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Proseminar Positivismusstreit 1990 [1]

Adorno die dritte: und wenn die Sprache frau wäre

Man stößt immer wieder darauf, wie Studierende Vorzüge machen, indem sie zur verpflichteten Bearbeitung von Geschriebenem – und anderes wäre das Studium kaum – Texte wählen, die offenbar leicht dünken, oder wenigstens leichter als die, mit denen man es „momentan“ zu tun hätte, im Verlauf eines Studiums oder einer Passage desselben. Das passiert auch hier, wo nur von der Sprache gesprochen sein soll, in bezug auf Adorno, wo jetzt aber ausgegangen wird (und wo aus der Quelle der Begriffe geschöpft wird, sei's drum: der Metaphorik natürlich) von Derrida [2] , der über Stil sprechen sollte, die Frau aber zum „Sujet“ nimmt, als seine „Versuchsperson“ (p.31/131), und die er in gewisse Textteile oder Textilien von Nietzsche instruiert, um dieselben dekonstruktiv zu lesen, das heißt in einer – Adorno entgegengesetzten [3] – „affirmativen Interpretation“ (p.33/131). Es wird also ausgewichen, um Verletzungen zuvorzukommen. Adorno wird ausgewichen, der Sprachanalyse als Stilistik oder Rhetorik [4] , der Grammatik, der Logik, dem Feminismus, dann – bald – auch Derrida, und durch diesen Nietzsche selbst. Es wird also abgedriftet, durch Insistenz auf der intentio obliqua, ohne klare Anzeige einer richtigen Absicht, in der das Problem in einer endgültigen Form zu fassen wäre, [5] als ob von der Möglichkeit einer Sprache zu sprechen wäre, die nicht einer einzelnen Sache adäquat sei, [6] das heißt, für Popperisten, einem historisch konkreten Gebilde, sondern: die allgemein und absolut, losgelöst von den Gegenständen und der Spontaneität der Leserschaft, angemessen wäre, der die richtige Dosis von allem und für alle bereits verabreicht worden wäre. So einer Möglichkeit nachzuhangen hieße, die Sprache töten zu wollen. Und das ist das eigentliche Thema, dass man immer sagen muss, ja nein, das will ich sicher nicht, keine Totenstarre und keinen wächsernen Leichnam auf der Zunge, du übertreibst, die Sprache lebt, wie die Wüste lebt, natürlich – aber den Versicherungen zum Trotz: die Sprache ist immer nur Ding und neutrales Instrument gewesen, als solches in Erscheinung geraten. Denn die Meinung, keine absolut sichere Sprache anzustreben, darf sich durch gar nichts rühmen, weil sie der Sprache in der Weise Gewalt eben antut, indem sie sie nicht Ernst nimmt, unverbindlich plappernd als bloßes Buchstabengeklapper. Das also ist das Thema. [7]

Um über Adornos Sprechen zu sprechen wird also bei Derrida angesetzt, und bei diesem in einem Text über Nietzsche, nicht, wie man erwarten sollte, über Hegel. Da der Stil, der zur Debatte steht – in der Frage vor allem, ob er vermeidbar wäre, durch das empirische Individuum Adorno es vielleicht sogar gewesen wäre – da der Stil nichts anderes ist als die Gleichzeitigkeit der Logik gegen das Vergessen und der Logik des aktiven Vergessens, subjektiver und objektiver Genitiv, darf hier, am Ende der Einleitung, ein als zweites P.S. einem ersten P.S. nachgeschobenes P.S.II. von Derrida zitiert werden, nicht zuletzt als Schutz gegen das Vergessen Adornos:

„Geben wir nicht vor, zu wissen, was das Vergessen ist! Gilt es dann, den Sinn des Vergessens auszuforschen oder die Frage des Vergessens auf die Frage des Seins zurückzuführen? Wäre das Vergessen eines Seienden (zum Beispiel des Schirms [von Nietzsche, über welches „Ereignis“ Derrida vorangehend schrieb]) dem Vergessen des Seins inkommensurabel? dem Vergessen des Seins, von dem es bestenfalls ein Abbild wäre?“ (a. a. O. p.109/164) Und etwas weiter: „Doch wir geraten selbst dort, wo wir das Wesen der Vergessenheit in seiner Weite erblickt haben, allzu leicht in die Gefahr, das Vergessen nur als menschliches Tun und Lassen zu verstehen.“ (p.111/164)

Jetzt ist auch das passiert! Denn dieses soeben, die letzten zwei-drei Zeilen, das ist nicht mehr Derrida, auch nicht Nietzsche, sondern Heidegger, ein weit mehr Entfernterer von Adorno als Nietzsche es sein müsste, sozusagen ein Inkompatibler zu Adorno.

Das ist schon fast aufdringlich, so weit vom Thema entfernt zu sein, als ob man sich um etwas drücken müsste; als ob es darum ginge, Adorno so zu vergessen, dass auch das Vergessen vergessengemacht würde. Aber die Distanz ist notwendig, wenn man sich einem Thema nähern will, von dem man sagt, es sei einem in irgendeiner Weise fremd, wie der Stil Adornos (über die subjektive Bewertung ist dadurch noch nichts gesagt, klar). Hier in der improvisierten Fremde, bei dieser Spritztour in die Ferne, sehen wir also: Heidegger – den Schirm – den Schirm des Philosophieprofessors, wie Heidegger sagt, dabei Nietzsche nicht erwähnend [8] – das Sein – das Vergessen. Die Komplizenschaft dieser Adorno-fremden Materialien soll die Kompliziertheit und das Prätentiöse von Adornos Sprachstil erklären? So dass, in aller Heimlichkeit, kein einfacherer mehr zu ersehnen wäre? (Wenn ich nur genügend Zeit hätte und dieses elende Wirtepatent des Institutskaffees abtreten könnte, endlich, für einen guten Zweck, gegen die Nachtarbeit, nicht gegen die Stelle, natürlich nicht.)

