home

Inhalt

André Gorz,

  • Wege ins Paradies, Berlin 1983

  • „Dualisierung der Arbeit in den USA“,
    in Links 174 (Offenbach), September 1984

  • Kritik der ökonomischen Vernunft, Berlin 1989

 

Bekanntlich sind die Urteile im Verlauf einer Diagnose für den Heilungsprozess mindestens so ausschlaggebend wie die Wahl der Behandlungsweisen, und vieles an der Lähmung im Gesellschaftsprozess bezüglich der Arbeitslosigkeit ist der öffentlichen Sprachlosigkeit seinen Ursachen gegenüber geschuldet: Es wird so laut von Rezession, Ankurbelung, persönlichem Einsatz und Aufschwung geschrieen, dass weitere, analytische Kategorien sich keinen Raum mehr verschaffen können.

Es ist also bereits die Diagnose, die André Gorz stellt, etwas Besonderes, und es wird dieses Besondere auch noch solche Schlussfolgerungen mitprägen, die mit den zentralen Fragen dieses Autors nur eher schwach in Berührung stehen, etwa solche nach den Aufgaben der Sozalarbeit oder der Fürsorge.

Aus André Gorz’ Buch Wege ins Paradies des Jahres 1983 lassen sich drei verschiedene Diagnosearten der gegenwärtigen Wirtschaftsgesellschaften herauslesen:

1.   die klassisch liberale beziehungsweise neoliberale, deren Vokabular sich streng innerhalb des Feldes der Marktereignisse bewegt und die wir in den letzten 15 Jahren wie aus einem Guss in den öffentlichen Medien vorliegen sehen;

2.   die keynesianische der sozialen Marktwirtschaft, die vor den letzten 15 Jahren als Stimme der europäischen Sozialdemokratie den Ton angab und mit welcher in jener Zeit auch Unternehmen sich zu arrangieren wussten;

3.   die von Gorz selbst, die uns entgegenkommt als eine Mischung aus unerbittlicher Marxlektüre, die auch vor der Verelendungstheorie mit der Geschichte des tendenziellen Falls der Profitrate nicht halt macht, mit scheinbar leicht zu realisierenden nichtmarxistischen beziehungsweise nicht eindeutig als marxistisch begreifbaren Lösungen.

Als erstes gilt es festzuhalten, dass „die gegenwärtige Krise keine vorübergehende Unterbrechung des Wirtschaftswachstums, sondern dessen Ergebnis“ sei (Gorz 1983, 17). In dieser Aussage steckt insofern nichts weniges, als sie behauptet, dass die Krise nur dann gelöst wird, wenn der Kapitalismus, an dessen Unverderblichkeit wir uns doch in schlechter Manier gewöhnt haben, endgültig überwunden wird: „Die Ursachen der Krise (…) liegen in der Struktur des Produktionsapparats, so dass ihre Beseitigung nicht von dessen Verwaltung abhängt, sondern von seiner strukturellen Umgestaltung.“ (Gorz 1983, 17)

Doch trotz dieses Paukenschlages breitet Gorz seine Diagnose aus ohne in besonders aufmüpfige oder „revolutionäre“ Töne zu verfallen, weil er stets sich an die Prämisse hält, dass das, was heute zu fordern wäre, als Tendenz im System bereits angelegt sei.

Was also hat sich mit einem ersten Höhepunkt vor 15 bis 20 Jahren im euroamerikanischen Wirtschaftsgefüge verändert?

Die sogenannte Nachkriegswirtschaft war konstruiert aus einem relativ autonomen privatkapitalistischen Wirtschaftssektor im Verbund mit einer sozialstaatlichen Gesamtorganisation. Es war die Aufgabe des Staates, „die sozialen Kosten des privaten Unternehmens“ (Gorz 1983, 28) zu übernehmen. Aber es war dieser Staat – und er ist dies „eigentlich“ auch heute noch – weder aus Generosität oder Humanität sozial, noch als Gesamtgebilde rational. Im Staat der keynesianischen sozialen Marktwirtschaft werden nicht die Investitions- und Produktionsziele rational festgelegt, sondern bloße Unregelmäßigkeiten der Wirtschaft als System ausgeglichen, damit weder die Produktion noch – und das ist fast wichtiger – der Konsum unterbrochen wird. Obwohl die keynes’sche Wirtschaftspolitik als das Programm der sozialen Marktwirtschaft figuriert, steht sie gänzlich außerhalb des Horizonts eines humanistischen Rationalismus, weil sie sich ausschließlich auf Fragen des Funktionierens der kapitalistischen Produktion als System bezieht. Dennoch ist dieses Kalkulationssystem ins Schleudern geraten, weil „die keynesianische Regulierung nur in Zeiten hoher Profite und folglich starker Investitionsneigung funktionieren (kann). Die keynesianische Regulierung kann zwar das Wachstum regulieren und erhalten, aber sie kann nicht allein die Bedingungen dafür schaffen. Sie kann nicht der Motor des Wachstums sein, wenn (…) die Profitraten sinken und ein langer fallender Zyklus beginnt.“ (Gorz 1983, 19)

Wie ist das Sinken der Profitrate zu verstehen? Gorz hat offenbar ein entschlacktes Verhältnis zu diesem Gesetz, das Marx als nahezu geschichtsphilosophisch abgesicherten Treibsand des Kapitalismus konzipierte, das aber zu Zeiten des „real existierenden Sozialismus“ wegen seiner bloßen Gespensterwirklichkeit den Kapitalismus nur um so mehr triumphieren ließ.

Gorz schreibt: „Verwendet (…) man eine wachsende Menge fixes Kapital pro Produkt­einheit, so kann die Profitrate nur dann konstant bleiben, wenn die Produktivität der Arbeit in entsprechendem Maße zunimmt. Das Unternehmen muss für seine eigene Reproduktion (für die Amortisierung seiner Maschinen) einen größeren Teil von dem verbrauchen, was seine Produkte einbringen, und infolgedessen muss seine Belegschaft einen weniger großen Teil verbrauchen. Anders gesagt, parallel zur Produktivität der Arbeit muss sich die Ausbeutungsrate erhöhen. Die neuen Produktionsmittel können, wenn sie teurer sind als die alten, nur dann ebenso rentabel sein wie diese, wenn sie es gestatten, die Höhe der Löhne pro Produkteinheit zu senken. Andernfalls wird die Profitrate fallen.“ (Gorz 1983, 21)

Wie konnte die Rentabilität aufrechterhalten bleiben, und wie hat sich diese Unternehmenspolitik ausgewirkt? War es objektiv überhaupt möglich, immer innerhalb logischer Bahnen zu bleiben, die nicht nur den einzelnen Unternehmen Nutzen verschaffen sollen, sondern auch ihre Existenzbedingungen, also den Verwertungsprozess des Gesamtkapitals nicht stören oder gar zerstören?

