Frankfurt am Main 1994
Die These lautet, dass Adornos berüchtigte „Einleitung“ zum Positivismusstreit 1969 deswegen so schief und schwerverständlich geraten sei, weil er unbekannterweise ganze Versatzstücke eigener und Horkheimerscher Texte bzw. Briefe aus den dreißiger Jahren benutzte, die mit Popper, seinem durch Dahrendorf vorgeschobenen Kontrahenten in den sechziger Jahren, der sich immer schon vom Positivismus distanzierte, nichts zu tun hätten. Das Buch von Dahms ist bis in kleinste Winkel hinein wegen ausgedehnter Archivforschungen zu kenntnisreich und zu minutiös aufklärererisch, als dass der hier erhobene Einwand seiner Lektüre groß schaden könnte, es verfehle den versteckten Adressaten des Positivismusvorwurfes der Frankfurter Schule und damit den zentralen Gedanken der Philosophie Adornos, der im übrigen nie daran zweifelte, dass die Kritik kein personifiziertes Objekt aus dem Busch zu schlagen vermag. Nach Kenntnisnahme der adornoschen „Argumente“ mögen alle Debattanten sich vom Positivismus lossagen, aber das Streitobjekt verbessert sich dadurch nicht: das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft, das mehr ist als ein kohärenter Argumentationszusammenhang. Es bleibt nämlich nicht nur von Adornos Kritik, sondern wird in den heutigen Tagen erst allgemein einleuchtend, dass in dem genannten Verhältnis diejenigen Wissensformen und diejenigen Gebilde des Wissens an den Rand gedrängt werden, die sei es von Wissenschaftlern oder Laien aktiv gedeutet werden könnten. Im gesellschaftlichen Bereich geschieht das Verschwinden der Möglichkeit zur intellektuellen Anstrengung beispielsweise durch überfrachtete, letztlich nicht der Forschungsfrage, sondern allein der Computervirtuosität geschuldete Urwaldgebilde der Statistik, durch die sich kein Begriff mehr einen Zutritt erschleichen kann beziehungsweise will, mit dem sich ein Phänomen sinnvoll und kritisch deuten ließe; im psychologischen durch handfeste neurophysiologische Erklärungen, die am Grund fragwürdigen Handelns ebenso wenig mehr einer offenen, etwas verändernden Interpretation Platz übriglassen und im künstlerischen durch die schiere Anhäufung von Produkten der Industrie, die jede Ahnung im Keim erstickt, darunter gebe es noch andere, die, wie man heute schon sagen muss, auch zu den Künsten, zur Literatur und zur Musik zu zählen seien. Dieser gesellschaftliche Zustand, der im Buch durch den philologischen Fleiß recht eigentlich ausgesessen wird, hält den Positivismusstreit, der durch dasselbe um nicht weniges transparenter wird, um nichts weniger am Leben.