Derrida setzt die folgende Nietzsche-Passage, in Ergänzung von wenigen anderen, mit Nietzsches Wahrheitsbegriff [9] in Verbindung, der sich durch drei Positionen der Frau resp. den Frauen und Fräuleins etc. gegenüber auszeichnet (p.77ff/150) [10] , sowie auch dem Kern von Nietzsches Schreiben, seinen Schriften: durch die Artikulation des Willens zur Macht als Nietzsches Lehre die Macht selbst, die nicht ganz dem Heideggerschen Sein entspricht, aktiv vergessen zu helfen, d. h. die Metaphysik, den Ethnozentrismus. (In Klammern stehen noch Derridas Bemerkungen – meine Nietzsche-Ausgabe ist zu unsicher, um mit Bestimmtheit sagen zu können, was sich wegstreichen ließe.)

„Die Frauen und ihre Wirkung in die Ferne. Habe ich noch Ohren? Bin ich nur noch Ohr und nichts weiter mehr? Hier stehe ich inmitten des Brandes der Brandung, ('Brandung', verwandt mit dem lodernden Aufflammen von 'Brand', bedeutet das Zurückrollen der Wellen über sich selbst, wenn sie auf Felsketten treffen oder wenn sie sich an Klippen, Steilküsten, spornförmigen Felsvorsprüngen oder ähnlichem brechen), deren weiße Flammen bis zu meinem Fuß heraufzüngeln (ich bin also auch der Sporn) – von allen Seiten heult, droht, schreit, schrillt es auf mich zu, während in der tiefsten Tiefe der alte Erderschütterer seine Arie singt (Ariadne ist nicht allzu fern), dumpf wie ein brüllender Stier: er stampft sich dazu einen Erderschütterer-Takt, dass selbst diesen verwitterten Felsunholden hier das Herz darüber im Leibe zittert. Da, plötzlich, wie aus dem Nichts geboren, erscheint vor dem Tore dieses höllischen Labyrinthes, nur wenige Klafter weit entfernt – ein großes Segelschiff, schweigsam wie ein Gespenst dahergleitend. Oh diese gespenstische Schönheit! Mit welchem Zauber fasst sie mich an! Wie? Hat alle Ruhe und Schweigsamkeit sich hier eingeschifft? Sitzt mein Glück selber an diesem stillen Platze, mein glücklicheres Ich, mein zweites verewigtes Selbst? Nicht tot sein und doch auch nicht mehr lebend? Als ein geisterhaftes, stilles, scheuendes, gleitendes, schwebendes Mittelwesen? Dem Schiffe gleichend, welches mit seinen weißen Segeln wie ein ungeheurer Schmetterling über das dunkle Meer hinläuft! Ja! Über\ das Dasein hinlaufen! Das ist es! Das wäre es! – Es scheint, der Lärm hier hat mich zum Phantasten gemacht? Aller große Lärm macht, dass wir das Glück in die Stille und Ferne setzen. Wenn ein Mann inmitten seines Lärms steht, inmitten seiner Brandung von Würfen und Entwürfen: da sieht er auch wohl stille zauberhafte Wesen an sich vorübergleiten, nach deren Glück und Zurückgezogenheit er sich sehnt –es sind die Frauen. Fast meint er, dort bei den Frauen wohne sein besseres Selbst: an diesen stillen Plätzen werde auch die lauteste Brandung zur Totenstille und das Leben selber zum Traume über das Leben. Jedoch! Jedoch! Mein edler Schwärmer, es gibt auch auf dem schönsten Segelschiffe so viel Geräusch und Lärm, und leider so viel kleinen erbärmlichen Lärm! Der Zauber und die mächtigste Wirkung der Frauen ist, um die Sprache der Philosophen zu reden, eine Wirkung in die Ferne, eine actio in distans: dazu gehört aber, zuerst und vor allem –Distanz!“ [11]

Die ausführliche Analyse selbst brauchen wir nicht, für unsere Plauderstunde, nur das, was vielleicht von Ferne zu illustrieren verhilft, wie komplizierter Stil und wissenschaftlicher Begriff zusammenzufügen wären. Nur das „Fazit“, wie man sich das gewohnt ist in der scientific community, hier also das von Derrida, nach längeren Erwägungen, scheinbar mehr zu Heidegger als zu Nietzsche, ebenso wenig es als zentralen Punkt kennzeichnend:

„Man hat [bei Nietzsche/Heidegger] zumeist den Eindruck, – und der Großteil der Aussagen sowie die Beschaffenheit ihrer Konnotationen bestätigen dies – einer neuen Metaphysik des Eigentums, eben der `Metaphysik'. Hier stößt die Opposition zwischen Metaphysik und Nicht-Metaphysik ihrerseits an ihre Grenze, die Grenze dieser Opposition selbst, die Grenze der Form der `Opposition'. Wenn die Form der Opposition, die oppositionelle Struktur, metaphysisch ist, kann die Beziehung der Metaphysik zu ihrem `anderen' keine Oppositionsbeziehung mehr sein.“ (a. a. O. p.92f/156f)

Jetzt sind wir im Zentrum des Themas, wo kein Sturm weht, wo wir im Moment auf keinen Schutzschirm angewiesen sind, bis wir ganz zu Adorno hinübergewechselt haben werden, auch zum jungen Wiesengrund-Adorno, zu dem vor der Heirat.

Im Moment. Als ob es in einem solchen Moment die Möglichkeit gäbe, eine Wahl zu treffen, um neu anzusetzen, aufgeworfene Schwierigkeiten hinter sich zurücklassend.

Der Stil, der Schreibstift, der Stilo, das Stilett und die Sporen, die hinausragen, wie auch die Regenschirme, die die einzelnen schützen, und die man als Einzeldinge vergessen kann – dies alles ist Eigentum eines Subjekts (wir brauchen Nietzsche nun nicht mehr), das der Metaphysik gegenübersteht, um sie so vergessenzumachen, damit das Subjekt nicht länger deren Eigentum zu sein bräuchte: Objekt der Metaphysik. Es ist wichtig zu sehen, auch wenn diese Facette abrupt aufscheint, dass das Vergessenmachen kein Altruismus ist. Es ist nicht das Subjekt da, das gegen das Metaphysische aktiv wäre, weil es andere, vielleicht die Menschen der Dritten Welt, zum Objekt machen, sie beherrschen würde. Es ist das Subjekt, das arbeitet, würde Hegel sagen – aus einer ganz anderen Warte, aber mit derselben Notwendigkeit – und nichts anderes. [12] Es arbeitet, weil es sich als Objekt dünkt, als Ding, nein: als Instrument der Metaphysik. Deshalb die gewisse Aggressivität in den Stilen, mit der und mit denen man sich arrangieren muss. [13] Es ist etwas da, offenbar, das Nietzsche empfindlich getroffen hat, in der Sprache der Philosophie, eine permanente Wendung in ihr (Nietzsche benutzt nicht den Rousseauischen Begriff der Katastrophe), gegen die er sich wendet. – Mehr brauchen wir aus Derridas Sporen – die Stile Nietzsches nicht zu berücksichtigen.

