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Einführung ins musikalische Material

 

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musikgeschichte
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Musikgeschichte als Materialgeschichte
(zusammengestellt und kommentiert
von Ueli Raz 1988/2005)

 

 

 

 

Kleiner Wutanfall vom 9. Oktober 2009: Angesichts des erneut erhobenen Tons gegen die zeitgenössische Kunstmusik und der Schrillheit, in der Invektiven wie Alpentorten gegen Adorno geworfen werden, erst vor einer Woche noch vom Berner Gewerbeschulmusikdirektor, der einstens wie kein anderer sich pausenlos Verdienste für jene erworben hatte, scheint es einmal mehr nicht überflüssig, die Idee anschaulich und didaktisch ohne Widerhaken darzustellen, die sowohl ihrem Verständnis vorausgeht wie sie in die musikalischen Texte Adornos verwoben ist, die ihr von Anfang an beistanden. Gut möglich, dass einer, der tagtäglich von Bewusstseinen umgeben ist, die nicht weiter denken wollen als die Akteure von Tanzmusik und Bürojazz, Ermüdungserscheinungen zeigen muss; dennoch soll die Meinung nicht unwidersprochen verpuffen, Adorno hätte uns nichts mehr zu sagen und man müsse sich darauf einstellen, dass er in ein paar dutzend Jahren gelesen werde wie heute Hanslick oder Krauss, als harmloser Stichwortliferant, der einen wohl weiterhin anregen darf, im weiteren aber nicht zu beunruhigen braucht - als ob der Meute jetzt Recht widerführe, wenn ihre Einzelnen Adorno auch nicht ein erstes Mal zu lesen beabsichtigen. Dass ausgerechnet Scholem einen gelehrt hätte, auf was für schwachen Füssen Adornos Gesellschaftstheorie, Grundlage der Philosophie der neuen Musik, ruhte - da hätte selbst der produktive Widersacher Adornos und Freund Scholems, Benjamin, laut gepfiffen. An dem Statement Roman Brotbecks im prominenten, wenn auch morschen Vorposten der Kulturindustrie Radio DRS 2, dass die Aussagen zur Musik zwar interessant, das Ganze der Gesellschaftstheorie aber suspekt sei, zeigt sich die nunmehr über hundertjährige Angstabwehr der Musikwissenschaft gegen die Theorie, die das gute Elternhaus dem Kind einpflanzte, um es von den Schmuddelkindern fernzuhalten. Der Antrieb der Theorie ist indes nur der Zeigefinger, der sagt, dass da ein Zusammenhang vorläge und nichts Spintisiertes, Mystisches oder eben, da Scholem schon angerufen wurde, Kabbalistisches von oben die Verhältnisse bestimmen würde. Nur die Theorie, nicht die Musik selbst, kann zeigen, was in der Musik nach dem 20. Jahrhundert passiert. Mit musikwissenschaftlichen Mitteln allein lässt sich nicht verstehen, unter welchem Druck die heutigen musikalischen KünstlerInnen stehen und wie viel Kraft sie aufbieten müssen, um der Sogwirkung der Kulturindustrie widerstehen zu können, deren Anfängen schon Strawinsky verfallen war. Gerade wenn man in kommenden Zeiten als selbstverständlich nehmen will, dass der abendländische Ethnozentrismus nicht mehr erscheinen dürfe, braucht es eine Konzeption der Musikgeschichte, in der diejenige von Euroamerika als einheitliche Formstruktur mit ihren Triebkräften erkennbar ist, in der ein gegebener historischer Materialstand dann zuende transformiert war, wenn seine Werke nicht mehr zur allgemein gepflegten Aufführung kamen.

 

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Man bedenke, wie schwierig es in alten Zeiten war, den geschichtlichen Gehalt der Musik zu vermitteln, und wie viel Anstrengung dafür einzelne auf sich nahmen, um ihn weiterzugeben.
Kolderup tat's jeden Abend, auch wenn der Tag in Turbulenzen unterzugehen drohte und das Ganze heute anmutet, als ob einer von zuunterst im Malstrom einen Stein über die Sogkante an seine oberste,
bereits wieder ebene Oberfläche werfen wollte.

Arno Schmidt, Schule der Atheisten, 25f