Frankfurt am Main 1993
Bizarr soll es sein, resümiert die Autorin Eichel am Schluss Seite 296, heute noch mit Adorno und im Geiste von Adorno neue Kunst und neue Musik deuten zu wollen; wie alle doch wissen, seien Adornos Konzeptionen dazu weder tragfähig noch taufrisch genug. Leider versäumt sie es, Alternativen mit vergleichbarer Verbindlichkeit anzusprechen. Stattdessen überlässt sie den Leser einer Ungewissheit, wie denn ihre Einstellung Adorno gegenüber zu begreifen sei. Referiert sie, geschieht dies durchwegs mit guter Intention, und es gelingen ihr Formulierungen, die man gerne selbst gefunden hätte. Zuweilen öffnet sie aber Fenster für den Zitatenschatz früherer Adornodeuter und -kritiker, wohl geschuldet der aufdringlichen Form der Dissertation. Dann erfolgt ein nur schwer nachvollziehbarer Stimmungswechsel und eine durch nichts zu rechfertigende Trübung der Sicht: Durch die Konzessionsbereitschaft gerät sie in eine Lage der Verwirrung, in der sie sich nicht anders zu helfen weiß als durch Distanzierung und Verleugnung Adornos. So muss denn auch die Härte des abschließenden Urteils weniger verstanden werden als Konsequenz eines rekonstruierten Zusammenhangs denn als Abirrung von einer Behauptung, die durchaus Plausibles zur Sprache bringt, dass Adornos Bilder- und Metaphernschatz zuweilen bizarren Mustern folgt (125, 177, 215). Allein die Fixierung auf dem Wort bizarr lässt die Autorin abgleiten von der Aussage, dass Adornos Metaphern nicht immer evident seien zum Urteil, seine Haltung sei historisch überholt.
Postavantgardistische Verfransung bedeute bei Adorno u. a., dass die Werke sich nicht mehr bis ins Letzte analysieren ließen, sondern archaisch-mimetische Reaktionsweisen nach sich ziehen (43). Es „überträgt sich ein anarchisches Moment auf die Reflexion. Adorno beantwortet (das Erscheinen der) Phänomene der Grenzüberschreitung mit einer Öffnung seiner Ästhetik für Kunstwerke, die sich nicht mehr ohne weiteres kundig analysieren lassen“. Gegen diese Deutung, die voraussetzt, dass der frühe und mittlere Adorno die Kunstwerke als so verständlich wie isolierte Gebilde der sozialen Empirie begriff, muss daran erinnert werden, dass der junge Wiesengrund immer schon nach dem scheinbar Unverständlichen, Rätselhaften fragte; die erste, epistemologisch entscheidende Frage war, ob sich Schönberg verstehen ließe. – Als Urphänomen der Verfransung stellt Adorno die Montage der Collage gegenüber; er bleibt zu beiden Begriffen bzw. Techniken ambivalent, wenn auch Christine Eichel zur Stützung ihrer These herausstreicht, der alte Adorno sähe endlich das Fruchtbare in der Montage, wohingegen der Adorno der Philosophie der neuen Musik angesichts Strawinskys Technik nur böse Worte dafür zuhanden gehabt hätte. (44f)
Die Autorin nimmt Josef Früchtl sehr ernst und favorisiert dessen These, dass qua Mimesis am Ursprung die erste Sprache als Ausdruck von Empfindungen gewirkt haben soll, nicht als Signifikation (162). Eine ästhetische Theorie soll sich der nicht signifikativen Grundsprache der Kunst annähern, die sich nicht auf Empirisches bezieht, sondern in den Formen chiffriert angelegt ist. Das Verfransen der Künste ist Zeugnis dieser Sprache; gleichzeitig verlieren die Werke den Charakter der Sprachähnlichkeit und werden unanalysierbar. – Nebenbei opponiert das Verfransen der Idee des Gesamtkunstwerkes, weil bei diesem, z. B. bei Skrjabin und Kandinsky, der Geist etwas Aufgeklebtes, nicht in den Formen Vermitteltes ist (99).
Bei Adorno wichtig zu sehen sei die Imaginationslogik, ein Begriff, den Eichel von Eggebrecht übernimmt. Jene ist nicht intersubjektiv, für einzelne mit demselben Erfahrungshintergrund aber nachvollziehbar. Adorno benutze in ihr einen großen Metaphernschatz, der allerdings in ein eingeschränktes Inventar von Bildern eingebunden sei, das auf allzu Verschiedenes appliziert würde. (Zu diesem Problem, das auf mehreren Ebenen erscheint, vgl. Wolfgang Lessing.)