Es ist „etwas“ in der Sprache der abendländischen Philosophie, das bei Nietzsche, dem prominenten Antihegelianer, in Erscheinung tritt, das sich – wie zufällig – auch mit Nietzsches Verhältnis zur Frau und zu den Fräuleins in Verbindung bringen lässt. Wie wenn beiläufig die feministische Aufmerksamkeit sich da hätte entfalten können, wo auch dem Namen der Metaphysik als der systematisch-ethnozentrischen Gewalt des Abendlandes mit bewusstem Vergessen hat „gegenübergetreten“ werden können.

Aber benannt ist immer noch nichts. Außer ein paar isolierte Instrumente, „über“ die zu protokollieren es mir nicht gelingen will, weil die Improvisation sich zu weit vorgewagt hat. Nehmen wir an, dass das nichts macht, jedenfalls euch, denen ich die Materialien zusammensammle, da das ja das Thema ist: die Instrumentalisierung, und eine Verankerung, das glaube ich ist klar, hätte die Problematik der Instrumentalität – überhaupt die Möglichkeit der Instrumentalität – zur Gänze unklar erscheinen lassen, ganz ohne Anschauung (wie man nur in der analytischen Philosophie Wissenschaftsvorgänge beschreiben kann). Die Instrumentalisierung der Sprache der Philosophie durch die Philosophie als Metaphysik, das hat sich in der Sprache sedimentiert – wobei sich nicht sagen lässt, wo diese Ablagerung stattgefunden hat – und zwar so, dass gesagt werden muss: der Sprache wird begegnet, als wären sie und ihre Elemente, die Schriftzeichen, neutrale Instrumente. Als wäre das schreibende Subjekt ein Souverän der Sprache, der über diese verfügt, damit sie äußere Dinge (materielle oder immaterielle) repräsentieren\ kann. Und der Sprechende würde sie bei sich zusammenziehen, um sie als seine\ Kraft anderen Subjekten entgegenzusetzen. Die Sprache wäre als Informantin dem militärischen Gehabe des „souveränen Subjekts“ untergeordnet, subaltern nur, um so mehr den Befehlen Folge leistend.

Wie lässt sich Adorno illustrativ herbeizitieren?

Klaus Theweleit [14] mokiert sich über die Autoren der Dialektik der Aufklärung, weil sie unfähig seien, die Frau als tätiges Subjekt wahrzunehmen. Hier eine Stelle aus einer Passage, die Horkheimer zugeschrieben wird: [15]

„Die Erklärung des Hasses gegen das Weib als die schwächere an geistiger und körperlicher Macht, die an ihrer Stirn das Sigel der Herrschaft trägt, ist zugleich die des Judenhasses. Weibern und Juden sieht man es an, dass sie seit Tausenden von Jahren nicht geherrscht haben. Sie leben, obgleich man sie beseitigen könnte, und ihre Angst und Schwäche, ihre größere Affinität zur Natur durch perennierenden Druck, ist ihr Lebenselement. Das reizt den Starken, der die Stärke mit der angespannten Distanzierung zur Natur bezahlt und ewig sich die Angst verbieten muss, zu blinder Wut. Er identifiziert sich mit Natur, indem er den Schrei, den er selbst nicht ausstoßen darf, in seinen Opfern tausendfach erzeugt.“ [16]

Daraus lässt sich noch keine feministische Politik ableiten und keine Strategie oder Intention im Schreibstil festmachen. Trotzdem gilt die Frau – pathetisch zwar, aber immerhin – als eine Besonderheit, deren Allgemeinheit jetzt aufgespürt werden muss. [17]

Es ist die Grundthese der Dialektik der Aufklärung, dass sich die Vernunft im Abendland nur deswegen so mächtig hat entfalten können, weil sie sich in Reserve gehalten hat: weil sie sich nicht ganz entfaltet hat. Durchgesetzt hat sich nur ein Teil von ihr, einer, der auch imstande ist, sich überhaupt gegen sie zu wenden, indem er alles zum Zweck machen muss, sofern er wirklich ist. Diese Teilvernunft als instrumentelle ist nicht etwas, das einzig im Abendland festzustellen wäre, hier hat sie sich nur radikalisieren können: „Die Zauberei ist wie Wissenschaft auf Zwecke aus, aber sie verfolgt sie durch Mimesis, nicht in fortschreitender Distanz zum Objekt.“ (Horkheimer/Adorno, a. a. O. p.13) Einerseits hat sich diese Vernunft nie vom Mythos lösen können: „Je mehr die Denkmaschinerie das Seiende sich unterwirft, um so blinder bescheidet sie sich bei dessen Reproduktion. Damit schlägt Aufklärung in Mythologie zurück, der sie nie zu entrinnen wusste. Denn Mythologie hatte in ihren Gestalten die Essenz des Bestehenden: Kreislauf, Schicksal, Herrschaft der Welt als die Wahrheit zurückgespiegelt und der Hoffnung entsagt. In der Prägnanz des mythischen Bildes wie in der Klarheit der wissenschaftlichen Formel wird die Ewigkeit des Tatsächlichen bestätigt und das bloße Dasein als der Sinn ausgesprochen, den es versperrt.“ (p.27f) Andererseits verunmöglicht diese Teilvernunft, durch Kritik die ganze Vernunft sich so entfalten zu lassen, sich realisieren zu lassen, dass die positiven Momente der instrumentellen Vernunft fruchtbar genutzt werden könnten, das Lebensschwierige der Natur gegenüber den Menschen – die Katastrophen – in Schranken zu halten. Ihre Resultate sehen eher Rousseauisch aus: „Der Fluch des unaufhaltsamen Fortschritts ist die unaufhörliche Regression.“ (p.35)

Die geschichtsphilosophische These ist nicht nur schwierig zu verstehen; sie hängt auch in dem Sinne etwas in der Luft, als es zu einer Benennung der instrumentellen Vernunft kommt, die alles andere ihr unterordnet, indem sie es zu einem Ding oder Instrument macht, von welchen keines diese Verdinglichung reflektieren könnte, auch nicht die Personen Horkheimer und Adorno. Wenn man nicht sagen will, dass ihre Erkenntnis eine besondere ist, also keine allgemeine – sie wäre nur Ideologie als Effekt der instrumentellen Vernunft – so kann man doch sagen, dass ihre Darstellungsweise eine besondere ist, ihr Stil. Was ihn auszeichnet, ist auch das Mittel, d. h. das Instrument gegen die instrumentelle Vernunft: alles noch einmal benennen, was von der katastrophischen Vernunft schon in Beschlag genommen worden ist, mit der bescheiden anmutenden Rücksichtnahme, dass dem so ist.