„Normalerweise kauft man nur dann eine neue Maschine, wenn sie es erlaubt, die Produktionskosten pro Einheit zu senken und das angelegte Kapital besser zu verwerten als die alten Maschinen. – Nur: die kapitalistische Entwicklung hat immer zu Situationen geführt, in denen das Kapital nicht mehr Herr des Spiels war. Die Bedingungen, die es ihm gestattet haben, die Wirtschaft gemäss ihrer inneren Logik wachsen zu lassen, werden unter dem Einfluss des Wachstums schließlich unterhöhlt und verschwinden. Zunächst lässt sich das Kapital dazu verleiten, Entscheidungen zu treffen, die seiner normalen Rationalität nicht mehr entsprechen. Auf diese Phase folgt unvermeidlich eine Periode der Krise, in deren Verlauf die Vergangenheit dank zwingender Veränderungen bereinigt und die Basis für eine neue Wachstumsperiode gelegt wird.“ (Gorz 1983, 22)

Als Ursache für das Schlingern der Unternehmenspolitik nennt Gorz verschiedentlich die Automatisierung und die immer rasantere Erneuerung von Technologien, die beide die Konkurrenzsituation und die Gefahr des Zerfalls der Profitrate verschärfen. Insbesondere wurde es durch die Automatisierung allmählich unmöglicher, ein Unternehmen mit der gleich großen Anzahl von Angestellten profitabel weiterzuführen. Aber er scheut auch nicht einfache Erklärungen: „Das unbegrenzte Wachstum der materiellen Produktion ist eine materielle Unmöglichkeit. Die Triebfedern jedes Wachstums verschleißen sich am Ende.“ (Gorz 1983, 25)

Auch die folgende Erklärung flattert etwas und hat keinen besonders definitiven Charakter: „Der Kapitalismus hat keine Wahl mehr: will er den Stillstand des Wirtschaftswachstums vermeiden, muss er die Arbeit durch Kapital (Maschinen) ersetzen. Diese Ersetzung ist um so dringlicher, als die Vollbeschäftigung ein für die Arbeiter günstiges Kräfteverhältnis geschaffen hat: der Druck ihrer Forderungen verstärkt sich, ihr Eifer und ihre Leistungen lassen nach.“ (Gorz 1983, 22f) Es braucht hier nicht mehr viel bis zur Behauptung, dass „der Erfolg des Klassenkampfs ein bestimmender Faktor für den Ursprung der Krise (war).“ (Gorz 1983, 25)

In der späteren Kritik der ökonomischen Vernunft (1989) leistet Gorz dieselbe Diagnose unter stärkerem Miteinbezug der staatlichen beziehungsweise sozial-kulturellen Rationalität, die allerdings der unternehmerischen keineswegs oppositionell gegenübersteht, in Unterscheidung der Bücher aber methodisch als Ergänzung dient. Für die Diagnose spielt es keine Rolle, aber bei der Erklärung der Ursachen für die Sachverhalte kann es schon stutzig machen, dass im einen Fall die bloße Krämerei in der Form der Anhäufung des fixen Kapitals in automatisierenden Technologien Schuld an der Arbeitslosigkeit trage, im anderen eine weit tiefer liegende Logik in der Form der instrumentellen Vernunft.

Er schreibt da: „Die Unternehmensführung kann nur dann der ökonomischen Rationalität gehorchen, wenn ebenfalls alle anderen Gesellschaftssphären, ja selbst die Lebenssphären der Individuen rationeller, vorhersehbarer und berechenbarer Führung unterliegen. Daraus erklärt sich die enorme Bedeutung, die Max Weber und seine Nachfolger – bis hin zu Jürgen Habermas – dem kulturellen Humus des Kapitalismus beimessen: Die Rationalisierung aller Handlungsbereiche treibt ihre interne Differenzierung voran; sie erfordert eine Rationalisierung der rechtlich-politischen Sphäre, die mit der Willkürherrschaft absolutistischer Staaten unvereinbar ist; und sie mündet in einer komplexen Ausdifferenzierung von ökonomischer, administrativer, wissenschaftlicher und künstlerischer Sphäre – und der relativen Autonomie dieser Sphären gegeneinander.“ (Gorz 1989, 51f)

Konkret war folgendes geschehen: „Die Bürokratie wurde immer schwerfälliger, die geplante Fremdsteuerung immer entmenschlichender und das ‘Gehäuse der Hörigkeit’ (Max Weber) gleichzeitig zwanghafter und bequemer. Aber aus ebendiesem Grunde ist das System in Krise geraten: Die Funktionsweise der bürokratisch-industriellen Megamaschine und die Motivation seiner ‘Fellachen’, wie die Rädchen zu funktionieren, stellten es vor zunehmend schwerer zu bewältigende Steuerungsprobleme. Keine übergreifende Rationalität, keine totalisierende Vision oder Gesamtsicht vermochten es noch, dem System einen Sinn, einen Zusammenhang, ein Leitziel zu vermitteln.“ (Gorz 1989, 61)

Und weiter: „Die Rentabilisierung wachsender Kapitalmengen erfordert natürlich, dass die wachsenden Produktmengen auch Käufer finden, dass also der Konsum beständig über das Niveau hinauswächst, das zur Befriedigung der im gegebenen Moment konkret empfundenen Bedürfnisse notwendig ist. Die ökonomische Rationalität musste also ihre ‘natürliche Grundlage’ allmählich verlassen: Sie konnte sich bald nicht mehr auf das Bestehen unbefriedigter Bedürfnisse berufen. Von nun an gab es zwei Alternativen: Entweder legte eine andere als die ökonomische Rationalität der Produktion Schranken auf, engte also den Bereich des Ökonomischen zugunsten anderer, anderen Kriterien folgenden Sphären ein; oder es gelang der ökonomischen Rationalität, die Konsumbedürfnisse mindestens ebenso schnell auszuweiten wie die Produktion der Waren und warenförmigen Dienstleistungen. In dieser zweiten Alternative aber – es ist die, die sich durchgesetzt hat – musste der Konsum in den Dienst der Produktion gestellt werden. Funktion der Produktion war es damit nicht mehr, die bestehenden Bedürfnisse so effektiv zu befriedigen wie möglich; diese Bedürfnisse mussten umgekehrt vielmehr die Funktion erhalten, die Ausweitung der Produktion zu ermöglichen.“ (Gorz 1989, 164f)

Das heißt nichts anderes, als dass all das, was uns als Werbung oder „Unterhaltungsbrunz“ auf die Nerven geht, systematisch dazu dient, die Krise nicht ideologisch zu vernebeln sondern handfest, „ökonomisch“ aufzuschieben, weil die Alternative im Gesamtprozess nur die hätte sein können, die Sozialabgaben zu steigern, damit die Produktion nicht irrational es hätte tun müssen. Aber es wurde der Produktion der Vorzug gegeben, besser gesagt der Antiproduktion, was vielleicht auch zu verstehen hilft, wieso denn diese Welt derart mit Waffen vollgestopft wird.

Was Gorz in den Wegen ins Paradies die keynesianisch regulierte soziale Marktwirtschaft nannte, heißt in der Kritik der ökonomischen Vernunft der soziale, zwischen Gewerkschaften, sozialdemokratischen und bürgerlichen Regierungsinstanzen geschlossene „fordistische Kompromiss“.

