Leopold Bloom (Uli isses)

Bis vor nicht sehr langer Zeit war das Wissen über den Alltagsmenschen eine Terra incognita auf den Landkarten der Wissenschaften und der Philosophie, und auch der Alltagsmensch selber träumte immer davon, wie es doch wäre, Recht auf Einsicht ins gewöhnliche Verhalten und in die Vorstellungswelten der nächsten und der weiter entfernten Nachbarn bekommen zu dürfen. Inzwischen ist dasselbe da, und es ist so weit wie nur vorstellbar ausgebreitet, alle Einschränkungen auf die Domänen der Wissenschaften und der Philosophie hinter sich lassend. Auf den privaten Homepages war nur zögerlich etwas zu erfahren, und auch die Blogs sind für die gewöhnliche Masse immer noch zu kompliziert in der Bewirtschaftung, weil in ihnen mindestens am Rande auch sprachliche Beiträge erwartet werden. Auf Google’s Picasa schauen die Verhältnisse nun ganz anders aus. Selbst wenn nach ganz eigentümlichen, geografisch abseitigen und intellektuell eher wenig bekannten Objekten gesucht wird, gerät man unverhofft mitten in Fotoalben von Einzelnen hinein, in denen Ausschnitte aus dem Alltag mit ihren Alltagsbekanntschaften aus dem Berufs-, Freizeit- oder Studienleben zur Darstellung gelangen. Doch was für ein Erwachen einem da nun widerfährt! Was für eine Qual der Einsicht, dass bei allen dasselbe zu beäugen wäre, bei Jungen, bei Alten, bei Östlichen und Westlichen, Weiblichen und Männlichen, Lustigen und Frustrierten, Politischen und Sportlichen. So langweilig erscheint der Mensch, wenn er nur Mensch zu sein scheinen will, keinen Deut interessanter und abwechslungsreicher als die Individuen oder Einzelexemplare einer Tiergattung. Wer im Konsum sich dem Sprechen entzieht und nichts tut, das seiner Sichtweise auf die Welt eine Gestalt verleiht, die andere wahrnehmen können, leistet nur den einen Beitrag ans Leben, das zu stärken, was es auslöscht, die Anerkennung des kulturindustriellen Einerleis. Bloom hatte im langen Text von Joyce nichts weiteres zu tun als die äusseren Ereignisse denkend zu begleiten, um das Besondere im Gewöhnlichen begreifbar zu machen. Im Zuge des Ausbaus der Vielfältigkeiten in den Medientechnologien sackt der gewöhnliche Mensch, von dem wir jetzt, nach Picasa, wissen, dass wir alle als dieselben Idioten dastehen, wie eine leere Hülle in sich zusammen, wenn er das nicht nach aussen zu kehren versucht, das ihn auch im Innern nicht mehr als Individuum erscheinen lassen will. Man ist heute häufiger ein Jasager als früher, weil es schneller gegen aussen sichtbar wird, dass man sich der Anstrengung des gewöhnlichen und also kritischen Nachdenkens durch Trägheit entziehen will. Das ist weder als eine griesgrämige Beobachtung über die Faulheit des Menschen im allgemeinen noch als unangemessene Einschätzung zu bewitzeln, die nur den Teufel an die Wand malt; erscheint der Mensch tel quel, also der Alltagsmensch im besonderen, in den Gebilden, die gesellschaftlich entstehen, als Leerheit, fällt es den Niederträchtigen nur um so leichter, die lebendigen Einzelmenschen in ihrem Tun, das gegen sie gerichtet ist, ohne Widerständigkeit zu ignorieren und schliesslich zu opfern.

Freitag, 21. März 2008 um 9:54 pm Themenbereich: Theorie                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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