Arnulf Herrmann: Wasser
Gestern auf Bayern 4: Arnulf Herrmann, Wasser, Musiktheater in 13 Szenen, Libretto von Nico Bleutge, mit Sarah Maria Sun, Boris Grappe, Sebastian Hübner, Jörg Deutschewitz, Georg Gädker, Tobias Schierf, Schola Heidelberg, Ensemble Modern, Leitung Hartmut Keil, Aufnahme vom Juni 2012 an der Münchner Biennale.
Die Designeroper Wasser zeigt schnell schon ihre problematischen Seiten im thematischen Gehalt und in der musikalischen Sprache. Eine eigentümliche Schönheit verzaubert, indem gruppierte Signaltöne nicht nur als gehörte Zeichen auf eine Deutung pochen, sondern durch mikrotonale Minimalabweichungen als aufgespaltene, nichtsdestotrotz einheitliche Formgebilde wirken, die ihre Plätze sowohl im hohen wie im mittleren und sehr tiefen Tonbereich einnehmen. Neben ihnen existiert nur noch ein einziges weiteres Formgebilde, simple Tonreihen, die wie Luftblasen im Wasser nur aufwärts zum Zuge kommen. Der kompositorische Reduktionismus ist deswegen fragwürdig, weil durch ihn das Hören einfach zu schnell auf eine Metaebene abgleitet, wo es sich in zunehmendem Masse missmutig fragt, was solche exceptionelle Schönheit soll, reine aufsteigende Tonleitern, die zwischen reine Kleingruppen von Tönen gestellt sind. An die Diversität von Rückgriffen auf die Tonalität hat man sich längst gewöhnt und befürwortet tapfer die Meinung, nicht alle gerieten ins Fahrwasser des Neoklassizismus. Das Problem ist anders. Es ist nicht die Schönheit in den einzelnen Klängen, die nervt, weil sie nur durch den Bezug zur Tonalität ermöglicht wird, sondern die Weigerung, in dieser aus dem Archiv reaktivierten Tonsprache Bewegungen und Alterationen zuzulassen. Wie der restringierte Code eines Ungeistes nur immer sagen kann und vom Anderen gesagt hören will, dass etwas gut sei oder schlecht, vermeidet Herrmanns Kompositionstechnik jedes Modulieren oder Abdriften in unvorhergesehene Gebiete, um ja nicht den Anschein zu erwecken, es könnte ein Teil des Werkes oder gar mehrere Momente anders sein als schön. Erst nach dem Verklingen dieses neuesten Stückes aus der Sparte Musiktheater hat man das Gefühl, eine Stunde lang frommen MusikantInnen zugehört zu haben, die erst gerade gelernt haben, diejenigen Noten auf ihren wunderschönen Instrumenten zu spielen, die ausser einem kleinen, mikrotonalen Pfeil nach oben oder unten noch keine Vorzeichen nötig haben. Gleich wie in der Musik fühlt man sich auch beim Erzählgeschehen wie an der Nase herumgeführt, und auch hier missfällt ein eigentümlicher Ästhetizismus. Wegen der genannten zwei Formgebilde sah ich mich ständig verführt, an Selbstmordphantasien zu denken, gegen die ich insbesondere in den Träumen zu kämpfen habe – gerade wie dann auch wieder in der Nacht nach dem Konzert. Doch nichts im Vokabular, dem man lauscht, gibt einem Hinweise, in welche Richtung zu denken wäre, denn es ist von Anfang bis zum Schluss, der nicht musikalisch, sondern mit dem auf der Bühne gesprochenen Wort „ausgezeichnet“ beschlossene Sache ist, eines aus der Welt der Dekoration und der willkürlichen Werbung. Statt das kritische Bewusstsein in Schwung zu setzen und das Nachdenken über existentielle Fragen anzuheizen, schläfert diese Oper ein. Das Leben immer schon nur als vergangenes, seine Geschichten Sedimente in einem Tümpel.
Mittwoch, 29. August 2012 um 3:37 pm Themenbereich: Musik RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.