Noch einmal: das Besondere der abendländischen Vernunft ist, dass sich nicht das entfaltet hat, was man gemeinhin, „aus Erfahrung“, Vernunft nennt, sondern nur ein Teil von ihr, der sich verabsolutierte; der sich also hat lossagen können von allem und der im gleichen Zug sich als das Einzige, das Unum Bonum, zu präsentieren imstande war. Einer solchen Identität – und das ist die konkrete These der Dialektik der Aufklärung – die sich aufspielt, die sich von allem trennen lässt außer von der Herrschaftsproduktion, sind die Unterscheidungen sekundär, also auch diejenige und diejenigen zwischen Mann und Frau. Das Subjekt dieser Vernunft macht das, was als anderes erscheint zum Ding, auch zum Instrument – zu einem neutralisierten Instrument. Daraus lässt sich ableiten, dass es erstens in der Sprache selbst eine Instrumentalisierung gibt (das kann man hier sagen, ohne voreilig zu präzisieren, ohne Angaben zu machen, was denn in der Sprache Instrument sei), weil sie nichts anderes macht als das zu unterscheiden, was die Vernunft identifizieren will; und dass zweitens die Frau nicht in derselben Weise Subjekt sein kann, wenn die Vernunft auch nur im entferntesten männliche Züge aufweist.

Bevor ich ein wenig, wiederum nur improvisierend, aus der Negativen Dialektik zitiere, die den Zweck hat, die unstabilen begrifflichen Grundlagen der Dialektik der Aufklärung nachzuliefern (so außerordentlich willkürlich ist denn dieses geschichtsphilosophische Werk doch nicht...), möchte ich hier auf eine frühe Schrift von Adorno aufmerksam machen, die explizit die Sprache zum Gegenstand hat, dadurch auch den Zwang in der Vernunft, nur instrumentell sich artikulieren zu können. [18]

Also, ich bitte um Aufmerksamkeit, auch um Entschuldigung, dass ich so lange abschreibe, aber das Zitieren von einzelnen Sätzen würde zu sehr einer pathetischen Aufnahme vorschubleisten, einer, die bei den Sätzen ins Schwärmen oder – was nicht viel anderes ist – ins Kopfschütteln geriete:

„1. (...)

2. Philosophische Sprache, die Wahrheit intendiert, kennt keine Signa. Durch Sprache gewinnt Geschichte Anteil an Wahrheit, und die Worte sind nie bloß Zeichen des unter ihnen Gedachten, sondern in die Worte bricht Geschichte ein, bildet deren Wahrheitscharaktere, der Anteil von Geschichte am Wort bestimmt die Wahl jeden Wortes schlechthin, weil Geschichte und Wahrheit im Worte zusammentreten.

 3. (...)

4. Die Forderung der 'Verständlichkeit' der philosophischen Sprache, ihrer gesellschaftlichen Kommunizierbarkeit, ist idealistisch, geht notwendig vom signifikativen Charakter der Sprache aus, setzt, dass die Sprache vom Gegenstand ablösbar sei, darum der gleiche Gegenstand auf verschiedene Weisen adäquat gegeben sein könne. Gegenstände werden aber durch die Sprache überhaupt nicht adäquat gegeben, sondern haften an der Sprache und stehen in geschichtlicher Einheit mit der Sprache. In einer homogenen Gesellschaft ist Verständlichkeit der philosophischen Sprache niemals gefordert, allenfalls jedoch vorgegeben: wenn die ontologische Macht der Worte so weit reicht, dass ihnen in der Gesellschaft objektive Dignität zukommt. Diese Objektivität resultiert niemals aus einer Angleichung der philosophischen Sprache ans Verständnis der Gesellschaft. (...)

5. Die intendierte Verständlichkeit philosophischer Sprache ist heute in allen Stücken als Trug zu enthüllen. Sie ist entweder banal: setzt also naiv Worte als vorgegeben und gültig, deren Beziehung zum Gegenstand in Wahrheit problematisch wurde; oder ist unwahr, indem sie unternimmt, jene Problematik zu verbergen; benutzt das Pathos von Worten, die der geschichtlichen Dynamik enthoben schienen, um den Worten geschichtslose Gültigkeit und ineins damit Verständlichkeit zu vindizieren. (...)

6. (...) Die herkömmliche Terminologie, und wäre sie zertrümmert, ist zu bewahren, und neue Worte des Philosophen bilden sich heute allein aus der Veränderung der Konfiguration der Worte, die in Geschichte stehen, nicht durch Erfindung einer Sprache, die zwar die Macht der Geschichte über das Wort anerkennt, ihr aber auszuweichen trachtet in eine private 'Konkretheit', die nur scheinbar vor Geschichte sichergestellt ist.

 7. Es steht heute der Philosoph der zerfallenen Sprache gegenüber. Sein Material sind die Trümmer der Worte, an die Geschichte ihn bindet; seine Freiheit ist allein die Möglichkeit von deren Konfiguration nach dem Zwange der Wahrheit in ihnen. Er darf so wenig ein Wort vorgegeben denken wie ein Wort erfinden.

 8. (...) Gegenüber den herkömmlichen Worten und der sprachlosen subjektiven Intention ist die Konfiguration ein Drittes. Ein Drittes nicht durch Vermittlung. Denn es wird nicht etwa die Intention durch das Mittel der Sprache objektiviert. Sondern es bedeutet konfigurative Sprache ein Drittes als dialektisch verschränkte und explikativ unauflösliche Einheit von Begriff und Sache. Die explikative Unauflöslichkeit solcher Einheit, die sich umfangslogischen Kategorien entzieht, bedingt heute zwingend die radikale Schwierigkeit aller ernsthaften philosophischen Sprache.