„Der ‘fordistische Kompromiss’ stellte (…) ein grundlegend instabiles Gebilde dar. Der Staat hatte sich Eingriffs- und Steuerungsinstrumente geschaffen, die zwar – global gesehen – dem Interesse des marktwirtschaftlichen Kapitalismus entsprachen, nichtsdestoweniger aber den Interessen jedes Einzelkapitalisten widersprachen. Dieser hochmütige technokratische und Interventionsstaat wurde von der Bourgeoisie nur deshalb hingenommen, weil er das Wirtschaftswachstum in einem Klima relativen sozialen Friedens sicherstellen konnte. In der Tat wird in einem System beständigen Wachstums der Vorteil eines jeden mit dem Vorteil aller verträglich: alle können gewinnen. Aber mit dem Auftauchen der ‘Grenzen des Wachstums’ wird die Marktwirtschaft wieder zu einem Nullsummenspiel: jeder kann sich nur zum Nachteil von anderen einen Vorteil verschaffen. Das Ende des Wirtschaftswachstums machte also den ‘fordistischen Kompromiss’ hinfällig. Sein Baumeister, der technokratische Staat, verlor in den Augen der Bourgeoisie seine Legitimität. Er hätte seine Steuerungsmacht und Schiedsrichterrolle nur behalten können, wenn er das freie Spiel des Marktes noch mehr als bisher eingeschränkt hätte, wenn er also den marktwirtschaftlichen durch einen verwalteten Kapitalismus ersetzt hätte – der immer näher an den Staatskapitalismus herangerückt wäre.“ (Gorz 1989, 263f)

Nun ergibt sich offenbar auch ein präziseres Verständnis dafür, was uns so lauthals als Freier Markt auf die Füße tritt: „Der Markt – oder genauer, die Öffnung der nationalen Volkswirtschaften gegenüber einem der Steuerungsmacht der Nationalstaaten entzogenen Weltmarkt – fand seine ursprüngliche politische Funktion wieder: die Verhinderung einer politischen Kontrolle der Ökonomie.“ (Gorz 1989, 264)

Es erscheint schließlich als logisch, dass die soziale Marktwirtschaft der freien, neoliberalen notwendigerweise hat Platz machen müssen und dass wegen des Konkurrenzprinzips, das im Umfeld eines scheinbar unerschöpflichen Technologienerneuerungsschubs sich natürlich voll zu entfalten vermag, die sozialen Regulierungen, die diesem Prinzip ja entgegenstehen, an Boden verlieren müssen. Das letzte Wort der Logik besagt in diesem neoliberalen Zustand, dass eben Massenarbeitslosigkeit zuerst produziert werden muss, wenn sie bekämpft werden soll – zweifellos moralisch.

„Sobald man einmal akzeptiert hat, dass der Markt die ‘Konkurrenzfähigkeit’ als erstes und unwiderstehliches Gebot erzwingt, muss (…) die Gesellschaft als Hilfsinstrument des Marktes geführt werden. Also muss der Wohlfahrtsstaat geschleift und die Wirtschaft ‘dereguliert’ werden; die liberalkapitalistische Ideologie wird zunehmend hegemonial, und die Linke – soweit sie sich mit dem Sozial-Etatismus identifiziert hat – findet sich in der Defensive, ohne Programm, ohne Konzept, ohne Perspektive.“ (Gorz 1989, 265)

 

Aus all dem dürfen die Schlüsse festgehalten werden, dass

1.   die Massenarbeitslosigkeit keine Beschäftigungskrise auf Grund eines sozialen Wertewandels ist – einer Art Massenfaulheit – noch

2.   als vorübergehende rezessive Krise zu verstehen wäre, die sich systemimmanent von alleine überwindet, sondern umgekehrt

3.   die Arbeitslosigkeit eine Folge der kapitalistischen Produktionsweise darstellt, die dann gelöst wird, wenn

4.   die Reproduktionskosten der Arbeit vom eigentlichen systematischen Verwertungsprozess des Kapitals gelöst werden, die Höhe des Einkommens also vom gewerkschaftlich erkämpften allgemeinen oder durchschnittlichen Niveau des Lohns.

 

Entkoppelung des Bürgergeldes vom Lohngeld

Da in unseren Massenmedien nicht viel davon die Rede ist, erstaunt es, zu vernehmen, dass die Idee des garantierten Mindesteinkommens weder neu – Gorz spricht von gesetzgeberischen Versuchen in diesem Sinne bereits im Jahr 1795… (Gorz 1989, 290) – noch jenseits aller kapitalistischen Handlungsinteressen beheimatet ist: „(Das) Gespenst eines garantierten Mindesteinkommens jagt mittlerweile durch die gesamte Welt der kapitalistischen Industrienationen. Es hat Parteigänger von rechts und solche von links.“ (Gorz 1989, 288)

Das Bürgergeld von rechts ist ein rein sozialtechnologisches beziehungsweise verwaltungstechnisches Prozedere, das linke eingebunden im Recht auf Arbeit. „Sofern es sich nicht ausdrücklich als Übergangsmaßnahme versteht – und dann gilt es genauer zu bestimmen, wohin der Übergang gehen soll –, ist das garantierte Mindesteinkommen eine Idee von rechts. (…) (Die linke Alternative) gründet sich (…) auf die Ablehnung einer Gesellschaftsspaltung in vollberechtigte Dauerbeschäftigte und Ausgeschlossene. (Die) unauflösliche Einheit zwischen dem Recht auf Einkommen und dem Recht auf Arbeit bildet für jeden und jede die Grundlage seines Bürgerrechts.“ (Gorz 1989, 291f)

Gorz meint, dass diese Idee einer Notwendigkeit folge und keineswegs bereits die Lösung verspreche, weil sie gänzlich der ökonomischen Logik gehorcht, sie also mitnichten durchbricht, da sie ein bloßes Instrument darstelle zur Senkung der sogenannten sozialen Kosten – ihre Ursachen also nicht beiseiteschafft, sondern ihr Erscheinungsbild anders beleuchtet: „Unabhängig von jeder politischen Option drängt sich schließlich sowohl der Linken wie der Rechten, dem Kapitalismus wie dem Antikapitalismus die Notwendigkeit auf, die soziale Inflation dadurch zu drosseln, dass man die Dynamik der Nachfrage nach staatlicher Kostenübernahme drosselt. Aber die Art und Weise, wie diese Drosselung zustandekommt, und auch die Art, wie die sozialen Kosten gesenkt werden, unterscheidet sich grundlegend, je nachdem ob neue Typen des individuellen Warenkonsums oder im Gegenteil kollektive Lösungen für kollektive Probleme gesucht werden.“ (Gorz 1983, 34)

Das Konzept des Bürgergeldes ist somit für sich alleine keine revolutionäre Forderung, da mit seiner Verwirklichung auch die „rechte Lösung“ der Wirtschaftskrise vollzogen werden kann: Es würde in diesem Falle einer Masse von Menschen ohne Lohnarbeit statt Arbeitslosengelder beziehungsweise Fürsorgegelder ein fester Betrag ausbezahlt jenseits der gegenwärtigen bürokratischen Schikanen und den von diesen ausgelösten Ängste; eine Minderheit wäre bis anhin in immer lukrativeren Jobs positioniert, und für sie würde das Karussell von Werbung, Luxusgüter, Freizeit- und Unterhaltungsindustrie weiter in Gang gehalten. Die Grundintention des rechten Bürgergeldes, das ja nicht wenig Chancen hat, realisiert zu werden, ist die, die offenbare Lustbarkeit der „unternehmerischen Tätigkeit“ nicht in Schranken zu setzen.

Es ist nicht leicht, hierzu eindeutig Stellung zu nehmen. Denn einerseits scheint es klar zu sein, dass die privatkapitalistische Wirtschaftsweise allein durch die Verankerung des Egoismus in dem, was in der Gesellschaft Vernunft genannt wird, an vielem Elend Schuld trägt, andererseits erfordert eine organisierte Investitionsweise, in der die Kritik institutionalisiert wäre, doch so viel Kompetenz, dass diesbezügliche Vorstellungen, also solche, die einem ein Bild geben würden, wie das Ganze denn funktionierte – und besser funktionierte –, nicht eintreten wollen.

Doch bleiben wir bei der Gorzschen Beschreibung des Bürgergeldes.

