Wiler, Giätrich, 6. Juli 2005
Panoramen mit Hugin neugestitcht am 20. November 2012
Ein regnerischer Tag zum Nachgrübeln: Faldum, Niwen, Rothorn.
Der Band:
Werner Meyer et al. (Hrsg.), "Heidenhüttli". 25 Jahre archäologische
Wüstungsforschung im schweizerischen Alpenraum, Basel 1998
enthält drei Beiträge zum Lötschental, die unter anderem deutlich machen, dass
die Dörfer, wie wir die Siedlungen im Wallis kennen,
in den meisten Gegenden so während mehrerer Jahrhunderte in ihrer
Entstehungszeit gar nicht bestanden hatten,
sondern nach Familiengruppen mehr aufgezettelt und zerstreut zu phantasieren
wären.
Die Dörfer bildeten sich erst mit der Zeit, und viele der
vereinzelten Wohnsiedlungen wurden verlassen.
Solche verlassenen Wohnsiedlungen, von denen zumindest Ruinen noch feststellbar
sind,
heissen im Volksmund zuweilen Heidenhüttli, in der Geschichtswissenschaft und in
der Archäologie Wüstungen.
Eine solche Wüstung ist Giätrich bei Wiler auf der
gegenüberliegenden Talseite (zum Standort siehe drittletztes Bild hier unten).
Im Forschungsbericht von Thomas Bitterli-Waldvogel, "Giätrich" Wiler Lötschen
VS 1989-1990
wird die wissenschaftliche archäologische Untersuchung dieses Weilers in den
Jahren 1989 und 1990 beschrieben.
Der ganze Boden wurde abgetragen, die Mauern freigelegt. Was man heute an diesem
Ort sieht, ist mittlerweile wieder vollständig überwachsen,
so dass ein Scharren an der vermoosten Oberfläche vielleicht ein verlorenes
Portemonnaie eines Forschungsteilnehmenden
zutage zu fördern vernag, nie aber einen urhistorischen Gegenstand, den die
professionelle Ausgrabung
vielleicht übersehen hätte.
Giätrich war diesem Bericht zufolge während drei Jahrhunderten
von ca. 1040 bis ca. 1310 bewohnt.
Das Gebiet war gerodet, der heutige Wald begann erst um 1600 zu wachsen.
Weit draussen im Gjätt liegt Giätrich, als "Fortsetzung" der Stallreihe "In oberen Mattu" im Wald.
Panorama Giätrich Mitte - zu beachten ist die Weiträumigkeit
der Mauern.
Die obere Mauer verläuft in der Ost-West-Richtung, diejenige rechts unten Süd-Nord.
Etwas Ausserordentliches am Ausgrabungsort Giätrich ist der
Fund einer Maultrommel, eines Trümpi.
Es scheint sich um den ältesten Fund auf Schweizer Gebiet überhaupt zu handeln.
Im Text Maultrommelfunde in der Schweiz von Werner Meyer und Hans Oesch
in:
Viktor Ravizza (Hrsg.), Festschrift Arnold Geering, Bern 1972
werden nur jüngere Funde erwähnt.
Dieses Instrument,
das ich n.b. in älteren Kindertagen selbst spielte,
ist mir bei den spärlichen Texten über Musik
im Wallis sonst nicht begegnet.
Eine zusätzliche Besonderheit:
Die Schlagmarke der Maultrommel, eine Art Fabrikzeichen,
das nirgendwo sonst noch gefunden zu sein scheint.
Im ganzen Band Meyer et al. 1998 gibt es noch zwei weitere
alte Fundstellen mit Maultrommeln:
a) Seite 22: Lukmanierhospiz, 13./14. Jahrhundert
b) Seite 33: Bergeten/Glarus, 13./14. Jahrhundert
Die Überreste der letzten Gaterich Dancing Queen:
Der Wolf hat eine Hälfte des Gems-Pelzes liegengelassen,
die andere hat er sich übergezogen.
Panorama Giätrich Ost, nah beim Lawinenzug Tännerra.
Der Steinhaufen links sieht aus wie ein Kalkofen; er wird im Forschungsbericht
nicht erwähnt.
Der Eingang zu diesem Haus, links hinten die Feuerstelle.
Es hatte Musik - und es hat immer noch Blumen,
das alte Kulturvolk der Walliser.
Nicht weit von diesem Haus zieht der Lawinenzug Tännera
hinunter;
man sieht nach Wyssried und Ried.
Zwischen Ost und Mitte, etwas unterhalb.
Giätrich Ost ist vom Bietschhornhüttenweg aus gut zu sehen.
Giätrich ist die Fortsetzung der lawinengerechten Reihensiedlung "In obere Mattu",
ohne eine solche Reihe gebildet zu haben.
Kippel, Lauchernalp, Wiler, Kippel, 23. Mai 2004
Die Wüstung Giätrich zwischen den Lawinenzügen Tännerra (links) und Wilerra.
Maurice Chappaz, Lötschental: "In Kippel glaubt man auch, der erste Schub von Bewohnern
hätte die Gletscher überquert, die hintersten weissen Firne.
Die Oase in den Alpen wäre von Norden her entdeckt worden.
Dann wurden diese Bewohner (...), diese Vorzeitmenschen also zurückgedrängt von anderen,
die von unten heraufkamen,
zurückgeschlagen auf einen Ort gegenüber dem Ostausgang von Wiler, Lichtung in den dichten Wäldern. (40)
Kein Gelehrter, niemand ist sicher, den Ausdruck Roitschäggätä zu verstehn,
noch denjenigen der Schurtendiebe,
noch was genau die Dietrich(!)-Lichtung zu bedeuten hat, überhaupt nichts, noch sonst etwas ..." (59)
Diese Phantasien hat Chappaz aus dem
bietschhornnordgraterfahrenen Urgrossonkel Leopold Rütimeyer gezogen,
wo es in dessen Werk
Über einige archaistische Gerätschaften und Gebräuche im Kanton Wallis und ihre prähistorischen und ethnographischen Parallelen
von 1916 auf Seite 89f heisst:
"Bei erneuten Nachfragen über den Ursprung dieser Maskenbräuche im Lötschental,
wurde mir von alten erfahrenen Leuten übereinstimmend mit den vor ca. 10 Jahren
gesammelten Berichten gesagt, man nehme an,
dass sie von den 'Schurtendieben' herstammen, die angeblich etwa im 15.
Jahrhundert im 'Dietrich'
hausten, einer kleinen Waldlichtung in den Wäldern der Südseite des
Lötschentales,
gegenüber dem Ostausgang des Dorfes Wiler. Es sind dort jetzt noch Mauerreste
alter Hofstätten vorhanden.
... Der 'Dietrich' soll die Stelle des Tales sein, wo sich
in der Vorzeit die ersten Lötscher ansiedelten."
Bietschhorn Westgrat