 9. (...) Alle philosophische Kritik ist heute möglich als Sprachkritik. Diese Sprachkritik hat sich nicht bloß auf die 'Adäquation' der Worte an die Sachen zu erstrecken, sondern ebensowohl auf den Stand der Worte bei sich selber; es ist bei den Worten zu fragen, wie weit sie fähig sind, die ihnen zugemuteten Intentionen zu tragen, wieweit ihre Kraft geschichtlich erloschen ist, wie weit sie etwa konfigurativ bewahrt werden mag. Kriterium dessen ist wesentlich die ästhetische Dignität der Worte. (...) Es ergibt sich damit konstitutive Bedeutung der ästhetischen Kritik für die Erkenntnis. Ihr entspricht: dass echte Kunst heute nicht mehr den Charakter des Metaphysischen hat, sondern unvermittelt der Darstellung realer Seinsgehalte sich zuwendet. Es lässt sich die wachsende Bedeutung philosophischer Sprachkritik formulieren als beginnende Konvergenz von Kunst und Erkenntnis. (...)

10. (...)“

Man muss vielleicht beachten, dass dieser Text zu den Frühschriften von Adorno gezählt wird, und auch, dass gesagt wird, in jener Zeit hätte sich Adorno vor allem mit Musik beschäftigt, als Kompositionslehrling bei Berg und als Ästhetiker resp. Kritiker in Musikzeitschriften. Ich selber halte diese Einschränkung für artifiziell, da Adorno die Musik nie außerhalb von philosophischen oder erkenntnis- resp. wissenschaftstheoretischen Fragestellungen zur Sprache gebracht hat. Dennoch hat die Schrift einen deutlichen Probiercharakter – sie diente also vor allem der Selbstverständigung – und Adorno hat sie denn auch zeitlebens nicht publiziert (immerhin zur Publikation post mortem freigegeben).

Wichtig scheint mir, dass der Ausdruck Erkenntnis in keiner Weise mit dem der Wissenschaft in Verbindung gebracht wird. Wenn man von der Besonderheit der Sprache von Adorno spricht, kann man also keine Schlüsse ziehen bezüglich einer Wissenschaft, die eine solche – oder eine ähnliche – Stilistik pflegen könnte. Dennoch geht es um Erkenntnis, und um nichts anderes, und Adorno gerät nicht in Versuchung, gegen sie Stellung zu nehmen…

Dann also der Brocken der Hoffnungslosigkeit, die Negative Dialektik, die alle Probleme lösen soll. Natürlich würde man es jetzt gerne sehen, wenn ohne Verzug und allsogleich der Titel dieses ominösen Hauptwerks des Adorno erklärt würde; dass also gesagt würde, in einer negativen Didaktik quasi aufmunternd, was „eine“ negative Dialektik sei. Denn wurde nicht bis zu eurem Überdruss der Mahnfinger erhoben, dass eine materialistische Dialektik unmöglich sei; dass die Dialektik gewisse Implikationen enthielte, denen man sich nicht entziehen kann: eine einfache Opposition [19] am Ursprung, die den ganzen Fortlauf der Vermittlungen, der Vermittlung überhaupt, determiniert, weil ein Ziel, ein Ende, eine Finalität oder ein Telos vorausgesetzt werden muss (das absolute Wissen der Teleologie), eine Geschlossenheit, die den einfachen Widerspruch als Effekt, d. h. als Wirkung ohne Ursache, zur Wirklichkeit werden lässt? Die Dialektik ist eine Theorie (oder ein Konzept) der Entäußerung, die sich nicht von der Schöpfungsidee des Theologismus abtrennen lässt; als ein solcher ist sie sowohl voluntaristisch wie intellektualistisch, weil sie nicht der Idee der Allmächtigkeit und Allwissenheit entkommt. Und nun die Negative Dialektik.

Wir sind wieder am Anfang des Proseminars, und wir müssten das ganze wiederholen, besonders die Stellen, die eine gewisse Nervosität gegenüber der Dialektik haben aufkommen lassen, überhaupt gegenüber allem, was sich von der Idee einer reinen exakten Wissenschaftlichkeit distanzieren will. Das kann auch – ausnahmsweise – gut und kurz gesagt werden. Es gibt eine Zwangsläufigkeit, die zu Hegel geführt hat, und es gibt in dessen Schriften eine Abstrusität, die nicht von der Hand zu weisen ist. Und das ist schon alles. Der Positivismus, der hinter Hegel zurückfällt (was Popper nicht bestreitet, aber er „bedenkt“ nicht, was ein Rückfall hinter eine philosophische Position bedeutet – Adornos Rückfall hinter Marx bereitet ihm selbst viel Mühe) – der Positivismus vergisst, verheimlicht und unterschlägt das „Positive“ (im umgangssprachlichen Sinn) in Hegel, die Praxisphilosophien seit Marx dessen „Negatives“, nämlich die theologische Struktur [20] . Diesen Zustand, der auch heute noch wirksam ist (ein mühsamer Nebensatz…), will der Titel Negative Dialektik benennen. Es handelt sich also um eine philosophiehistorische Reflexion, zugleich um die Offenlegung einer Struktur; diese selbst ist nicht anders als begrifflicher Natur. Also ist die Negative Dialektik eine Artikulation, die ein Problem lösen will: sie ist ein historisch-gesellschaftliches Gebilde, das Erkenntnis beansprucht, keine geringe. Das Werk hat dadurch eine eigentümliche Intention, die nämlich, zu sagen, was falsch ist und durch was, und die, den Ort anzugeben, von dem her eine bessere Wiederholung geleistet werden könnte. Man sagt, die Negative Dialektik sei der (gescheiterte) Versuch zu begründen, wieso Horkheimer/Adorno in der Dialektik der Aufklärung so überheblich und anmaßend behaupten konnten, die ganze Geschichte sei determiniert durch die instrumentelle Vernunft, gegen die es auf der allgemeinen Ebene, auf der Ebene des gesellschaftlichen Bewusstseins, nichts zu unternehmen gäbe; diese unterstehe, wie Adorno zu sagen beliebt, mit einem Term, den gewiss kein anderer für sich in Anspruch nehmen will: sie unterstehe dem Bann.