Ähnlich der Imaginationslogik funktioniert der Begriff der ästhetischen Rationalität: „Die Polarisierung von ästhetischer und instrumenteller Rationalität spiegelt sich für Adorno in der Aufspaltung der Sprache wider“ (129) – soll heißen in eine kommunikative und eine künstlerische. Davon distanziert sich die Autorin: „Adornos Dichotomisierung der Rationalität in instrumentelle und mimetische Rationalität ist ein Modell, mit dem sich heute nicht mehr sinnvoll arbeiten lässt.“ (263) Kritik: In dieser undialektischen Weise formuliert, liegt eine solche Dichotomisierung bei Adorno gar nicht vor. Doch Eichel beharrt auf ihr. Wenn sie von einer Musikalisierung der Künste schreibt, kann dem nur zugestimmt werden; die Ästhetisierung der Theorie, wie die Autorin sie beschreibt, ist hingegen eine riskante Unterstellung: „… vertraut Adorno darauf, dass es doch wieder eine Kompatibilität von künstlerischem Gehalt und kommunikativer Sprache geben kann: durch die Verwandlung der philosophischen Sprache in ein Analogon von Kunst.“ (159ff) Dahinter steckt ein positivistisches Verständnis des Begriffs der Sprachähnlichkeit. Man muss wohl überhaupt von einer Fehleinschätzung der Sprache Adornos sprechen. Seite 163: „Mit der Nobilisierung der Metapher zum Statthalter sprachlich artikulierter Mimesis setzt Adorno ein großes Vertrauen in die Adäquatheit des Verhältnisses von Sprache und Erfahrung. Er ignoriert den Transformationsprozess und die Wechselbeziehung von Wahrnehmung, Reflexion und Sprache. … Adornos sprachlich-mimetisches Verhalten zum Kunstwerk, in dem die instrumentalisierte Ratio ebenso ausgeblendet sein soll wie der Mechanismus identifizierenden Denkens usw… Die Gattungsüberschreitung der Künste wiederholt sich also im metaphorischen Sprechen, das potentiell alles mit allem vernetzen kann.“ Dass Adornos Deutung nicht auf Begrifflichkeit zielt, immer, ist neu und ist falsch.
Um so frivoler das Lob der Unverbindlichkeit, Seite 244: „Adorno erliegt der Versuchung, die Werke gewissermaßen zu Ende zu denken, anstatt sich wirklich auf ihre Individualität und ihren Fragmentcharakter einzulassen – und auf ihre verstörende Kraft. Er hebt die Auflösung der Kunstgattungen wie des Kunstbegriffs dialektisch auf durch die behauptete Kommunikation der in Frage gestellten Werke.“ Die Möglichkeit des nicht mehr sprechen und nicht mehr deuten Könnens aus Gründen der Dominanz des Warencharakters wird ignoriert; es wird nicht nur einem Kunstoptimismus gefrönt, sondern zuweilen dieser auch Adorno untergeschoben. Adorno rationalisiert aber nicht die Werke auf einen positiven Sinn hin, wie Eichel suggeriert; um was es geht, lässt sich mit einem Zitat von ihr selbst formulieren, das sie im Verlauf ihres Textes offenbar nicht mehr bedeutsam findet: „Durch die Verfransung der Künste erst trete ein Sprachcharakter hervor, der jeden positiven Sinn leugne, aber einen implizit kritischen Gehalt habe.“ (123) Was dagegen zu sagen ist, einen kritischen Gehalt begrifflich fassbar machen zu wollen, bleibt ein anstößiges Geheimnis der Autorin.
Bestimmt neu gegenüber Adorno ist eine gewisse Konvergenz von Kunst und Wissenschaft in der Chaostheorie; darin scheinen die Deutungsprobleme aufgehoben zu sein – und die Werke dem Warencharakter entrissen. Auf diesem Hintergrund braucht die jetzige Kunst offenbar so wenig negativ zu sein wie das Negativ-Schockhafte umgekehrt zur Kulturindustrie gehört und akzeptiert wird. (264) Eichel scheut sich nicht, als Agentin der Fernsehindustrie aufzutreten. – Wie die Chaostheorie unverhofft sind auch Vokabularien Derridas ex machina zur Stelle und zeichnen Spuren in den Text: „Die Analogien von Kunst und Sprache ziehen eine logozentrische Fixierung auf Bedeutungen in der Kunsterfahrung nach sich.“ (276) Eichels Einstellung zur Diskursivität gerät ihr dann seltsam: „… Denn diskursives Denken als logozentrische Reflexion (?) wird längst nicht mehr einem qualitativen Begriff von Rationalität gerecht, der das vermeintlich Irrationale (?) nicht einfach ausgrenzt.“ (282) Dieses Projektil scheint der Autorin mehr aus der Hand gerutscht zu sein als dass es ernsthaft gegen etwas Wirkliches hindeuten wollte.
