Begriff, Instrument, Medium

Begriffsverhältnisse, die die Erkenntnis konstituieren und sich nicht aus empirischen menschlichen Gesprächssituationen ableiten lassen, sind nicht rein logisch und überhistorisch, sondern aus den Strukturverhältnissen der Gesellschaft herauszulesen, deren Entzifferung sie Stück für Stück ihrerseits erst möglich machen, nicht ohne Einflussnahme auch auf die anderen, von anderen, nicht theoretischen Interessen geleiteten Erkenntnisformen. Sowohl die Werke Adornos wie Derridas sind umfangreich; beide thematisieren sie umfassend das Verhältnis von Begriff und Instrument in der Form der Instrumentalität des Begriffs und seiner sprachlichen Teile.

Wenn auch die methodische Haltung der negativen Dialektik eher aus der spontanen Auseinandersetzung des frühen Adorno mit der Musik denn als enge Variante der Hegelischen oder Marx’schen begriffen werden muss, ist das späte Hauptwerk „Negative Dialektik“ aus der Notwendigkeit einer philosophischen Begründung der „Dialektik der Aufklärung“ entstanden, der geschichtsphilosophisch geprägten Gesellschaftstheorie des zweiten Viertels des 20. Jahrhunderts und folglich auch noch auf die Zustände, die den Faschismus ermöglichten, fixiert. Das gibt dem Werk, das lange Zeit als Projekt einer materialistischen Dialektik mit dem früher publizierten eng zusammen gedacht war, eine Rigidität, die ein Weitergehen und Weiterentwickeln schwierig macht. Aber es gibt ihren Formulierungen, die eine Logik beschreiben sollen, umgekehrt einen Impuls, der nicht davon ablässt, die Oberflächenphänomene der Gesellschaft im Zusammenhang eines Ganzen zu sehen, der sich stetig benennen lässt; dieses permanente Referieren bewahrt die Theorie davor, selbst paranoische Züge anzunehmen. Und eine Philosophie zu schreiben, die sich weigert, zur verführerischen Lehre zu geraten, ist eine der ersten Devisen, deren logischer Mechanismus des öfteren in der Formulierung nerven mag, dass man erst dann wird Verfahren vorschlagen können, wie die Verhältnisse zu ändern sind, wenn sie sich geändert haben (2009 klingt solches indes wie ein Realismus zum Greifen nah, und man möchte fast sagen, dass mit der sogenannten Finanzkrise der Bann, von dem in der „Negativen Dialektik“ nicht weniger oft die Rede ist, jetzt gebrochen wäre). An einem Ort dieses Zusammenhangs steht immer noch die Warenproduktion und der profitorientierte Tausch, darin eingelassen und darüber aufgesetzt die Disziplinen der instrumentellen Vernunft und des praktischen Regelwissens. In diesen massiven Realitäten, die das Sichtbarmachen der philosophischen Theorie so stark erschweren, die Darstellung des Begriffs, in der seine sprachlichen Momente nicht blosse neutrale Instrumente sind, sondern sowohl Teile des Begriffs wie der Ablagerungen der realen Geschichte und der empirischen Realität, tritt als Vermittlungsinstanz die Kulturindustrie hinzu, die die äusserlichen Verhältnisse maliziös und trotzdem ohne Strategie so hoffnungslos abdichtet, dass es immer schwieriger wird, künstlerische oder theoretische Gebilde gesellschaftlich in Erscheinung treten zu lassen – nicht weil dieselben unterdrückt würden, sondern weil der kulturindustrielle Output sie in seiner schieren Masse mit sich spült. Als solches prekäres Gebilde stehen Darstellung und Methode der negativen Dialektik in einem äusserst gespannten Verhältnis zur Gesellschaft, sofern diese als strukturierter Lebenszusammenhang verstanden wird, in dem Kommunikation und Diskurs als das Andere der Disziplinierung und Autorität von Bedeutung wären.