Jenen fraglichen Grund lokalisiert Adorno – wie übrigens alle Philosophien es tun... – im Begriff der Identität. [21] Ungleich der Logik, die den Widerspruch verbietet, und ungleich Hegel, der ihn dialektisch aufhebt und zur Identität umbiegt, um ihn als solche zu archivieren, behauptet Adorno, es gäbe zum Begriff der Identität ein Supplement, das man das Nichtidentische nennen dürfe, und dessen Fundament (oder logische Rechtfertigung) in denjenigen Momenten der Erfahrung läge, die sich nicht artikulieren ließen, die aber immer feststellbar seien. [22] Das Nichtidentische, das nicht in Opposition zu einem Identischen steht, ist also der Ort, wo Kritik ihre Herkunft hat. Ist dieser Ort nun allgemein, also eine Allmend – oder gehört er zum Wesen, zur Ousia [Ousia], d. h. zum Besitzgut von Horkheimer/Adorno alleine? Lassen wir das. Der ontologische Befund der Tatsächlichkeit vom Nichtidentischen macht die Sprache falsch, die ihn nicht berücksichtigt; dieser Umstand, ja diese Schwangerschaft macht das Sprechen des Jedermannes, des Bürgers Odysseus und Ulysses, das von Bloom, wenn er Joyce nicht hätte, und von uns allen, das Sprechen des Heideggerschen Mans schlussendlich, falsch. Denn von einem Nichtidentischen kann man nur sprechen, wenn man den Akt des Sprechens berücksichtigt, auch das stumme Sprechen, sogar das Vergessen, das ein schlechtes Gewissen sprechen lässt.

Man könnte da nicht von einem Nichtidentischen sprechen, wo nicht auch die Sprache die Hand im Spiele hat. Das genügt, für diese doppelte Schicht, vor den Ferien, und die Zitate sind nun nur noch zur Belustigung, d. h. zum Anreiz, ihre Orte selber aufzusuchen, insgesamt die Ateliers [23] .

Die Negative Dialektik wird nach der Ausgabe stw 1975 zitiert, falls Seitenabweichungen festgestellt werden, handelt es sich nur um eine oder zwei Seiten.

„Die Negative Dialektik, die von allen ästhetischen Themen sich fernhält, (könnte) Antisystem heißen.“ (p.10)

„Der Schein von Identität wohnt (...) dem Denken selber seiner puren Form nach inne. Denken heißt identifizieren.“ (p.17)

„Dialektik ist das konsequente Bewusstsein von Nichtidentität.“ (ebd.) [Adorno wagt diese Aussage ohne explizite Einschränkung auf negative Dialektik.]

„Die Utopie der Erkenntnis wäre, das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen.“ (p.21)

„Die Freiheit der Philosophie ist nichts anderes als das Vermögen, ihrer Unfreiheit zum Laut zu verhelfen. Wirft das Ausdrucksmoment als mehr sich auf, so artet es in Weltanschauung aus; wo sie des Ausdrucksmoments und der Pflicht zur Darstellung sich begibt, wird sie der Wissenschaft angeglichen.“ (p.29) [Das kennen wir aus dem Sprachaufsatz; klar ist immer noch nicht, ob man bei Adorno von einer Wissenschaftsfeindlichkeit sprechen soll.]

„Exakte Phantasie eines Dissentierenden kann mehr sehen als tausend Augen, denen die rosarote Einheitsbrille aufgestülpt ward, die dann, was sie erblicken, mit der Allgemeinheit des Wahren verwechseln und regredieren. dem widerstrebt die Individuation der Erkenntnis.“ (p.56)

„Denken ohne Begriff ist keines.“ (p.105)

„Heidegger gelangt bis an die Grenze der dialektischen Einsicht in die Nichtidentität in der Identität. Aber den Widerspruch im Seinsbegriff trägt er nicht aus. Er unterdrückt ihn.“ (p.110)

„Dialektik als Verfahren heißt, um des einmal an der Sache erfahrenen Widerspruches willen und gegen ihn in Widersprüchen zu denken. Widerspruch in der Realität, ist sie Widerspruch gegen diese. Mit Hegel aber lässt solche Dialektik nicht mehr sich vereinen.“ (p.148) [Verfahren ist nicht Methode.]

„Der Totalität ist zu opponieren, indem sie der Nichtidentität mit sich selbst überführt wird, die sie dem eigenen Begriff nach verleugnet. Dadurch ist die negative Dialektik, als an ihrem Ausgang, gebunden an die obersten Kategorien von Identitätsphilosophie. Insofern bleibt auch sie falsch, identitätslogisch, selber das, wogegen sie gedacht wird.“ (p.150) [Man kann nicht aus dem eigenen und eigentümlichen Ethnozentrismus austreten.]

„Identität ist die Urform von Ideologie.“ (p.151)

„Dialektisch ist Erkenntnis des Nichtidentischen (...) darin, dass gerade sie, mehr und anders als das Identitätsdenken, identifiziert. Sie will sagen, was etwas sei, während das Identitätsdenken sagt, worunter etwas fällt, wovon es Exemplar ist oder Repräsentant, was es also nicht selbst ist.“ (p.152)

„Was ist, ist mehr, als es ist.“ (p.164)

„Zu sich gelangt (das Nichtidentische) erst in seiner Entäußerung, nicht in seiner Verhärtung; das noch ist Hegel abzulernen, ohne Zugeständnis an die repressiven Momente seiner Entäußerungslehre.“ (p.165)

„Als dialektische muss Theorie – wie weithin die Marxische – immanent sein, auch wenn sie schließlich die gesamte Sphäre negiert, in der sie sich bewegt.“ (p.197)

Das braucht nicht kommentiert zu werden, da jeder Zusatz mehr Fragen aufwerfen würde, als dass nur eine zu einer befriedigenden Beantwortung gelänge. Aber wäre es ausschließlich ein schlechtes Zeichen, wenn aus Sätzen der Negativen Dialektik Sprichwörter würden, also solche, von denen als IntellektuelleR man/frau sich distanzieren müsste? Das wäre vielleicht ein Seitentürchen.