„In technischer Hinsicht stellt die Finanzierung des Einkommens auf Lebenszeit kein neues Problem und setzt keine Stärkung des Zentralstaats voraus. Am besten erfolgt sie durch eine Besteuerung der automatisierten Produktionen. Die japanische Arbeitgeberschaft hat im Jahre 1983 vorgeschlagen, dass die Roboter Gewerkschaftsbeiträge zahlen sollen. Es ist weniger absurd, sie pro Produkteinheit eine Sozialabgabe zahlen zu lassen, die, entsprechend der Mehrwertsteuer, differenziert wird, nach Maßgabe des Konsummodells, das man zu fördern gedenkt. Eine solche differenzierte Besteuerung hätte also eine doppelte Funktion. Einerseits stockt sie den Sozialfond auf, der zur Finanzierung des garantierten Einkommens auf Lebenszeit dient. Andererseits bremst sie den ständigen Rückgang des relativen Preises der materiellen oder immateriellen Güter, deren Produktion sich am raschesten automatisieren lässt, aber deren unaufhörlich steigender Konsum gesellschaftlich weder sinnvoll noch wünschenswert, ja nicht einmal möglich ist. In dem Masse, wie die Gestehungskosten der automatisierten Produktionen sinken, wird deren Besteuerung folglich das System der Marktpreise durch ein System des politischen Preises ersetzen.“ (Gorz 1983, 73f)

Das Konzept der politischen Preise hat zwei Voraussetzungen:

1.   entstammen die Haupteinnahmen der Steuern den am weitesten automatisierten Produktionsstätten, wo also Wert am wenigsten durch Arbeitszeit geschaffen wird, was den rein markttechnischen Preiszerfall auf solchen Gütern verhindert, die im Massenkonsum sich ökologisch, sozial oder kulturell schlecht auswirken (Autos, Hamburger, Fernseher)

2.   hat jeder Mensch ein Recht auf Arbeit, das aus einer bestimmten Anzahl Stunden gesellschaftlicher Arbeit verteilt aufs Jahr oder sogar aufs ganze Leben besteht und in regelmäßigen oder unregelmäßigen Blöcken aufgezehrt werden kann.

„(Es) ist natürlich unmöglich, einheitlich für alle Unternehmen und alle Beschäftigten die fünf-Tage-Woche mit 35, 30 oder 25 Stunden einzuführen. Hingegen ist es sehr wohl möglich, für alle eine Jahresarbeitszeit von 1400, 1200 oder 1000 Stunden (statt der derzeitigen 1600 Stunden) einzuführen, wahlweise auf 30, 40 oder 48 Wochen bzw. auf 120 bis 180 Tage verteilt, die sich die Beschäftigten in jeder Abteilung, jedem Büro, jeder Behörde oder jedem Unternehmen auf vierteljährlichen oder monatlichen Vollversammlungen untereinander aufteilen, nach den technischen Erfordernissen eines/r jeden: Alter, familiäre Situation, Wohnentfernung vom Arbeitsplatz, persönlicher Lebensplan usw. könnten ein Vorzugsrecht auf bestimmte Stundenabschnitte, bestimmte Tage in der Woche oder Monate im Jahr verleihen.“ (Gorz 1989, 275)

Wie würden die Löhne in der geleisteten Arbeit zu berechnen sein? „Es ist (…) natürlich unmöglich, von allen Unternehmen zu erwarten, für immer niedrigere Arbeitsleistungen konstante oder gar wachsende Löhne zu zahlen. Dies würde zwar für hochautomatisierte Unternehmen, in denen bereits heute die Lohnkosten nur 5 bis 10% der Gesamtproduktionskosten ausmachen, kein Problem darstellen. Aber langfristig würden damit die relativen Preise von arbeitsintensiven Produktionen und Dienstleistungen mit geringen Produktivitätszuwächsen unverhältnismäßig ansteigen: Landwirtschaft und Tierzucht, Baugewerbe, Heil- und Pflegedienste, Erziehung, städtische Dienstleistungen, Reparaturarbeiten; Gaststätten und Hotelgewerbe usw. Diese Verzerrung der Preise und das Kosten-handicap von arbeitsintensiven Unternehmen können durch ein Lösungsmodell vermieden werden, das Michel Albert für die Teilzeitarbeit vorgeschlagen hat: Mit jeder Verkürzung der Arbeitsdauer verringern sich auch in demselben Verhältnis die Löhne. Doch der daraus für die Lohnabhängigen erwachsende Einkommensverlust wird durch eine Garantiekasse ausgeglichen. Guy Aznar hat dies ‘den zweiten Scheck’ genannt. Dieser zweite Scheck würde die freigesetzten Stunden zu demselben Tarif vergüten wie die Arbeitsstunden. Die Tarifverträge würden also praktisch eine Einkommenshöhe vereinbaren, zu der die von den Unternehmen gezahlten Löhne immer weniger beitragen. In einer immer stärker automatisierten Ökonomie, in der die Arbeit nicht mehr die Hauptquelle des Reichtums und die Arbeitszeit immer weniger sein Maß darstellt, würde der zweite Scheck somit zunehmend zur weit wichtigeren Einkommensquelle werden.“ (Gorz 1989, 285)

Wie hat nun ein solches neues Arbeitsleben auszuschauen? Gorz kontrastiert es den gegenwärtigen Tendenzen. Zunächst beschreibt er, wie in den letzten 100 bis 200 Jahren die Qualität der ArbeiterInnentätigkeit auch in den allmählich geschaffenen höheren Positionen von den Qualitäten des Alltags- oder Privatlebens abgespalten waren, so dass beispielsweise eine gänzlich liebenswerte Person nicht ohne Schuld an Rüstungsgütern oder ähnlichem mitarbeiten konnte.

„Die berufliche Qualifikation wird jeglicher persönlicher Tugenden beraubt, und das Privatleben wird gegen die Imperative des Berufslebens abgeschottet. Auf diese Weise können die privaten Tugenden des guten Familienvaters, guten Gatten und guten Nachbarn einhergehen mit der beruflichen Leistungsethik eines Funktionärs, der gleichgültig vom Dienst an der Republik zum Gehorsam im totalitären Staat überwechselt oder umgekehrt; der feinsinnige Kunstsammler und Vogelschützer kann unterschiedslos an der Fabrikation von Pestiziden oder chemischen Waffen arbeiten; oder allgemeiner gesagt: der große oder kleine Angestellte will, nachdem er seinen Arbeitstag dem Dienst an den ökonomischen Werten von Konkurrenzfähigkeit, Leistung und technischer Effektivität gewidmet hat, am Feierabend eine Nische aufsuchen, in der die ökonomischen Werte ersetzt sind durch Kinder- und Tierliebe, Landschaftsgenuss und Bastelvergnügen.“ (Gorz 1989, 59f)

Im Zuge der technologischen Erneuerungsschübe bildet sich ein ArbeiterInnentypus heraus, dem scheinbar die Trennung von beruflicher Tätigkeit und Privatleben nichts mehr antun kann, weil die berufliche Verantwortung groß geworden ist und die Tätigkeitsfelder darin breit.

