home

Inhalt

 

Peter Gross,
Multioptionsgesellschaft,

Frankfurt am Main 1994

Die These behauptet, dass die zeitgenössische Gesellschaft, die sporadisch mit der Moderne schlechthin identifiziert wird, einem anonymen Sog gehorcht, der alle tradierten Arten von Verpflichtungen, alle „Obligationen“ auflöst und an deren Stelle „Optionen“, also Wahlmöglichkeiten hinsetzt, denen nunmehr – als Wünsche, die verwirklicht werden wollen – man zu gehorchen hat. Als Modelle werden die Fernsehprogramme und die Werbeprospekte herangezogen, deren Penetranz als verallgemeinerter „Marschbefehl“ charakterisiert wird und dessen Losung in nichts weniger besteht als der Aufforderung nach „immer mehr“. Das Diktat der Steigerung, das vom ökonomischen Mittelstand immer schon gefürchtet war, weil durch es die Konkurrenz ihn eliminierte und weiterhin in den Konkurs treibt und vor dem uns die Mütter als Maßlosigkeit warnten, wird von Gross zu demjenigen Prinzip erhoben, das die Schwierigkeit der Lage endlich zu entlarven vermöchte. Nicht gilt es mehr, etwas Vorgelagertes außer Kraft zu setzen, das einen humaneren Fortschritt verhindert wie die Kapitalverwertung, die sich um die realen Zwecke der Produkte foutiert, der Militarismus, dem nach wie vor die Mehrheit der euroamerikanischen Bevölkerung huldigt oder der Identitätswahn, der das bewusste Handeln seit jeher verunstaltete, das unbewusste restlos in die Katastrophe treibt; diese neue These zählt darauf, dass es genügt und also schon ein Gewinn wäre, wenn das Wesen der heutigen Gesellschaft nur furchtlos genug wahrgenommen würde, dass die Menschheit an den zu vielen Angeboten zu ersticken droht.

Indem diese unbestreitbare Tatsache zum gesellschaftlichen Prinzip und Antrieb jedes Handelns erhoben wird, geht es folglich dem Werk ums Ganze: nicht um einen thematischen Bereich der Gesellschaft, der wissenschaftlich wahr oder falsch gefasst werden könnte oder um eine äußere Charakterisierung wie Risikogesellschaft, Erlebnisgesellschaft etc., sondern um eine Bestimmung, von der alle weiteren ableitbar sein müssen. Und genau da schlingert der Text. Denn nur durch bloße Versicherungen, keineswegs in einer durchgeführten Kritik wird das im 19. und 20. Jahrhundert tragende kritische Postulat von der prägenden Kraft des Warencharakters auf die Gesellschaft zurückgewiesen.

Die Lösung wäre der Anspruch auf Verbindlichkeit, die Zurückweisung des Unverbindlichen, der unverbindlichen Gebilde in Kunst und Theorie (das betrifft natürlich den Alltag nicht).