltet werden; weiss aber der Schreibende, dass schon während der Niederschrift oder in unmittelbarem Zeitraum danach Besonderes im vorgestellten Zusammenhang Einsprache erhebt, muss er abwägen, der heiligen Redlichkeit zuliebe alles zurückzuziehen oder das in seiner Intention so schnell Ruinierte stehen zu lassen, weil es trotz des Mangelhaften immer noch zu viele Momente der Dringlichkeit enthält, als dass diese weiterhin im Verborgenen gehalten bleiben sollten. Das Schreiben im Internet eröffnet nicht nur sehr schnelle neue Formen der Aufzeichnung, sondern verlangt auch neue Formen der Lektüre, die die Anforderungen der Redlichkeit insoweit auflockern, dass sie immer schon damit rechnen, dass der Bloggende etwas Zusätzliches zu sagen hätte. – Das Ranzenpfeifen gestern von acht Uhr abends bis ein Uhr morgens war doch zu stark, als dass auf es nicht hätte reagiert werden müssen, in irgendeiner Form.

Donnerstag, 29. Juli 2010 um 5:28 am Themenbereich: Theorie                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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