„Die Gestalt (des) ‘Produktionsfacharbeiters neuen Typs’, stolz auf seinen Beruf, souverän in seiner Arbeit und fähig, sich parallel zum technischen Wandel auch selbst weiterzuentwickeln – diese Figur ist nicht als spätes Zugeständnis der Unternehmerschaft an den Humanismus der Arbeit entstanden. Sie entspricht vielmehr einer dem technischen Wandel selbst entspringenden Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit macht sich nun das Kapital zu Dienste: Sie wird gehandhabt zur Desintegration von Arbeiterklasse und Gewerkschaftsbewegung sowie zur Zersetzung der letzten Reste solidarischer Bindungen und sozialen Zusammenhalts. Dazu braucht das Kapital nur die Werte der Arbeitsutopie auf die eigenen Fahnen zu schreiben: Beherrschung (d. h. technische Wiederaneignung) der Produktionsmittel durch die Arbeiter; volle Entfaltung der individuellen Fähigkeiten in der Arbeit; Neubewertung des Berufs und der Berufsethik.“ (Gorz 1989, 102)

Was passiert von seiten der Unternehmer beziehungsweise des Managements? „(Es) geht (…) darum, diese Elite von ihrer Herkunftsklasse und ihren Klassenorganisationen zu entfremden, indem ihr eine gesonderte soziale Identität und Würde verliehen wird. In der gespaltenen (‘dualisierten’) Gesellschaft soll diese Produktions­elite zur Welt der ‘Kämpfer und Sieger’ gehören, die gegenüber den jede Anstrengung scheuenden Massen einen Sonderstatus verdienen.“ (Gorz 1989, 103)

Wird nun das Bürgergeld im Verbund mit dem Recht auf Arbeit politisiert, so besteht unter anderem die Absicht darin, die heute so stark geförderte eisige Dualisierung der Gesellschaft wieder abzutauen.

„Recht und Pflicht sind immer die Kehrseite voneinander: Mein Recht ist die Pflicht anderer mir gegenüber; es schließt meine Pflicht anderen gegenüber ein. Insofern ich einer von ihnen bin (ein anderer unter anderen), habe ich Rechte ihnen gegenüber; insofern ich einer von ihnen bin, haben sie Rechte gegen mich. Über diese Rechte – also über die Pflichten, denen ich sie verdanke – erkennen sie mich an als einen von ihnen. (…) Für ein linkes Modell von Grundsicherung kann es sich also nicht darum handeln, ein von jeder Arbeit unabhängiges Einkommen zu garantieren; es geht darum, sowohl das Einkommen als auch die ihm entsprechende Menge gesellschaftlicher Arbeit zu garantieren. Mit anderen Worten, es kommt darauf an, ein Einkommen zu garantieren, das nicht mit der Abnahme der gesellschaftlich notwendigen Arbeitsmenge sinkt. Nicht von der Arbeit als solcher, sondern nur von der Arbeitsmenge muss somit das Einkommen unabhängig werden.“ (Gorz 1989, 295)

Doch die Theorie von Gorz beschränkt sich auf keiner Ebene auf Negativität, Kritik oder das Abwehren schlechter Tendenzen. Er zögert nicht, wünschbare Verhältnisse so zu beschreiben, als könnten wir mit einer Eintrittskarte heute schon darin teilnehmen.

Auf der Ebene der Betriebe sieht dies so aus:

„(Ich habe) von vorneherein betont, dass die Verkürzung der Arbeitsdauer ohne Einkommensverluste nicht als Maßnahme begriffen werden darf, sondern als eine Gesamtpolitik verfolgt werden muss. Es handelt sich nicht darum, die heute bestehenden Arbeitsplätze und Ressourcen neu zu verteilen, sondern darum, aus seiner inneren Dynamik heraus einen Prozess zu steuern, der immer weniger Arbeit erfordert, aber immer mehr Reichtümer schafft. Nach mikroökonomischer Logik müssten sich die Arbeitszeitersparnisse für die betroffenen Betriebe auch in Lohnkostenersparnisse übersetzen.“ (Gorz 1989, 283)

Auf der Ebene der Arbeitskräfte soll folgendes möglich werden:

„Ständige Verlagerung von Arbeitskräften aus den Tätigkeitsbereichen, in denen die Automatisierung rasch verläuft, in solche, in denen sie langsamer erfolgt; eine überschaubare, unmittelbar allen zugängliche Arbeitsvermittlungsstelle mit der Möglichkeit, seine Arbeit mit einer oder mehreren anderen Personen zu tauschen oder zu teilen; eine hohe berufliche Vielseitigkeit und Mobilität: die Arbeiter müssen mühelos von einer Tätigkeit mit schnell wachsender Produktivität zu einer anderen mit geringerer Produktivität überwechseln können – oder auch, je nach der Jahreszeit, verschiedene Tätigkeiten ausüben können.“ (Gorz 1983, 76)

Es soll nicht verschwiegen werden, dass Gorz auch eine Seite pflegt, die um so märchenhafter wirkt, je konkreter sie sich zu Wort meldet: „So hängt die Verwirklichung dessen, was getan werden muss, oder dessen, was die Gemeinschaft oder die Individuen, aus denen sie sich zusammensetzt, für wünschenswert halten, nicht mehr vom Zufall öffentlicher oder privater Finanzierung ab. Die meisten Dinge, die wegen der sehr hohen Kosten der erforderlichen Arbeit nicht mehr getan werden konnten, werden somit wieder möglich: Instandhaltung, Ausschtattung, Verschönerung der Stadtviertel, Wohnhäuser und öffentlichen Bereiche; Entfernen von Gestrüpp in den Wäldern; Nachbarschaftsdienste; Reparatur gängiger Gebrauchsgegenstände; Läden für Wissenschaft und Gesundheit zur Lösung wissenschaftlicher und und sanitärer Probleme von allgemeinem Interesse; Hilfe für Kranke und Behinderte usw.“ (Gorz 1983, 98)

 

Obwohl die Theorie des Bürgergeldes und der sozialen Preise viele Fragen offen lässt, zeigt sie, dass technisch es keine Unmöglichkeit wäre, die existentiellen Ängste aus dem Weg zu räumen, die bei Langzeitarbeitslosigkeit vor allem durchs Verwaltungsprozedere und dessen interkantonale Uneinheitlichkeit nach wie vor entstehen.

 

Instrumentelle Tätigkeit und vernünftige Arbeit

Offenbar ist das soziale Feld der Wirtschaft nicht so einzäunbar, dass ihre Fragen allein innerhalb dieses Horizonts befriedigend ausgebreitet werden können. Man hat das Gefühl, was zur Wirtschaft gehört, sei zwar etwas eindeutig Benennbares, aber es gehöre zu ihr immer auch noch etwas Weiteres. Diesem Weiteren gibt Gorz weit mehr als in den Wegen ins Paradies im Werk Kritik der ökonomischen Vernunft Raum. Er betrachtet hier die Arbeit immer auch im Kontext der Vernunft als menschlicher Expressivität. So wenig die bloß kalkulierende Vernunft die ganze ist, ist die ihr zuzuordnende Arbeit – als ihr Mittel – die einzig mögliche. Es gibt also Arbeit, die den Tätigen auszufüllen vermag, weil er sich in ihr realisiert und sich selbst in ihr auszudrücken vermag, und solche, wo das Expressive aus dem Arbeitsprozess gänzlich abgeschnitten ist.

Da die Struktur der gegenwärtigen Gesellschaften zur Hauptsache den neuen Technologien geschuldet wird, zeigen sich die unterschiedlichen Arbeitsweisen auch in der gesellschaftlichen Diskussion neu. Es scheint, als ob der romantische Begriff der Entfremdung allein dadurch schon eine neue, noch nie da gewesene Qualität erhält, weil durch die immense Automatisierung quantitativ einfach nicht mehr so viel wie früher schlechte Arbeit geleistet zu werden braucht. Um so mehr, und das ist die Intention von Gorz, muss dann, wenn von der Lösung der Arbeitslosigkeit gesprochen wird, darauf geachtet werden, dass vielleicht nicht für den einzelnen besonders viel gesellschaftlich nützliche Tätigkeit bereitgestellt wird, diese aber für ihn dadurch einen erfüllenden Charakter hat, dass er von sich auch ein Stück einbringen kann.

