Umgefallenes Japan-Cliché

Gestern auf dem Oberrothorn bei Zermatt war ich von unten bis oben von einer japanischen Wandergruppe begleitet. Oben erklärte ihr Guide sämtliche Gipfel, Zwischengrate und Untergipfel ohne Fehl und Tadel – ausser dass er in allen Namen, die ein L enthalten, dieses als R aussprach. Ich traute meinen Ohren nicht, aber im kultivierten Japan scheint man die Dent Blanche „Dent Branche“ zu nennen, das Balmhorn „Barmhorn“ (die Barrhörner sieht man nicht), die Schultern „Epaurs“, das Schalihorn „Scharihorn“, das Obergabelhorn „Obergaborhorn“ und das Zinalrothorn „Cinarrothorn“ (er liebte es, die Ortsnamen im Val d’Anniviers aufzuzählen, und „Cinar“ scheint ihm besonders gut zu gefallen – wahrscheinlich sprach er vom uralten Weg von Zermatt übers Triftjoch nach Zinal, dessen östliche Seite man vom Oberrothorn sehr leicht einsehen kann).

Ich stelle mir vor, dass der Guide ein überaus gutes Gedächtnis besitzt und nur noch selten die Karten zur Absicherung heranzieht. Unweigerlich gerät er so in eine Art vorauseilenden Gehorsam in aesteticis: was er im japanischen Gedächtnis vorfindet, die Namen mit L, interpretiert er selbstkritisch als kulturelle Verfälschung und deutet sie nachträglich als R.

Montag, 7. September 2009 um 6:09 pm Themenbereich: Vermischtes                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

Comments are closed.