Recht ärgerlich ist die Ignorierung von Adornos negativer Einschätzung der Verfransung der Künste, am Schluss von Ohne Leitbild. (In der lesenswerteren Vortragsfassung zitiert sie hingegen diese Stelle, C. E., „Die Kunst und die Künste“. Perspektiven einer interdisziplinären Ästhetik nach Adorno, in: Hager und Pfütze, 1990, p. 193.) Dadurch entsteht ein Lob der Infantilkünste, namentlich Laurie Anderson, Joseph Beuys und Nam June Paik werden heiß bewundert. Ein braves Fazit: Die Rede von der Interdisziplinarität der Künste ist falsch, wenn sie sich auf Adorno beziehen will. Empirisch ist die Konstatierung aber korrekt – mit allen abstoßenden Konnotationen, um die sich die Autorin foutiert. Das sind wohl die Kosten der Verleugnung der Wirklichkeit, die zu Bizarrerien neigt, die nicht wenige heute gerne bezahlen wollen.
Es ist der Autorin vorzuwerfen, dass sie gerade diejenigen Begriffe unscharf und sogar schwammig einsetzt, um die herum sie doch ihre zentralen Themen setzt: Avantgarde und Spätwerk Adornos. Gehört der Begriff der Avantgarde bereits zur klassischen Moderne mit Schönberg und Picasso und gehört der Begriff des Ermattens der Avantgarde folglich zu allem, was nach dem Zweiten Weltkrieg in dem Bereich Kunst und Musik geschieht – oder gehört er im speziellen zu den Musikschaffenden Anfang der Fünfzigerjahre, insofern sie das individuell Willkürliche im Komponieren zur Kritik brachten, weil es als wesentlich im Heraufdämmern des Faschismus in der westlichen Kultur erkannt wurde? Indem Eichel sich der Präzisierung entzieht, wird unklar, wann und wo sich gewisse Veränderungen vollziehen, auf die Adorno durch eine Abänderung seiner „Theorie“ reagieren würde. Denn es scheint, als würde eine triviale Tatsache im zeitlichen Ablauf des Werkes Adornos ignoriert: dass er bis nach dem Erscheinen der Philosophie der neuen Musik sich substantiell, also im Rahmen eines theoretischen Anspruchs, mit der Malerei gar nicht beschäftigt hat und dass es wohl auf der Hand liegt, dass von dem Moment an, da dies geschieht, die Begriffe nicht mehr in derselben Ordnung zu funktionieren vermögen. Oder passiert etwa eine spezifische Vernetzung der Künste zeitlich nach den großen Produktionen von Boulez, Stockhausen etc., auf die Adorno durch eine Revision seiner Postulate reagiert hätte? Was sich festhalten lässt ist, dass die KünstlerInnen nach 1950 nicht geschlafen haben, dass also objektiv sehr viel und Interessantes geschaffen wurde – und dass Adorno ohne Unterlass in diese Produktionsverhältnisse eingegriffen hat. Von einer Zäsur aber zu sprechen wirkt dann fahrlässig, wenn der Widerstand gegen die Kulturindustrie als obsolet erscheinen soll – ganz im Stil wie diejenigen sich frivol als Konservative produzieren, die die Kategorien links und rechts als unbrauchbar beschimpfen. Denn nicht weniges von dem was sich als interdisziplinäre Kunst verstanden wissen will, gehört eindeutig in den Bereich der Unterhaltung, indem eher Technologien Abläufe organisieren als dass mit intellektueller Anstrengung künstlerisches Material verarbeitet würde.
Obwohl der Text einige lesenswerte Passagen enthält (an Stil und Rhetorik ist nichts zu bemäkeln), ist er im Ganzen doch eher ein Stimmungsbild als eine Analyse, woran nicht wenig das forciert aufgesetzte Schlusskapitel beiträgt. Vielleicht liegt nur deswegen ein Dunstschleier über dem Buch, der dessen Thesen ungriffig erscheinen lässt, weil zu sehr dem Common Sense nachgegeben wurde und die klassische Phrase unterdrückt, die nahe legt, wie die Antwort auf die Diagnose eines Missverhältnisses zwischen der analytischen Disposition der Werke Adornos und dem Dispositiv der Werke der Kunst heute lauten müsste: um so schlimmer für die Künste.
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