Was das bedeutet, ist nicht ohne weiteres einsehbar, da ja die systematische Verökonomisierung und Verrechtlichung aller gesellschaftlicher Vorgänge die Erfahrungen im Umgang mit quasi unnützen, nichtökonomischen, sprich: unvernünftigen Arbeiten immer mehr verunmöglicht.

Doch wie spricht Gorz darüber?

„Die begrenzte Autonomie innerhalb der Arbeit einerseits und der Zerfall der Gesellschaft andererseits, der geradezu dazu zwingt, nach alternativen Weisen von Sozialisierung und gemeinschaftlicher Integration zu suchen – beide bewirken einen Individualisierungsschub ebenso wie einen Rückzug der Individuen auf freiwillige Aktivitäten oder Lebensweisen jenseits des Systems.“ (Gorz 1989, 145) Jenseits des Systems. Sofern ein Austreten aus den wirtschaftlichen und politisch-rechtlichen Systemen überhaupt möglich ist, findet also – ganz deutlich bei den sogenannten Aussteigern – ein Exodus aus dem System statt, wenn ein Arbeitsfeld erobert werden soll, das auf eine befriedigende Art und Weise beackert werden kann. Gorz betont allenthalben, dass das Unbefriedigende in der Arbeitsweise mit dem schlechten Zustand der Gesamtgesellschaft zuinnerst korrespondiert. Es gibt dann die schlechte Arbeit, das schlechte Zusammenleben und einen schlechten gesellschaftlichen Gesamtzustand. Der Angelpunkt, der alles zusammenhält, ist weniger die Polizei als ganz traditionell die Arbeit.

Gorz schreibt: „Die Funktionalisierung und Technisierung der Arbeit haben die Einheit von Arbeit und Leben gesprengt. Schon vor der Verschärfung der gegenwärtigen Krise hatte die Arbeit Schritt für Schritt aufgehört, eine ausreichende soziale Integration zu gewährleisten. Die fortschreitende Abnahme des gesellschaftlich notwendigen Arbeitsvolumens hat diese Entwicklung nur noch zugespitzt und den Zerfall der Gesellschaft verschärft. Ob in der Form der Arbeitslosigkeit, ob durch Marginalisierung und prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder durch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung – die Krise der auf Arbeit (im ökonomischen Sinne) gegründeten Gesellschaft zwingt die Individuen dazu, woanders als in der Arbeit Quellen für persönliche Identität und soziale Zugehörigkeit zu suchen: Möglichkeiten persönlicher Selbstentfaltung durch sinnvolle Tätigkeiten, durch die sie Selbstachtung und Wertschätzung durch andere erlangen können.“ (Gorz 1989, 147)

Denn, und mit der Bezugnahme auf Adorno eröffnet Gorz einen neuen Horizont jenseits des Ökonomismus: „Einer Berufskultur, die sich von der Lebenswelt – der in ihrer sinnlichen Dichte erlebten Welt – abschneidet, entspricht somit die Produktion einer Welt ohne sinnliche Werte; und dieser Welt entspricht eine ausgedörrte Sinnlichkeit, die wiederum das Denken austrocknen lässt. Dies haben in bewundernswerter Weise bereits Adorno und Horkheimer formuliert, wenn sie davon sprechen, dass die Maschinentechnologie ‘den selbstherrlichen Intellekt, der von der sinnlichen Erfahrung sich trennt, um sie zu unterwerfen’, zum Pendant hat.“ (Gorz 1989, 130)

Die analytische Verknüpfung von schlechter Arbeit und schlechter Gesellschaft als dem Resultat beziehungsweise gesellschaftlich relevanten „Produkt“ der Summe aller Arbeiten zwingt zu einer schrankenlosen, massiven Infragestellung dessen, was zu schlechter Arbeit zwingt. Das führt schließlich dazu, die oben unter dem Begriff des Bürgergeldes angedeutete Vorgehensweise zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise beziehungsweise Massenarbeitslosigkeit als kulturellen Prozess zu begreifen.

Es könnte einem hier vielleicht mulmig werden, weil die Identität des Autors Gorz zu verschwimmen droht und man Mühe hat, noch zu sehen, wo nun wirklich der Knoten sitzt, den es zu durchschlagen gilt. Aber hat man ihn vorher klar im Blick gehabt? Mir scheint, man muss es eher als Redlichkeit denn als Verschwommenheit sehen, wenn ein Autor kritischer Gesellschaftsliteratur nicht an dem einmal gefundenen Einstieg zur Analyse prekärer Gesellschaftsprozesse festklebt. War die Lohnarbeit der Einstieg zur Diagnose der gegenwärtigen Krise, so können die Lösungsvorschläge, die den Knoten eher lösen als durchschlagen wollen, durchaus ein Stück weit ihren Phänomenhorizont überschreiten.

„Die von jedem kultur-soziologischen ebenso wie von jedem funktionalistischen Zugang außer Acht gelassene Frage lautet damit: Vermögen ein Aktivitätstypus oder eine Kultur diese leiblichen Möglichkeiten menschlicher Existenz zu Werten zu entwickeln, zu ‘kultivieren’? Tragen sie zu ihrer Entfaltung bei, gestalten sie die Umwelt so, dass sie die Entfaltung der leiblichen Fähigkeiten erfordert oder befördert? Oder vergewaltigt im Gegenteil die Umwelt durch ihre Anordnung, ihre materielle Verfassung und ihre Anforderungen das leibliche Dasein, weil diese (materielle wie sozio-kulturelle) Umwelt selbst aus Aktivitäten entsprungen ist, in denen sich die Individuen selbst Gewalt antun? Die Lebenswelt – das ist nicht zuallererst, wie bei Habermas, die Welt der Traditionen und Normen, denen wir selbstverständlich oder ‘fraglos’ (Habermas) zustimmen; denn jede Norm, jede Tradition, jede Überzeugung kann in einer Krisensituation in Frage gestellt bzw. durch die Arbeit des Zweifels in Krise versetzt werden (etwa anlässlich einer Krankheit, des Todes eines Nahestehenden, einer Trennung, eines Scheiterns). Nichts hingegen kann die Gewissheit erschüttern, mit der wir die Welt in ihren sinnlichen Qualitäten erfahren: mit ihren materiellen Werten (gut, angenehm) oder Unwerten (klebrig, stinkend), mit ihrer Widerständigkeit gegen oder ihrer Eignung für die Entfaltung unserer leiblichen Fähigkeiten. Die ‘lebensweltliche’ Frage, die wir stellen müssen, ist also: Um welchen Preis haben wir eigentlich jene durch die Instrumente unserer Zivilisation informierte und geformte Welt als ‘Lebenswelt’ anzuerkennen gelernt? Bis zu welchem Masse haben wir uns – indem wir uns an die technisierte ‘Lebenswelt’ gewöhnen – unserer selbst entwöhnt? Produziert unsere Zivilisation eine Lebenswelt, der wir durch die Kultur unseres Lebensvollzugs angehören – oder lässt sie den ganzen Bereich der sinnlichen Werte unbehaust, im Zustande der Barbarei?“ (Gorz 1989, 128f)

