Heidelberg 1995
Dass Beethovens Spätwerk weit in die Zukunft weist, ist bekannt, und seine Musik mit der modernen zu vergleichen nichts Abwegiges - im Gegenteil hat sich das ernsthaft zeitgenössische Ohr an ihr zu schulen. Dass der Fall beim Wortkünstler und Philosophendichter Goethe bezüglich den modernen Diskursen ähnlich zu begreifen sei, ist, ohne Anspielung auf die Musik, die These von Susanne Konrad. Goethe braucht gar nicht mit der klassischen deutschen Philosophie in Beziehung gesetzt zu werden, sondern umstandslos mit der gegenwärtigen. Das Schlüsselwort liefert der Logozentrismus, dem gegenüber Goethe nicht schutzlos ausgeliefert zu sehen ist, sondern gegen den er gewieft kritische Widerstände zu artikulieren vermag.
Dieser Verhaltensweise wird nicht verzettelt im gesamten umfangreichen Werk nachgestöbert. Sondern eindrücklich korrekt und alle Regeln des germanistisch-wissenschaftlichen Positivismus respektierend ist jede Aussage sei es im Text der Wahlverwandtschaften selbst oder in Texten von GermanistInnen, die sich auf denselben beziehen, abgestützt, wodurch die Unübersichtlichkeit eines zu großen, auf Zusammenhang spekulierenden Geltungsanspruches geschickt vermieden wird. Ja die Theorie, die philosophische Theorie, wird insgesamt so zurückhaltend in Gebrauch gesetzt, dass auch Derrida, Lacan und Adorno wie Ausschreiber von Rezepten zum Einsatz gelangen.
Das unterstützt alle diejenigen, die in Goethes Wahlverwandtschaften nach verbotenen Früchten suchen. Das Geschichtsverständnis bringt es hingegen zuweilen so in Bewegung, dass bald die Unterstellung zulässig wird, Monteverdis geheimsten Musikphantasien hätten nicht anders geklungen als die von Luigi Nono.