Franziska Baumann, Fictions

Soeben auf Espace 2 Konzert vom 1. 2. 2012 im Centre Dürrenmatt Neuchâtel: Fiction, Audiovisuelle Konzertinszenierung, CRÉATION frei nach Jorge Luis Borges, Franziska Baumann, Konzept, Komposition und Stimme, Claudia Brieske, Konzept, Videoschnitt und Live-Projektion, Angela Bürger, dramaturgische und szenische Begleitung, Solisten des Nouvelle Ensemble Contemporain NEC: Marie Schwab, Viola, Jean-François Lehmann, Bassklarinette, Lucas Gonseth, Perkussion.

Löst das Schöne der Natur im demonstrativen Widerstand gegen allen Metabolismus ein Staunen aus, das über den Tod hinauszuschauen vermeint und in der begriffslosen Bewunderung endet, von der es keinen Weg zurück zum Verstehen geben kann, ruft das Schöne in den Künsten eine begriffliche Auseinandersetzung hervor, die es selbst oder das Werk, in dem es erscheint, mit der Geschichte oder der Gesellschaft in Beziehung bringt, zu der es gehört, und zu allen anderen, von denen es sich als besonderes Schönes absetzen will.

Fictions gehört mit Video, drei Soloinstrumenten und der Solostimme der Komponistin, die das Stück mal in Einzahl, mal im Plural ankündigt, zu den Installationskünsten und enthält trotz eines präzisen Zeitflusses einen grossen Anteil an improvisierten Partien. In der Fülle der Ereignisse ist der Genuss des Stückes gross, das Aufstöbern von Momenten, die sich auf solche ausserhalb des Stückes, seien es die der Musikgeschichte oder der Gesellschaft heute, beziehen liessen, unbegreiflich schwer. Man ist auf den reinen Genuss zurückgeworfen. Er bezieht sich auf ein Schönes, das im Verlauf der Vocal Perfomance zerfällt, als ob er es selbst aufgegessen hätte. Wie das Schöne sich weigert, Zeichen dafür abzugeben, dass es zur Geschichte gehört, weigert sich die Natur, es als zu ihr gehörig anzuerkennen, damit es so bewundert werden könnte.

Fictions, dessen Titel sich auf Borges bezieht und das belletristische Experiment, in einer Sprache ohne Dingwörter zu schreiben, die den Fluss der Zeit irritieren, erscheint mehr als Veranstaltung für ein grosses unterhaltungsgewohntes Publikum denn als eine Herausforderung zum Nachdenken über die Künste und das Schöne. Es gibt keinen Grund, für einen solchen Anlass nicht Leute einzuladen, die gewöhnlicherweise zu DJ Bobo aufschauen, meinetwegen auch zu Blausack Huber, Hofer, Oberhofer, Flückiger, Schmidhauser, Kraut & Raeber, Pfeutzi & Launer und die mit dem See (nur Wittlin hatte ein erlesenes Publikum, mich) – ein schnell getätigter Adressatenwechsel, das Wankdorfstadion angemietet mit einer Berner Tanzband im Vorprogramm, Lischka schreibt im Bärner Bär den informierenden Werbetext und sowohl würden die Kassen endlich klingeln wie auch die Anerkennungswünsche endlich befriedigt werden. Ist das Phantasieren über die musikalischen Desiderate erst einmal in Schwung gesetzt, wird es ebenso leicht denkbar, dass aus der Verschmelzung des Wissens über die Publikumsverführung der Vorgruppe und der Erfahrung über die Manipulation technischer Effektgeräte des Hauptgigs die Popmusik eine Renaissance erführe. Die Installationsrockerinnen und Popinstallateure wären zu einer Musik befähigt, die einen wieder ohne Abwehr in Neugierde versetzen könnte. Nächste Aufführung im alten Stil 13.04.2012, 21h Dampfzentrale, Bern.

http://www.franziskabaumann.ch/de/vocal_performance/fictions.php

Sonntag, 4. März 2012 um 9:39 pm Themenbereich: Musik                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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