Eine Theorie mit einem vergleichbaren Status gibt es von Derrida nicht; dass seine Philosophie der Medienöffentlichkeit unter dem Namen der Dekonstruktion bekannt geworden ist, hat periphere Gründe. Auch wenn seine unendlichen Analysen des Verhältnisses von Begriff und Instrument sich ganz eng am Zeichen orientieren und die ökonomische Realität nur in abgeleiteten, sekundären Textkomplexen berücksichtigt, produzieren sie eine Fülle von Strategien, innerhalb derer das Falsche zum Thema gemacht werden kann: im Umfeld der Grammatologie die falsche Eigentlichkeit der Stimme, die den Text zum blossen Instrument macht, im Umfeld der Differenz die angemasste Hierarchie, wenn die Zeit in der scheinbar rein logischen Unterscheidung nicht berücksichtigt wird etc. Es sind nicht beliebig viele Themenbereiche, in denen sich die Arbeiten Derridas bewegen, aber doch zu viele, als dass der eine bekannte, die Dekonstruktion, alleine diese Philosophie bezeichnen dürfte. Immer zeigen sie darauf, wie der Anspruch in einer begrifflichen Erkenntnis etwas Falsches auf sich nimmt, wenn ein Moment in ihm, das in unbestimmbar vielen Gestalten erscheinen kann, auch in gespenstischer, als neutrales Instrument sowohl vorgeschoben wie auch im Versteckten gehalten wird. Weit mehr als bei Adorno, wo die Logik des Zerfalls als Kern der negativen Dialektik ausgegeben wird, versanden die Analysen Derridas nicht selten oder zerbröseln unter dem Blick der Lektüre, als ob dem Recht auf Einsicht zugleich auch ein Schutz davor dazugegeben worden wäre, dass aus ihr eine grosse, verführerische Lehre werden könnte. In einer solch schitteren Gestalt kann eine Philosophie kaum weiter entwickelt werden – viel an Energie setzt sie nichtsdestotrotz frei, wenn ihre Momente in der aktuellen Analyse neu entstandener Gebilde, sofern sie überhaupt aufgestöbert oder als solche rekonstruiert werden können, zum Zuge kommen und, praktisch, ihren Einsatz leisten.

Wie der Begriff steht auch das Medium, das heute in jedem Fall eine elektronische Form annehmen kann, in einem engen Verhältnis zur Instrumentalität, wenn auch nachgerade in einem umgekehrten. Es täuscht vor, mehr zu sein, und drängt sich als Plattform, ja als ganzen Markt auf, in dessen auf Perfektibilität getrimmten Verhältnissen die Kommunikation leichter als früher vonstatten gehen soll und jeder seinen Fähigkeiten entsprechend sich darstellen darf, auch über jede narzisstische Motivierung hinaus. Doch so wie in den universitären Instituten der Betriebswirtschaft ohne Unterlass die Ideologie der letzten 60 Jahre mit Nahrung versorgt worden ist, bilden jetzt diejenigen der Wirtschaftsinformatik die Troupeaux für die unerschöpflichen Tricks aus, dank denen nicht der Markt sich entfaltet, sondern seine ihm unterstehende Werbung für die einzelnen das Internet lahmzulegen droht, wenn sie sich nicht mit den neuesten Technologien dagegen zu wehren verstehen (mit IE7Pro bin ich seit einer Woche befreit von aller visuell zwitschernder Aufdringlichkeit). An die Werbung angeschlossen sind die zwei Vektoren der reinen Information und der selbst verfertigten Präsentation von Materialien, die nur selten ganz ohne Selbststilisierung dastehen; beide gegenläufigen Tendenzen werden nicht nur durch die Werbung, sondern mit denselben infantilen Mitteln durch die Unterhaltung bis aufs Verstummen festgeknebelt. Dabei korrespondiert die Primitivität der Werbung und der narzisstischen Selbstdarstellung in den Medien vorzüglich mit der Banditenmentalität der Chefbanker und der einzelnen Politiker, die ihnen mit billigen Sprüchen ans Volk den Rücken freiklopfen, mit dem Unterschied, dass einmal erstellte Websites oder Blogs im Lauf der Zeit und der unwillkürlich ausgelösten Selbstkritik verbessert werden können, die falsche Macht hingegen, die die legitime gängelt, sich nicht so schnell in die Wüste schicken lässt. In den Medien scheint die private, mit dem Leben verknüpfte Seite dank dem Potenzial der Selbstkritik alles andere als verloren. Auch die entgegengesetzte Seite hat zwar ihre Tücken, die aber gleichwie in den Griff zu bekommen sind. In der Tat wundere ich mich fast jeden Tag über den Fluss von Informationen, der einem die mühsamen und zeitraubenden Gänge auf die Bibliothek erspart. Doch die Fülle an Informationswissen als Stütze intensiverer Kommunikation auszugeben, wäre ein falsches Versprechen. Denn der Informationsgehalt einer Aussage macht diese in ihrem eigenen Kontext noch nicht zu einem gedachten Gedanken, dessen Aufnahme weitere zur Folge haben würde: für sich ist er tot. Als Biotope, in denen dieses Wissen lebendig gehalten werden soll, erscheinen die Diskussions-, Beratungs- und Informationsforen. Die löbliche Idee der Foren und der kommentierbaren Blogs realisiert sich indes allenthalben in der regressiven Form aller Stupidokratie, in der wie unter Naturzwang ein interessanter Beitrag mit Unverständigkeit und Niederträchtigkeit beantwortet wird (ich habe noch nie einen Satz irgendwo deponiert). Das Erfahrungswissen, dass die Medien bis zur Vollständigkeit mit Unsinnigem besetzt sind, braucht einen allerdings nicht zu beunruhigen und wäre mitnichten als Argument gegen ihre Nutzung ernsthaft einzusetzen. Die Gewissheit, dass das konventionelle Schreiben keine gesellschaftlichen AdressatInnen anzusprechen vermag, weil keine vorhanden wären, die durch den Typus der Arbeit die Erfahrung machten, nur dank ernsthafter Solidarität geschehe überhaupt Sinnvolles und Gutes, wird in den Medien dadurch unterlaufen, dass jene als Einzelne per Zufall es werden können, gerade weil die Medien unrein sind und in dem Brei der Unterhaltung dem Zug freien Lauf lassen, alles, was sich irgend in Information fassen lässt, auch der globalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, nicht zuletzt auch durch die vielfältigen und sich stetig verbessernden Übersetzungsmöglichkeiten. Das Subjekt der zwar befreiten, indes unbedarften Suche nach Information sieht sich mitunter solchen Formen des Wissens gegenüber, auf die es in keiner Weise vorbereitet scheint. Es gibt aber keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Fähigkeiten zur Auseinandersetzung mit solchen dieselben sind wie die mit dem Fremden im Realen: durch die ideologische Deformierung häufig zum Scheitern verurteilt, umgekehrt durch aktive Kritik derselben, durch Selbstkritik und folglich lustvolles Aufstöbern der eigenen Interessen nie bis ins Letzte verbarrikadiert.

