Der arme Mann und die Migros
Der arme Mann wohnt nicht in der City von Bern, sondern weit ausserhalb in Bümpliz, und auch da nicht im Zentrum der Märkte, sondern in dem der historisch überlebten Macht, im Blickpunkt zweier Schlösser, wo die nah gelegene Migros ganz klein ist. Um so weniger klein sind ihre Ziele, ungeachtet der Genossenschaftsform viel Umsatz zu machen und, in gleichem Stil und im gleichen Zug, die Armut abzuschaffen. Den zusätzlichen Umsatz – und alles ist schliesslich zusätzlich heute, übers Notwendige und Gewöhnliche hinaus – erreicht sie durch Superpackungen, denen keine gewöhnlichen Masse des Essens mehr zu entsprechen vermögen: kein Plätzli gibt es hier zu kaufen, sondern nur immer mindestens drei aufs Mal, keine Bratwurst, sondern immer gleich zwei, kein Stück Fleischkäse zum Braten, sondern einen Dreizentimeterbrocken fürs grosse Fressen, keinen Fleischvogel, sondern drei für die weggeflogene Familie, keinen Dorsch mehr für den feinen Fischsalat, sondern eine Jumbopackung für eine Kreuzfahrtgesellschaft und seit gestern keine Crevetten mehr für die Suppe, sondern ein doppeltes Gepäck für ein unlockeres Dorffest. Der Migrosmanager denkt blöd wie so ziemlich alle nicht ganz hundert oben und nicht ganz hundert unten, und in der Tat wie gesagt gegen die Ideale der Genossenschaft, wenn er die Armut abschaffen will: indem er die von den Einzelkäuferinnen geschätzten Produkte aus den Regalen nehmen lässt, verriegelt er den Zugang des armen Genossen zur Migros – es gibt da für uns immer weniger zu kaufen. Die Migros erweckt zuweilen den Eindruck von einem, der nicht mehr recht kapieren will, dass das Leben lustiger wäre, wenn alle ein bisschen und ohne viel Aufhebens sich um Anstand bemühen würden und also nicht die spontan und launisch gesetzten Ziele für die besten hielten, die blindlings und in Momenten gar blindwütig zu verteidigen wären. Vielleicht kommt die Zeit, da ein solitärer Dicker sich der amerikanischen Sitte erinnert, Politik mittels Rechtsklagen in Szene zu setzen; er wird gegen die Migros klagen, weil ihre Art, die Lebensmittel zu verkaufen, ihn lange Zeit dazu nötigte, sich zu verfressen. Der dünne arme Mann wäre solidarisch mit ihm und zählte sich gerne zu den Claqueuren.
Freitag, 8. Mai 2009 um 2:35 pm Themenbereich: Vermischtes RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.