Also sei auch das noch versucht, das Türchen in die Fugen zu setzen, nochmals zu beschreiben, wie Stil und Allgemeinheit des Begriffs zusammengehören, als Lichtblick – was mich die Wiederholung der Worte langsam müde macht…

Der Mann Adorno sagt nicht, ich bin das Gute, wie Platon es sagen musste; er macht eine Unterscheidung, hinein ins Wesen des Guten, vor aller intentio recta, vor aller Differenzierung, eine einzige Unterscheidung, die er berücksichtigt, wann immer er schreibt. Auf dieser schiefen Bahn seiner Herkunft kann man noch nicht einmal von einer intentio obliqua sprechen, also von einer Bewusstheit, die an ein Subjekt gebunden wäre. Das heißt, Adorno denkt nicht an die Frau, wenn er sorgfältig schreibt, er hat überhaupt keine Intention, schon gar nicht dürfte gesagt werden, sein Stil sei feministisch, um einer gewissen Strategie Genüge zu tun, etwa frauenfreundlich zu sein. Aber die Unterscheidung ist doch notwendig, damit das Gute nicht zwangsläufig als männlich qualifiziert werden muss, das doch als ein Gutes, das ans Subjekt gebunden ist, vorausgesetzt werden muss – das ist schwierig, ja – wenn überhaupt geschrieben werden soll. Das Gute ist die Form der Idealisierung, die nicht umgangen werden kann, wenn ein sprachlicher Transfer überhaupt gemacht werden soll, sei es gesprochen oder in Schrift. Zu dieser Idealisierung gehört auch, wie eben angetönt, dass man von einer Identität her schreibt; diese spaltet Adorno, damit nicht vorausbestimmt ist, ob ein Mann oder eine Frau schreibt, in der Sprache, die man/frau selbst spricht. Das aber bedeutet noch lange nicht, dass die Sprache Adornos als Ideal gelten dürfte, nach dem man/frau sich guten Glaubens richten könnte; dies, weil sein Stil es nicht präzisieren könnte, was es bedeutet zu sagen, es gibt die Frau in der Sprache, orientiere dich, seiest du eine Frau oder ein Mann. Adornos Sprache muss in ihrer Form Eigensinnigkeiten aufweisen, die offenbar – hier muss man subjektiv sein – als Produktivkräfte entfaltet werden mussten, [24] wenn überhaupt es unternommen werden sollte, eine Sprache zu entfalten, in der das sprechende Subjekt, das „zufällig“ männlich ist, nicht alles andere zum Ding macht, eben dann auch die Sprache als weibliche, d. h. nicht-männliche, weil die – sprechenden – Menschen solche auch sind: männlich, nicht-männlich, weiblich, nicht-weiblich.

Es bedeutet sehr viel und nichts leichtes, dass feministische Politik darin keine Ordnung anstreben darf; es bedeutet, dass feministische Politik sogar ein Verbot zu kritisieren – eine ursprünglich-patriarchale Zensur – bei ihren grundlegenden Akten sozusagen deponieren muss. [25] Es gibt im Mann das Vergessen des Mannseins, über die Frau lässt sich diesbezüglich nichts sagen.

Im übrigen sind die etymologischen Beziehungen so, dass die Art des Schreibens eine Kunst ist, die in der Herkunft und im Geschlecht des Autors begründet ist, d. unbestimmt bleiben kann. Das Geschlecht gehört zum Schreiben, bevor dieses die Geschlechter trennt. [26]

Ueli Raz

Bern, 7. Juli 1990

TeX –Übersetzung (aus Signum2):

Frankfurt, 13. Januar 1992

Word-Übersetzung:

Bern, 27. März 1998

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[1] Anmerkung für den Export: In Bern war es eine Zeit lang Mode, soziologische Veranstaltungen durch schriftliche „Protokolle“, die innerhalb einer Woche durch die Post ihre AdressatInnen finden mussten, nicht enden zu lassen. In diesem Text, der die dritte Sitzung, die sich ausdrücklich mit Adorno beschäftigte, rapportiert, wird auf das Statement einer Frau reagiert, die sagte, Adornos Sprache sei Ausdruck einer Mackerhaltung – sie sei geprägt vom Luxus eines Mannes, für dessen Lebensannehmlichkeiten eine sich aufopfernde Frau die Verantwortung übernommen habe.

[2] Jacques Derrida, Sporen – Die Stile Nietzsches, Venezia 1976, viersprachig. Auch in W. Hamacher (Hrsg.), Nietzsche aus Frankreich, Ffm - Berlin 1986. Beim Zitieren wird nach dem Schrägstrich / diese zweite Ullstein-Ausgabe angefügt.

[3] Was es hierbei mit Derridas „Intention“ auf sich hat, ist bis dato schleierhaft, jedenfalls verweigert er jede Stellungnahme bezüglich Adorno (die bloßen Erwähnungen Adornos sind vernachlässigbar).

[4] Noch heute ist sehr empfehlenswert eine einfühlsame Arbeit von Dieter Schnebel (Komponist und Pfarrer), Komposition von Sprache – sprachliche Gestaltung der Musik in Adornos Werk, in ders., Denkbare Musik – Schriften 1952-1972, Köln 1972.

[5] Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, Ffm 1971, p.25: „Aufklärung ist totalitär wie nur irgendein System (...), (weil) der Prozess für sie zum vornherein entschieden ist.“ Die Stelle ist nicht so verschroben – als ob die Autoren Gegenaufklärer wären – wenn man an Hegels Geschichtsphilosophie denkt, an die Perfektibilisierung der Entfaltung der Freiheit resp. des Geistes, und wie entschieden diese dialektische Struktur ausschaut, nämlich theologisch.

[6] Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man von der Logizität einer Sache spricht, der Struktur, die sie zu ihrer Entfaltung berücksichtigen muss, und die nicht als Totalität erreichbar wäre, oder von der Logik als Methode, die sich verabsolutieren lässt, von den Dingen loslösen lässt, insofern mit ihr nicht die implizite Regelhaftigkeit des Denkens gemeint wird.

[7] Die Verkleinerung der Frau im Titel hin zum stilstörenden Fräulein zeigt an, dass es nicht ums Verhältnis Adornos zur Frau geht, zu den Frauen, auch nicht darum, ob die Sprache wie eine Frau behandelt wird, als Ersatz einer empirischen; das würde es auch dann noch nicht, wenn einmal die Passagen zusammengetragen würden, die mit Frau/Frauen/Mädchen zu tun haben. – Ich kann aber schon verraten, dass die wenigen Texte, die als ganze Frauen als Objekt enthalten, als Sache der Erkenntnis, recht auffällig weniger prätentiös geschrieben sind als die geläufigen.

