Mud Shark
Ich gebe (Aushilfs-)Unterricht in Musikwissenschaft, eine Disziplin, die ich nie uneingeschränkt liebte, weil ich immer das Gefühl hatte, zu wenige Partituren studieren zu dürfen und deswegen im luftleeren Raum schwadronieren zu müssen. Die Studis ähneln den KommilitonInnen vor dreissig Jahren, wechseln aber ihre Identitäten – oder es sind so viele, dass mal die einen, mal andere in Erscheinung treten. Etwa die Hälfte Frauen, die andere Männer. Die Stunde beginnt sehr lebhaft, und es entstehen schnell Gruppen, von denen immer eine gegenüber allen anderen agitiert, und ich fühle mich darin als ziemlich gewöhnlicher Lehrer, wenn es mir auch unklar ist, warum die Leute in einer einziger Veranstaltung über so viele verschiedene Themen diskutieren wollen. Es steht nicht ein einziger Komponist zur Debatte, aber auch nicht einmal eine eindeutige Epoche. Die Stimmung ist sowohl konzentriert wie ausgelassen, fast tadellos und wie man es sich wünschen tät. Mit einer Studentin mache ich 69, halbwegs in Kleidern und ohne dass dadurch der musikwissenschaftliche Betrieb gestört wäre. Zuerst ist sie eine Kommilitonin aus der Soziologie oder Philosophie, eventuell eine aus dem Wirtschaftenstudium, Abteilung Pyri oder Falken, dann aber definitiv eine Kassiererin von gestern aus dem Coop, nicht die ganz schöne, bei der ich frühmorgens 5.40 Fr. verloren hatte, weil der Muscat nicht mit dem Aktionspreis verrechnet wurde und sie meinen einzigen Kohlrabi zweimal tippte (es entstand ein Chaos, in dem sie die Kasse verlassen musste, weil die Walliserwurst falsch etikettiert war), sondern die Zweitschönste am Nachmittag, bei der der Aktionspreis dann funktionierte (ob Coop klar ist, wie oft seine Kunden als Financier missbraucht werden?). Es entsteht eine Art Feuerwerk mit einem Pariser, und bevor meine Studentin eine Diskussion über das Vorgefallene, das ja keineswegs ein Privatissimum war, im Plenum anzetteln kann, schlage ich vor, wenigstens partiell zur Vernunft zu kommen und Mud Sharks Dancing Lesson der Mothers zu analysieren. „Wir haben nichts dagegen, alter Sack, aber kannst auch aufwachen gehen.“ – Das einzige nachhaltig Irritierende des Traums besteht darin, nach dem Aufwachen nur wenig das Gefühl zu haben, in einem lustigen Traum gewesen zu sein. Auch heute haftet der Musikwissenschaft noch etwas Verbiestertes an. Man soll die Partituren wie die Bücher endlich der Allgemeinheit zugänglich machen.
Mittwoch, 6. Mai 2009 um 4:50 am Themenbereich: Traum RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.