Derridas Analysen bewegen sich auf dem exponierten Grat des Abschlusses oder des Abschliessens der Metaphysik, der Epoche der Metaphysik, dieweil Adorno mit dem Konzept der Kulturindustrie einen Stollen weit in die Epoche der Kulturindustrie hinein vorangetrieben hat, der es allmählich erlaubt, detailliertere Analysen von ihr anzugehen. In der Tat ergibt sich ein Wechsel in der Einschätzung ihrer Momente, der nicht mehr von einer Abwehr gebannt ist, sondern der Forderung nachgibt und ihr folgt, die Medien weitaus mehr und in vielfältigeren, auch kleinen Formen zu nutzen als bislang. Es ist nur weniges, das man anders sehen muss, um wieder aktiv werden zu können. Zielt Erkenntnis auf den Begriff und leistet als Prozess in dessen Konstellationen Vermittlungsarbeit, so darf man im gleichen Zug die Medien, die uns in Beschlag nehmen und vorgeben, dem Recht auf Einsicht zu dienen, nur als Krücken verstehen, denen man mit Bedacht nicht zuviel Vertrauen entgegenbringt – sie sind um so nützlicher und wertvoller, wenn sie als Instrumente und nicht als Ziel gesehen werden. So sehr es wahrhaftige Erkenntnis fälscht, wenn ihre Verfahren, Mittel und Methoden als reine Instrumente verstanden werden, so sehr wirkt es befruchtend auf den Entstehungsprozess neuer Gebilde, wenn die Medien als blosse Instrumente genutzt werden, vor denen Argwohn und Abwehr Zeichen eines aus den Fugen geratenen Realitätssinns wären. Man steckt nun zwar mitten in der Meute und alles andere als im Elfenbeinturm – aber eher hat man Einfluss auf sie als dass sie einen zu erwischen vermöchte.

Zusatz: Die leicht euphorische Stellungnahme gegenüber den Medien entstand im Verfolgen des Auswahlverfahrens bei der Bildung eines Orchesters: auf unzähligen einzelnen Videos sieht man die einzelnen, zumeist jugendlichen InstrumentalistInnen, wie sie sich, fast auf der ganzen Welt verstreut, von zuhause aus mit dem obligaten Vorspiel, auf das sie Jahre hin alleingelassen übten, bewerben: http://www.youtube.com/sinfonieorchester?gl=DE&hl=de. Die Komponisten, die als erste die Computer sinnvoll nutzten, verschlafen die ganze Epoche von heute, die Soziologinnen und die Philosophen sind vom Aussterben bedroht und produzieren nur noch wie in geschützten Werkstätten, aber die BühnenmusikerInnen, zu oft als tumbe Musikanten geringeschätzt, zeigen ohne falsche Scham, wie die Medienverhältnisse zu nutzen wären.

Dienstag, 10. Februar 2009 um 4:47 pm Themenbereich: Theorie                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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