[8] Ebenda, auch zitiert aus Heidegger, Zur Seinsfrage.

[9] Ich möchte nebenbei an das Postulat der Identität von Stil und Logik erinnern, daran, dass der Stil wenigstens dem Text nichts Äußerliches ist. Wenn man das berücksichtigt, neigt man vielleicht weniger der Missinterpretation zu, hier handele es sich um etwas bloß Philosophisches, letztenendes ums Pathos der Wahrheit, oder die erneute, vielleicht erneuerte Fassung einer pathetischen Wahrheit, die der empirischen Wissenschaftlichkeit entgegenzusetzen wäre. Die im Proseminar geführten Diskussionen um Notwendigkeit und Grenzen einer Wissenschaftslogik werden nicht berührt, ihr Gehalt bleibt unangetastet.

[10] 1. Die Frau wird verurteilt, erniedrigt, verachtet, als Bild oder Macht der Lüge. 2. Die Frau wird verurteilt, verachtet als Gestalt oder Macht der Wahrheit. 3. Die Frau wird, jenseits dieser doppelten Negation, anerkannt, bejaht als affirmative, verhehlende, künstlerische, dionysische Macht. – Der Begriff des Dionysischen ist mindestens so mehrdeutig, wie es Nietzsches Verhältnisse zu den Frauen sind.

[11] Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Aphorismus Nr. 60, zitiert nach Derrida, a. a. O p.35ff/133f.

[12] Man muss ein wenig die Hoffnungslosigkeit herauszuspüren versuchen.

[13] Es ist unschwer zu zeigen, weshalb die Aussage falsch und abstrakt wäre, Adorno sei zwar interessant, aber wirklich interessante Ideen müssten auch für alle zugänglich sein und also demokratisch dargestellt werden. Wer sagen kann, Adorno hätte gute Ideen, der/die kann diese auch reproduzieren, das heißt in eigenen Worten anderen klarmachen (sonst will nur nach dem Maul gesprochen werden); wer meint, es sei möglich, irgendsolch gute Ideen leicht darzustellen, wird nie zu ihnen gelangen, ansonsten würde er/sie diese leicht darstellbaren „Ideen“ selbst darstellen. Ideen sind etwas anderes als das was es gibt.

[14] Er sagt das in den Männerphantasien, aber ich finde die Belegstelle nicht, weil es in den Anmerkungen keinen Hinweis auf die Dialektik der Aufklärung gibt. Ich kann mich also leicht irren, täusche mich aber kaum über Theweleits Einschätzung: es gehöre selbst zum patriarchalen Muster, die Frauen als Subjekte in der Geschichte nur mitleidsvoll betrachten zu wollen, und bei Horkheimer/Adorno sei diese Haltung eben festzustellen.

[15] Anmerkung in Frankfurt: Ich hatte in Bern versucht, die Autoren auseinanderzuhalten; das ist vielleicht unzulässig.

[16] Horkheimer/Adorno a. a. O. p.101. Das ist aus dem Kapitel über Nietzsche und de Sade, die Wut und die Opferschreie beziehen sich auf Romanstellen des letzteren. Man kann dieses Zitat mit derjenigen Passage aus dem Kapitel „Elemente des Antisemitismus“ vergleichen, die wir letztes Semester gelesen haben, die von Adorno stammen soll (vgl. das Flugi 17. 12. 1989). Hier brauchen wir nur das Bild.

[17] Darf man überhaupt von der Frau sprechen und sie zum Thema machen, wenn es darum geht, das was immer schon gegen sie gerichtet gewesen zu sein scheint, gegenzuwenden?

[18] Adorno, Thesen über die Sprache des Philosophen, in ders., Gesammelte Schriften Band 1, Ffm 1973. Der Text ist nicht datiert, soll aber in den dreißiger Jahren entstanden sein. – Dieser Band enthält neben der (unwichtigen) Dissertation und der ersten (gescheiterten, aber für die Adornodeutung wichtigen) Habilschrift noch zwei sehr aufschlussreiche Vortragstexte: Die Aktualität der Philosophie (1931) und Die Idee der Naturgeschichte (1932).

[19] Siehe oben das eingerückte Zitat von Derrida, das die Problematik der oppositionellen Begriffsstruktur anspricht, aus der Nietzsche – durch Vervielfältigung der Stile und Frauenbilder – entkommen will.

[20] Vgl. das Flugi Wieso in Adorno trotz allem die Wahrheit spricht – und nicht die Bürokratie, vom letzten Geburtstag.

[21] Die instrumentelle Vernunft ist eine blindwütige Identifikationsmaschinerie.

[22] Man kann niemals von sich selber eine Geschichte erzählen, die nicht immer noch weiter ergänzt werden könnte.

[23] Das wäre mir gar nicht so unrecht, für einmal auf einen öffentlichen Text anzuspielen, nicht auf ein Flugblatt. Doch wie könnte jener je öffentlich werden, wenn er zu Bilder geschrieben wurde, die sukzessive dem Atelier entwendet werden, weil dieses gerade eben ein Atelier war? Und ein solches wird meistens anonym besucht, so dass niemand diese Bilder je besitzen wird. Ateliers ist somit ein Text, der immer unwirklicher und unverständlicher wird.

[24] Die elende Positionierung des Sich, das Streichen des subjektiven Ichs, der Ton des Guten, ganz antinietzscheanisch, d. h. des Rechthabens in den physiognomischen Deutungen, die fürs allgemeine Willkürakte sind, oh, und diese Praktiken der Verben...

[25] Es ist leichter, sich die positiven Techniken des Wissens anzueignen als über Nichterkennbares/Nichtverfügbares sich Klarheit zu verschaffen, sich über deren Tatsächlichkeit resp. Aufdringlichkeit Rechenschaft zu geben.

[26] Vgl. Derrida, Heideggers Hand (Geschlecht II), Wien 1988, Anmerkung 45 des Übersetzers H.-D. Gondek. – Auf Seite 46 gibt es einen der spärlichen Hinweise darauf, dass Derrida Adorno zur Kenntnis nimmt, aber auch hier nichts, das auf die subjektive Einschätzung hinweisen würde. Sie ist aber nicht unwichtig, wenn es bezüglich der Geschlechter nicht zu Verlegenheiten kommen soll.