 

Zusatz: System und Lebenswelt

Die Soziologie war immer schon den zwei unterschiedlichen Tendenzen von der Gesellschaft als historischem System (Geschichtsphilosophischer Marxismus, Strukturfunktionalismus, Systemtheorie) bzw. als „Summe“ der Handlungsbezüge der Einzelmenschen (Interaktionismus, Phänomenologie) gefolgt. Mit der Begriffsdichotomie von System und Lebenswelt erweitert Habermas seine an den Begriffen Arbeit und Interaktion aufgezäumte Marxismuskritik – es gelte eben nicht nur, die Komplexitätssteigerung der Wirtschafts- und Machtbereiche der Gesellschaft zu untersuchen, sondern auch die von den genannten Systemen abgekoppelten Lebenswelten. Das Verhältnis dieser Bereiche zueinander sieht Habermas nicht immer gleich: War ihm anfänglich die Lebenswelt frivol eine unverseuchbare Quelle der kommunikativen und kritischen Erneuerung der Gesellschaft, betont der spätere Habermas die Kolonialisierung der Lebenswelt insbesondere durch die Schrankenlosigkeit der Monetarisierung und Verrechtlichung sämtlicher gesellschaftlichen Prozesse.

Gorz entwindet den Begriff der Lebenswelt dem marxismuskritischen Kontext, indem er ihn in den Zusammenhang Husserls stellt, wo er ja auch herkommt: „Die Unterdrückung von allem, was nicht zum Reich des Intellekts und Kalküls gehört, soll den Zugang zur ‘Wahrheit’ verschaffen; einzig der homo oeconomicus und sein Zwillingsbruder, der informatisierte Arbeiter, leben im Reiche der Wahrheit. Hier setzt die triftige Frage Husserls ein, die auch zum Ausgangspunkt für die Reflexion der kritischen Theorie geworden ist: Bezieht sich die Naturbeherrschung auf die abstrakte Wirklichkeit der mathematisierten Welt (wissenschaftliche Natur) oder auf die sinnliche Wirklichkeit der Lebenswelt (lebensweltliche Natur)? Oder, anders gefragt: welche Beziehung des Menschen zu sich selbst als sinnlich-leiblichem Wesen, das durch seinen Körper in der Welt ist, beherrscht die methodische Durchführung einer Technik? Es ist nicht ohne Bedeutung, dass diese vor allem für die Anfänge der kritischen Theorie grundlegende Frage bei Habermas praktisch verschwunden ist. Die ‘Lebenswelt’ bei Husserl, das ist vor allem die Welt in ihrer sinnlichen Schwere und Dichte, die wir gleichsam leiblich an uns haben, mit ebenso starker Gewissheit und Evidenz wie unseren Leib selbst.“ (Gorz 1989, 127f) Er verwendet ihn nun als Korrektiv innerhalb der Beschreibung der Arbeitslosengesellschaft als Systemprozess.

 

Gegen die Verwaltung der Arbeitslosigkeit

Man hat es bei Gorz mit zwei Tendenzen zu tun, die nicht reibungslos ineinander übergehen, a) der Tendenz, für schwierige Sachverhalte einfache Lösungen vorzuschlagen (das lohnunabhängige Bürgergeld) und b) dieselben in ein politisches Konzept zu verpacken, das nicht wenig als Funktionärsgehabe erscheint, weil es über die Klarheit sagt, nur bestimmte Leute vermöchten sie zu sehen. Obwohl dies negativ verstanden werden kann, soll in diesem Abschnitt der Politiker Gorz das Wort haben, und zwar derjenige, auf den zu hören es sich durchaus lohnt.

Zunächst als Wiederholung die Gorzsche Prämisse, nichts zu fordern, was nicht bereits im Verborgenen dastehen würde, wenn vielleicht auch nur negativ: „So wie das Verschwinden des Wertgesetzes ist das Verschwinden der Marktgesetze (wie Marx in den Grundrissen nachgewiesen hat) eine unvermeidbare Folge der Automatisierung. Es ist also besser, offen mit dem Kapitalismus zu brechen, als durch allerlei Tricks seinen äußeren Schein zu verewigen.“ (Gorz 1983, 74)

Doch wann wäre der Zeitpunkt gegeben gewesen, oder wann wird der Zeitpunkt gegeben sein?

Immer geht es um das Verhältnis der Güterherstellung zur Reproduktion der Arbeitskraft und der Konsumation der Güter.

Bei Unstimmigkeiten in diesem Gleichgewichtspiel gibt es die Möglichkeit, dass die einzelnen Unternehmer ihre Strategie ändern – was das Soziale immer in den zweiten Rang abschieben lässt – oder dass die Gesamtorganisierung sich ändert. „(Die kollektive Beherrschung) setzt einen Gesellschaftsentwurf voraus, der sich den Tendenzen, die spontan am Werk sind, entgegensetzt. Was hier auf dem Spiel steht, ist besonders deutlich, und die Alternative ist klar: wenn die Gesellschaft sich nicht der Mikroinformatik bemächtigt, um durch die Erweiterung von Autonomie- und Selbstverwaltungsräumen einen Ausweg aus der Krise vorzubereiten, der mit dem Kapitalismus bricht, wird dieser die Gesellschaft ‘spontan’ zu einem neuen Typus von Industrialisierung lenken, der (…) den absoluten Triumph der Warenherrschaft besiegeln wird.“ (Gorz 1983, 42f)

Im anderen Fall, der die Wirklichkeit bildet, geschieht ein aufdringlicher Versuch der Ankurbelung der Wirtschaft durch die Kulturindustrie: „Die Zuteilung von Zahlungsmitteln zu dem Zweck, bestimmte Waren konsumieren zu lassen, wird sowohl den absoluten Sieg der Warenherrschaft wie die Negation der Warenbeziehungen bedeuten. Denn dann entspricht der Konsum nicht mehr der Befriedigung eines Bedürfnisses (oder Wunsches), der beim Individuum aus einer Tätigkeit erwächst und sie verlängert, sondern des Bedürfnisses, den angebotenen Waren Konsumenten zuzuführen. Damit schließt sich der Kreis: die Grenze zwischen Konsumtion und Produktion, zwischen Menschen und Waren verschwimmt. Waren produzieren Menschen in bezug auf die Waren, die sie produzieren und konsumieren sollen.“ (Gorz 1983, 47) Natürlich hat man es hier nicht mehr mit dem einfachen System der Ökonomie zu tun, sondern mit dem supplementären der Macht. Gorz zitiert Jacques Attali mit dessen pointierter Formulierung, dass man in solchen Verhältnissen „‘die letzte Gestalt der Warenordnung sieht: jene, in der die Waren ihre Konsumenten kaufen’“. (Gorz 1983, 48)

Wie das für den einzelnen Betroffenen in der Sprache von Gorz ausschaut, wissen wir bereits: Ein Überzähliger zu sein – „(dies) ist die Situation des unfreiwillig Arbeitslosen; und daran wird auch die Garantie eines Mindesteinkommens nichts ändern (ebenso wenig wie übrigens die Zuteilung einer Scheinarbeit ohne gesellschaftlichen Bedarf, eigens dafür geschaffen, um Arbeitslose zu beschäftigen und ihr Geldbezüge zu rechtfertigen). Welche Höhe das garantierte Mindesteinkommen auch immer haben mag, es ändert doch nichts an der Tatsache, dass die Gesellschaft von mir nichts erwartet, mir also die Existenz als allgemeines gesellschaftliches Individuum abspricht. Sie zahlt mir einen bestimmten Beitrag aus, ohne von mir etwas zu verlangen, also ohne mir ihr gegenüber ein Recht zuzusprechen. Über diese Geldzuweisung hat sie mich in ihrer Gewalt: Was sie mir heute zugesteht, kann sie mir morgen beschneiden oder verweigern, denn sie bedarf meiner nicht, während ich auf sie angewiesen bin.“ (Gorz 1989, 294)

Wie aber sieht dasselbe auf der Ebene der Gesamtorganisation aus?

