Sphären, Felder und gesellschaftliche Bereiche – Donna Quijota II

Nach Hegels Tod reagierte auf die Theorie der einen Vernunft mit dialektisch nur aus sich selbst entwickelten unterschiedlichen Forminstanzen neben Marx, der den Grad der Vernünftigkeit, an dem sie sich zu messen hat, in die gesellschaftliche Organisierung der Ökonomie legte und Nietzsche, der dem Schein der allgemeinen Vernünftigkeit die herrschende Destruktivität der Natur entgegenstellte, der inneren als Neurose, der äusseren als blindwütiger Machtwille, auch Kierkegaard, in Texten, die wegen ihrer biederen, indes vom Autoren strategisch intendierten Langweiligkeit für uns nicht mehr zuträglich sind. (Wie das ausschaut, wenn man sich heute philosophisch mit Kierkegaard auseinandersetzt, sieht man hier:
https://picasaweb.google.com/kierkegaardlibrary/
KierkegaardAndDeathConference#)

Er unterteilt die eine, von der traditionellen Philosophie behauptete objektive Vernunft in drei Sphären, die der Einzelmensch gleichermassen, wo immer er gesellschaftlich auch stehen mag, in seinem Bewusstsein vorzustellen hat. Wie der Idiot der Computerspiele macht er die Erfahrung, dass er nicht von Anfang an auf alle Zugriff hat, sondern dass sie sich ihm als Levels und im zusätzlichen Begriff Kierkegaards als Stadien darstellen, die er nacheinander erreichen muss – der Sprung von der einen zur anderen, von der ästhetischen zur ethischen und schliesslich zur religiösen Sphäre gelingt ihm nur, wenn er gewisse moralische Qualitäten zu prästieren imstande ist. Die Anforderungen des Lebens nagen an der moralischen Integrität des Einzelnen, so dass der Sprung zur ständigen Herausforderung wird und lebenslang in Wiederholungen getätigt werden muss.

In der modernen Soziologie wird die philosophisch behauptete Vernünftigkeit in der Gesellschaft (und der Gesellschaft selbst) radikal verräumlicht, so dass zuweilen der Eindruck erwächst, sich auf den winzigen Besitztümern der Welt der alten Walliser Güterteilung zu bewegen. Wie die neobiedere Systemtheorie für jede neue Gesellschaftsfrage ein neues System mit beliebig vielen Subsystemen in den Theoriezusammenhang einführt, schafft die auf Selbstkritik ausgerichtete Soziologie Bourdieus beliebige Felder, die objektiv die Gesellschaft beschreiben wie auch subjektiv den Ort festlegen, aus dem der Akteur nicht auszubrechen vermag. Da das Begriffskorsett immer enger und unflexibler wird, in Tat und Wahrheit aber nie jemals imstande war, die objektiven Gebilde der Gesellschaft in ihrer Eigentümlichkeit und die subjektiven Impulse der Einzelakteure in ihrer singulären Kraft zu begreifen, muss vom Begriff des Feldes zu einem allgemeineren traversiert werden.

Man kann nicht sagen, dass der Begriff der gesellschaftlichen Bereiche zündend wäre, erscheint er doch als überlebt und allzu einfach, wenn auch neutral und von einer Theoriezugehörigkeit unbelastet. Seine Erscheinungsweise ändert sich aber sofort, wenn sein Zusammenhang nicht mehr auf einen unerkennbaren Gott ausgerichtet ist, auf die wilde Bestie, auf die Fabrik, die Anwaltskanzlei oder das Parlament, sondern da, wo er auftritt, programmatisch den Ausflüssen der Kulturindustrie zu widerstehen hat. An den Apparaten der Kulturindustrie wird die Welt der Wahrnehmung zum Einerlei. Im gleichen Zug, wie sie die Kommunikationsverhältnisse verflüssigen und im Wortsinne dynamisieren, jedenfalls im Namen Jasminas heute, vernebeln sie die grundlegenden Unterschiede, die die Objekte der Welt bestimmen: dem Akteur gesellschaftlicher Prozesse als Rezipienten von Sendungen erscheinen die Gehalte der Übermittlungen immer in der gleichen Form, nicht selten in einer umwerfenden Perfektibilität. Das Wichtige wird in demselben Kanal durchgeschleust, wo das viele Unwichtige es ununterbrochen tut. Der aus dem eigenen Lebenszusammenhang herausgenommene und verallgemeinerte Rezipient – Leser, Hörer, Betrachter – hat nichts in der Hand und keine Fähigkeiten, die ihm die Möglichkeit zur notwendigen Unterscheidung von Wichtigem und Unwichtigem verschaffen würden. Wie einem Schizophrenen stürzen die Phänomene auf ihn ein – und wie Don Quijote erscheint, wer im Angebot der Kulturindustrie nach Wertvollem sucht, ohne von der Geschichte der Auswahlprodukte eine Ahnung zu haben.

Der erste Bereich, den der Einzelmensch früher oder später für sich erobern muss, ist derjenige der eigenen Existenz, indem er von allen Angeboten abstrahiert, am einfachsten in einem Initiationsritus, in dem er einen der Apparate, das Fernsehgerät, zum Fenster hinauswirft. Zuweilen ist es ein langer Weg bis zur Einsicht, dass auch dann, wenn das Bewusstsein sich mit gar nichts Speziellem beschäftigt, es sich auf etwas Wesentliches ausrichtet, das eigene Leben, und dass diese Betrachtungsweise alle möglichen anderen zu jedem beliebigen Zeitpunkt, auch im Stress hitziger oder quälender Auseinandersetzungen und Belastungen, zu unterbrechen vermag. Erst wenn eine Spur der Erkenntnis in diesen Bereich gelegt worden ist, erscheint die Behauptung einfach, dass sich alle anderen Bereiche von diesem ersten unterscheiden und dass sie Unterscheidungen auch unter sich vollziehen. Welche Bereiche im Anschluss daran als einzelne zur Sprache kommen, ist unwesentlich, weil jeder für ein einzelnes Bewusstsein dominant werden darf, sei es für eine längere oder kürzere Zeit. Sind solche gesellschaftliche Bereiche für einen Einzelnen erst einmal benannt, die wirtschaftliche Selbsterhaltung, die objektive globalisierte Ökonomie, die Tages-, Verwaltungs- und Machtpolitik, die Disziplinen der Wissenschaften, die Disziplinen der Künste und die unzähligen Vermischungen und Ableitungen, erscheinen die Objekte der Kulturindustrie nicht mehr in einem Einerlei, wie sie in ihr vermittelt werden, und nicht mehr ahistorisch gleichförmig: indem der Einzelmensch sie situiert, werden sie subjektiv für ihn und sie je einzeln unterschiedlich bedeutsam, nach langer entbehrungsreicher Zeit objektiv erkennbar und schliesslich trotz des unaufhaltsamen Stroms von Nichtigkeiten, in dem sie unterzugehen drohen, gesellschaftlich vernünftig diskutierbar. Incipit moderna: dann wäre der Platz geschaffen für eine so leichte Gesellschaftstheorie wie die Theorie des kommunikativen Handelns, und die Moderne könnte beginnen.

Freitag, 25. Februar 2011 um 1:24 pm Themenbereich: Theorie                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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