Obwohl Gorz die Bedeutung der Kulturindustrie sieht beziehungsweise nicht bestreitet (ihr destruktiver Einfluss verdiente nicht wenige Diplomarbeiten…), weiß er mit ihrer Problematik nicht viel anzufangen. Er bleibt den bewährten Pfaden treu: „Nur eine transnationale Koalition der Linken, die sich auf gemeinsame politische Ziele geeinigt hätte, wäre in der Lage gewesen, dem Internationalismus des Kapitals dauerhaft zu widerstehen. Sie aber erblickte das Tageslicht nicht.“ (Gorz 1989, 264)

Die Restbestände der Linken haben nun folgende Aufgabe zu erfüllen: „Was ich vorschlage ist also, dass sich die Gewerkschaften und die politische Linke dieser Entwicklung fortschreitender Arbeitszeitdiskontinuität bemächtigen, sie zum Gegenstand von Arbeitskämpfen und Tarifverhandlungen machen und somit in neue Freiheitsdimensionen verwandeln – während sie heute vor allem Quelle von Unsicherheit ist.“ (Gorz 1989, 277)

In realpolitischer Stückwerkarbeit soll folgenden Zielen zum Durchbruch verholfen werden: „Ich schlage (…) eine indirekte Steuer vor, die nach Art der Mehrwertsteuer, der Alkohol-, Tabak-, Benzin- oder Automobilsteuer usw. usf. nicht auf die Produktionsmittel, sondern nach abgestuften Steuersätzen auf die Produkte und Leistungen selbst erhoben wird. (…) Damit würde zunehmend ein System politischer Preise an die Stelle der Marktpreise treten. Auch das wäre nur eine Erweiterung von Praktiken, die längst in allen modernen Volkswirtschaften am Werke sind. Alle Staaten korrigieren das System der Marktpreise über einen Mechanismus aus Steuern (auf Brennstoffe, Automobile, Luxusgüter usw.) und Subventionen (des öffentlichen Nahverkehrs, von landwirtschaftlichen Produkten, Mietpreisen, Theatern, Krankenhäusern, Kinderkrippen, Schulspeisungen usw.). Wenn die Lohnstückkosten für Güter aus automatisierten Produktionen zur verschwindend niedrigen Größe werden und ihr Tauschwert vom Verfall bedroht ist, wird sich die Gesellschaft unausweichlich ein System politischer Preise geben müssen, das ihre Grundentscheidungen und Prioritäten für den Bereich individuellen und kollektiven Konsums zum Ausdruck bringt. Bestimmte Produktionen werden endlich ihres Gebrauchswerts wegen beschlossen werden – und das Preissystem wird Ausdruck dieser Entscheidungen sein.“ (Gorz 1989, 286f)

Dadurch sollen die Auswirkungen der reinen ökonomischen Vernunft rückgängig gemacht werden können, die durch Monetarisierung und Verrechtlichung hervorgerufenen Missstände.

„Die ökonomische Rationalität, als Sonderform der ‘kognitiv-instrumentellen Rationalität’ (Habermas), wird nicht allein illegitimerweise auf institutionelles Handeln ausgedehnt, auf das sie nicht anwendbar ist; sie ‘kolonialisiert’ vielmehr in verdinglichender und verstümmelnder Weise das Netz kommunikativer Beziehungen, von denen die soziale Integration, die Erziehung und Sozialisierung der Individuen abhängt. Die Wurzel für diese ‘Kolonialisierung’ sieht Habermas in der ‘unaufhaltsamen Eigendynamik’, die das ökonomische und das administrative Subsystem – also die Fremdsteuerungen durch Geld und durch staatliche Macht – entwickeln.“ (Gorz 1989, 153)

Dies kann nie und nimmer selbst wieder durch bloße Verwaltungsentscheide, also rechtliche Verfügungen geschehen. Derselbe Prozess, den wir eben noch als kulturellen qualifizierten, ist sowohl politisch wie existentiell-individuell: „Wir müssen (…) wieder erlernen, unsere eigene Existenz von uns selber ausgehend zu denken; neu erlernen, dass wir selbst das Subjekt sind; lernen, dass Ökonomie, Soziologie und Sozialisation Grenzen haben. Vor allem aber müssen wir wieder den Begriff der Arbeit zu differenzieren lernen, um dem Unsinn zu entgehen, der darin besteht, nunmehr auch Tätigkeiten ohne (ver-)käuflichen Zweck zu bezahlen und damit der Leistungslogik auch Handlungen zu unterwerfen, die nur dann sinnvoll sind, wenn ihre Zeit nicht gemessen wird.“ (Gorz 1989, 195)

Nach wie vor steht im Zentrum eines solchen Prozesses das große Wort der Freiheit: „Die Geschichte kann Chancen einer größeren Freiheit in unsere Reichweite stellen; doch sie kann uns nicht davon dispensieren, diese Chancen auch emanzipatorisch zu nutzen. Wir werden nicht durch einen materiellen Determinismus und gleichsam ohne unser Mittun befreit werden. Das in einem historischen Prozess enthaltene Befreiungspotential aktualisiert sich nur, wenn es von den Menschen zu ihrer Befreiung ergriffen wird.“ (Gorz 1989, 259)

Und nach wie vor heißt eine solche Politik „Überwindung des Kapitalismus“: „Den Kapitalismus überwinden heißt in der Hauptsache, ein System der Produktion um der Produktion willen zu überwinden in Richtung auf eine Gesellschaft, in der die Gebrauchswerte vor den Tauschwerten rangieren und in der infolgedessen das Ökonomische nicht die sozialen Beziehungen bestimmt und beherrscht, sondern durch die Erweiterung der sozialen Beziehungen ‘freiwilligen Zusammenwirkens’ (Marx) eingegrenzt und ihr unterworfen ist. Mit anderen Worten: den Kapitalismus überwinden heißt hauptsächlich und notwendig, die Vorherrschaft der Warenbeziehungen – einschließlich des Verkaufs der Arbeit – zugunsten freiwilliger Tätigkeiten und Tauschbeziehungen zu beseitigen, die ihren Zweck in sich selbst tragen.“ (Gorz 1983, 85)

 

Wohl überlässt Gorz einen bezüglich vieler Phänomene im Trüben, wie etwa gegenüber dem verabsolutierten Finanzmarkt, dem beinahe schon trotzig-infantilen Aufsuchen neuer Wirtschaftsstandorte, der zu geringen Güterpallette in Drittweltökonomien etc. Trotzdem macht sein Werk plausibel, welches die ersten Schritte sein können, die nicht gestern gemacht wurden oder morgen zu tun wären, sondern heute „unternommen“ werden können, damit das schreckhaft Irrationale und Dschungelhafte des gegenwärtigen Wirtschaftens beseitigt wird. „Und hierin, in der Belebung gesellschaftlicher Kontrolle über die Ökonomie, liegt das wesentliche.“ (Gorz 1989, 302)

home

Inhalt